Essen. . Hermann Marth (Stiftung Zollverein) schaut optimistisch auf den Wandel zum Kultur- und Wissenschaftsstandort. Exkursion auf dem 110-Hektar-Areal.
Das Zollverein-Areal ist mit 110 Hektar so riesig, dass Hermann Marth die Wahl des Verkehrsmittels gar nicht so leicht fällt. „Normalerweise benutze ich das Rad oder ich gehe zu Fuß“, sagt der Vorstandsvorsitzende der Zollverein-Stiftung. Doch für die Exkursion an diesem kalten Winter-Nachmittag wählt er die bequemere Variante: die Audi-Dienstlimousine mit den Mittelbuchstaben „ZV“ im Kennzeichen.
30 Jahre nach Stilllegung der Zeche befindet sich das zum Welterbe geadelte Ensemble in der wohl fruchtbarsten Transformationsphase: Es strebt energisch seiner Voll-endung entgegen. Gut möglich, dass irgendwann mal von der Ära Marth die Rede ist.
Der Stiftungschef ist bodenständig, kein Wichtigtuer. Eher scheint er die sich nun entfaltende Blüte im Stillen zu genießen – wie ein Landwirt, der seinen Acker über Jahre bestellt hat und ahnt, dass die Ernte reich sein könnte.
„Es ist eine einzigartige Entwicklung“, sagt er, als sein Wagen die langen Achsen am Fuße der imposanten Kokerei-Kamine durchmisst. Es geht über die Heinrich-Imig-Straße und die Kokerei-Allee, über die Fritz-Schupp-Allee und Arendahls Wiese: vorbei an Baustellen, Fundamenten, Rohbauten und Zementsilos.
Schacht one, Halle 4, Salzfabrik, Grand Hall, Kammgebäude, RAG-Zentrale, Folkwang, Hotel
Als sich die Folkwang-Universität mit ihrer silbrigen Fassade am Ende der Straße erhebt, gerät Marth nicht zum ersten Mal ins Schwärmen. „Das ist einer der schönsten neueren Blicke, die wir hier haben.“
Ruhrgebietsbilder von Albert Renger-Patzsch
Zollverein, jetzt schon Leuchtturm und Touristenmagnet, will noch mehr sein. „Nach der Ära von Kohle und Stahl wandelt sich die ehemalige Zeche und Kokerei Zollverein zu einem Kultur- und Wissenschaftsstandort der Zukunft“, sagt Marth.
Er muss schon tief Luft holen, um alles aufzuzählen, was gerade entsteht und schon fertig ist: Schacht one, Halle 4, das Schaudepot in der alten Salzfabrik, Grand Hall, Kammgebäude, die Neubauten von RAG-Zentrale, RAG-Stiftung, Folkwang-Universität und das Hotel.
Die Büros heißen „Maschinenraum“ und „Mausegatt“
Das Schalthaus beherbergt seit einem halben Jahr Haniels Schacht one. Laszlo Juhasz ist Digital Transformation Manager dieser Einheit, die die Digitalisierung des Handelskonzerns Haniel vorantreibt. Charmant: Industriepionier Franz Haniel hat Zollverein vor 150 Jahren gegründet. Die Büros heißen „Maschinenraum“ oder „Mausegatt“.
„Der Umzug nach Essen statt Berlin hat sich gelohnt“, sagt Juhasz. Durch eine Glastür fällt der Blick in einen Raum, in dem die Kreativen über neue Strategien brüten. Bei internationalen Gästen komme diese Location sehr gut an. „Das alte Schalterhäuschen wird bestaunt,das Welterbe ist ein Begriff.“
Nebenan im südlichen Fördermaschinenhaus entsteht eine neue Gastronomie im Stil des „Urban Industrial Chic“. Zum Saisonstart 2018 soll’s losgehen. Wer dann bei Bruschetta und einem frischen Rosé draußen sitzt, schaut direkt aufs Ruhr Museum und den markanten Doppelbock. Drinnen geht der Blick durch bodentiefe Fenster.
Schaudepot: Ein musealer Ankerpunkt auf der Kokerei
Nun geht’s zügig weiter zur Salzfabrik, die dank üppiger Bundesmittel ab 2020 Schaudepot des Ruhr Museums sein wird. „Ein musealer Ankerpunkt auf der Kokerei“, sagt Marth und lobt die Fächerstruktur des ebenfalls von Schupp/Kremmer entworfenen Gebäudes.
Als Zollverein am 23. Dezember 1986 stillgelegt und Denkmal wird, übernimmt die Landesentwicklungsgesellschaft das Areal von der RAG. Doch 30 Jahre später kehrt die „Mutter“ wieder nach Zollverein zurück: die RAG-Zentrale und die RAG-Stiftung. Eine Entwicklung, die Hermann Marth, selbst einst ein Mann der Kohle, als „segensreich“ empfindet. Mit seiner Stiftung sieht er sich als Moderator und Treiber der Umgestaltung.
Besondere Freude haben sie an der Kokerei. Vor fünf Jahren noch im Dornröschenschlaf entwickele sie sich jetzt zu einem „dynamisch-prosperierenden Standort“. In der Grand Hall, der imposanten Veranstaltungshalle, werden an diesem Dienstag 500 Gäste der EU-Kommission erwartet.
Das Ziel: dem Stadtteil etwas zurückgeben
MMID, ein renommierter deutsch-niederländischer Produktentwickler, ist vom Triple Z ins Kammgebäude gezogen. „Wir freuen uns darauf, dass die Folkwang-Universität bald kommt, der Tisch ist gedeckt“, frohlockt Geschäftsführer Nils Müller.
Nur im Stadtteil ist von den vielen Millionen bis jetzt noch nicht viel angekommen, so mancher dort hält die Stiftung gar für eine Krake. Aber Marth glaubt an die Designstadt im Norden und sieht den Aufschwung kommen: „Erst durch die positive Entwicklung ist Zollverein in der Lage, dem Stadtteil etwas zurückzugeben.“
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Am 23. Dezember 1986 ist die Kohleförderung auf Zollverein eingestellt worden. Mit der Schließung der letzten Zeche ist der Bergbau in Essen Geschichte.
30 Jahre danach zieht diese Zeitung in einer Artikelserie Bilanz. Darin kommen Akteure von damals und heute zu Wort: Bergleute, Tagesbetriebsführer, Politiker, Künstler, Historiker und Manager.