Essen. Das Rennen um den Einzug ins Essener Rathaus geht auf die Zielgerade: Franz-Josef Britz (CDU) und Reinhard Paß (SPD) verdeutlichen im Streitgespräch ihre Standpunkte zu Themen wie Schuldenabbau, Kinderarmut, Limbecker Platz und Verkehr.

Herr Britz, Herr Paß, was packen Sie als Erstes an, wenn Sie am Sonntag zum Oberbürgermeister gewählt werden sollten?

Franz-Josef Britz: Als Erstes werde ich die wichtigen Entscheider in der Stadt, Verbandsvertreter, Unternehmer und Ehrenamtliche, zum Gespräch einladen, um das Engagement für Essen zu stärken. So will ich unsere bisher erfolgreiche Arbeit in der Stadt fortsetzen.

Reinhard Paß: Ich will bei entsprechender Ratsmehrheit den Schließungsbeschluss für das Freibad Hesse zurücknehmen, alle maßgeblichen Vertreter der Stadtgesellschaft besuchen und mit dem neuen Kämmerer einen Kassensturz machen.

Jede Mehrheit im Rat muss ja angesichts von drei Milliarden Euro Schulden sparen. Seltsamerweise ist davon bisher nicht die Rede. Jetzt können Sie offenbaren: Wo müssen die Bürger mit Einschnitten rechnen?

Britz: Ja, wir müssen weiter überall sparen, kein Bereich wird ausgeschlossen: Ob Kultur, Sport oder Soziales. Wir müssen auch beim Theater sparen - das Defizit darf sich nicht weiter erhöhen, wir wollen aber die Sparten erhalten. Konsolidiert haben wir ja schon in den vergangenen Jahren - auch unter massiver Kritik beim Sport. Deshalb wird das Freibad Hesse für 1,5 Millionen zum familienorientierten Freizeit- und Gesundheitsstandort mit Wasserfläche umgewandelt. Ich höre von Herrn Paß und seiner SPD nur, wo sie nicht sparen wollen, aber nicht, was sie machen wollen. Wer jetzt so tut, wir könnten uns alles leisten, der erzählt nicht die volle Wahrheit.

Paß: Das sagt doch keiner, natürlich müssen wir sparen, wir haben den Konsolidierungskurs immer konstruktiv begleitet. Aber es kommt doch zuallererst auf den politischen Gestaltungswillen an, wo wir investieren, wo wir kappen. Die CDU gestaltet zu wenig, lässt vieles einfach geschehen.

Aber wo wollen Sie sparen?

Paß: In den nächsten zehn Jahren verlassen über 3000 öffentlich Bedienstete die Stadtverwaltung - aus Altersgründen. Diesen Spielraum müssen wir nutzen, um effizienter zu werden: Wir müssen angesichts einer schrumpfenden Bevölkerungszahl die städtischen Aufgaben überprüfen, mehr mit anderen Städten kooperieren - so benötigt nicht jede Stadt eine Bußgeldstelle. Am Ende bedeutet dies auch einen Abbau an Stellen - aber ohne betriebsbedingte Kündigungen und in enger Abstimmung mit der Personalvertretung. Und das darf auch nicht die Qualität des Services für die Bürger beeinträchtigen.

Also hat Essen mit 18 000 Bediensteten zuviel teures Personal an Bord, das abgebaut werden muss?

Britz: So pauschal kann man das nicht sagen. Wir müssen die Chancen nutzen, mit anderen Städten zur Kostensenkung zu kooperieren, wie jetzt die Nahverkehrsunternehmen. Da muss eine Stadt vorangehen, und das müssen wir in Essen sein, weil wir eine Führungsaufgabe wahrnehmen wollen. Ingesamt benötigen wir natürlich dann weniger Personal als heute.

Paß: Wenn man mit anderen Städten kooperieren will, darf man aber nicht mit grellen Rufen „Wir sind Hauptstadt des Ruhrgebiets” auftreten, sondern muss Angebote auf Augenhöhe machen. Das Misstrauen anderer Kommunen gegenüber der großen Stadt Essen ist nicht gerade klein.

Essen ist eine sozial gespaltene Stadt. Wie wichtig ist es für Sie, die soziale Kluft zuzuschütten?

Britz: Dass wir eine soziale Schere in der Stadt haben, ist nicht zu bestreiten. Das darf nicht so bleiben. Aber wir haben in den vergangenen zehn Jahren erfolgreich daran gearbeitet, die soziale Kluft zu verringern. Wir haben die Schulen und Kindergärten besser ausgestattet, wir haben die Deutschkenntnisse der Kleinsten schon früh gefördert. Der Essener Norden ist heute ein grünes Stadtgebiet mit neuen Parks, mit einem neuen See und neuen familiengerechten Siedlungen. Eine solche positive Entwicklung gab es früher nicht. Uns wird sogar jetzt von unseren Parteifreunden im Süden vorgeworfen, wir würden zugunsten des Norden den Süden vernachlässigen.

Paß: Ich freue mich über das Bekenntnis zum Norden. Aber in unserer Stadt leben im Durchschnitt 30 Prozent der Kinder von Sozialleistungen, davon die meisten im Norden - der Anteil an Bedürftigen ist stetig gestiegen. Im Norden muss viel mehr passieren, als Freiflächen zuzubauen. Wir müssen mehr in Köpfe statt in Steine investieren - mit mehr Bildung und Betreuung. Wir können nicht Ungleiches gleich behandeln, sondern müssen an den Schulen im Norden eine pädagogisch wertvolle Ganztagsbetreuung mit Mittagessen ohne Extra-Kosten für die Eltern sicherstellen. Außerdem benötigen wir mehr Sozialpädagogen an den Schulen mit schwieriger Schülerschaft.

Die Stadt ächzt unter dem Bevölkerungsrückgang. Andere Städte locken Familien mit kostenlosen Kindergärten; die SPD schlägt in Essen zumindest ein gebührenfreies Kita-Jahr vor. Was wollen Sie tun, Herr Britz?

Britz: Das würde ich gerne tun, aber wer jetzt so etwas verspricht, der erzählt wider besseren Wissens etwas Falsches. Für unsere Stadt sehe ich keine Chance. Wir dürfen ja noch nicht einmal den Eltern die Streiktage der Erzieher zurückerstatten, das verbietet die Finanzaufsicht. Im Übrigen haben wir es geschafft, den Wegzug von Familien netto auf Null zu bringen, auch weil wir viele Einfamilienhäuser neu bauen ließen. Die Kita-Gebühren bewegen Familien nicht zum Umzug.

Paß: Wir wollen das dritte Kita-Jahr nicht in erster Linie beitragsfrei machen, weil Familien drohen wegzuziehen, sondern um Familien zu entlasten und die Bildungschancen für Kinder zu erhöhen. Essen soll so angesichts der allgemeinen Mobilität attraktiver für Familien werden, so dass diese nach Essen ziehen. Das alte Label ,kinderfreundliche Stadt' ist nicht mehr mit Leben gefüllt, zumal 20 Kilometer entfernt eine Stadt wie Düsseldorf mit kostenlosen Kindergärten wirbt.

Viele sehen auch das Label ,Einkaufsstadt Essen' beschädigt, weil die Kettwiger Straße zugunsten des Einkaufszentrums Limbecker Platz auszubluten droht. War die Entscheidung fürs Einkaufszentrum falsch?

Britz: Nein, auf keinen Fall. Sie ist sogar vorbildlich für andere Städte. Denn das Einkaufszentrum liegt mitten in der belebten Stadt, nicht am Rande. Das ist der Limbecker Straße schon zugute gekommen. Die Immobilienbesitzer auf der Kettwiger müssen angesichts des Wegzugs von Saturn und C&A den Wettbewerb aktiver als bisher aufnehmen. Wir haben nicht zu viele Geschäftsflächen in Essen. Und der Hauptbahnhofsumbau wird am Ende trotz der Kritik eine ordentliche Visitenkarte für die Stadt ergeben.

Paß: Das Einkaufszentrum war eine richtige Entscheidung, denn die Alternative wäre doch, wir hätten dort immer noch ein altes schiefes Karstadt-Haus. Da musste was passieren; ob das Einkaufszentrum aber zeitlos schön ist, ist eine andere Frage. Die Sanierung des Hauptbahnhofs bedeutet nur ein bisschen neue Farbe ohne echte Verbesserung, da wird noch nicht einmal die Fassade gereinigt. Das ist kein Vorzeigestück, sondern der Bahnhof bleibt ein hässliches Gebäude, in dem es sehr drängelig für die Fahrgäste wird, weil die Ladenflächen vergrößert wurden.

Die neue Autobahn A52 quer durch die Stadt von Nord nach Süd und ein Ausbau des Flughafens sind heikle strittige Verkehrsfragen. Wie stehen Sie dazu?

Britz: Also, wir brauchen auf keinen Fall einen Regionalflughafen, der wirtschaftlich ohnehin nicht zu betreiben ist, wie wir am Fall Dortmund sehen. Unser Verkehrslandeplatz wird nicht ausgebaut.

Paß: Das sehe ich genauso. Wir brauchen keinen Flughafen, sollten lieber zusehen, dass die Flugschüler ihr Hobby mit den vielen Starts und Landungen nicht mehr so nah an einer Großstadt ausüben können. Allerdings benötigen wir dringend in Essen den Ausbau der A52, um die innerstädtischen Straßen vom Durchgangsverkehr zu entlasten. Dabei plädieren wir, zunächst die Nordstrecke durchzustrecken, danach kann man sich um die Untertunnelung der Ruhrallee kümmern.

Britz: Aus vielen Gründen ist die A52 erforderlich, aber diese muss nicht nur Zollverein anbinden, sondern auch den innerstädtischen Verkehr aufnehmen. Wir sind für einen Ruhrallee-Tunnel, der dies leistet - sonst wird die Stadt dem Projekt nicht zustimmen. Das werden wir auch gegen Straßen.NRW durchsetzen können, denn wir brauchen die Verkehrsentlastung für die innerstädtischen Straßen. Wir haben jetzt jedenfalls eine gute Chance, eine umweltfreundliche A52 zu bekommen.

Der Stadionbau für RWE ist ein klares Nord-Süd-Thema. Herr Paß, sind Sie glücklich darüber, dass der Profiverein wie das Stadion zum städtischen Projekt wurde?

Paß (lacht): Also, es ist doch schon seit langem so, dass städtische Gesellschaften den Profiverein RWE sponsern, weil sich die Betriebe gerne mit einer positiven Marke präsentieren. Aber angesichts der Lage des Vereins war es nötig, dass die Stadt als eine Art Bad Bank einen Teil der Schulden übernehmen musste, um den Verein zu retten - in der Hoffnung, dass RWE diese später zurückzahlt. Die Alternative wäre der Konkurs gewesen.

Ist, Herr Britz, Profifußball eine städtische Aufgabe?

Britz: Nein, auf keinen Fall. Aber klar ist, wir brauchen ein Stadion, weil es so baufällig ist. Das Stadion gehört der Stadt, wir hätten zur Renovierung sowieso 15 Millionen Euro investieren müssen, jetzt sind es 24 Millionen Euro. Ich vergleiche das mit dem Neubau des Aalto-Theaters, das hat auch nicht in die Zeit gepasst, aber erst zum europaweiten Erfolg der Essener Oper geführt. Und das Stadion wird auch für neuen Schwung bei RWE sorgen.

Paß: Die Stadt hat es allerdings zu lange versäumt, die Chancen zu nutzen, die früher da waren: Die bessere sportliche Lage von RWE und die höhere Bereitschaft von privaten Sponsoren, Geld zu geben.

Britz: Das Angebot stand doch damals schon, aber es war kein Sponsor-Geld da.

Paß: Im Prinzip wurde aber doch von der Stadt kein Cent zur Verfügung gestellt; anderthalb Jahre vor der Wahl stellte man dann fest, dass die soziale Schieflage der Stadt mit Hilfe des neuen Stadions kaschiert werden muss. Nun muss die Stadt fast hundert Prozent zahlen, aber das ist jetzt leider nicht mehr anders möglich.

Britz: Wir konnten angebliche frühere Chancen nicht nutzen, weil die Sponsoren keine belastbaren Zusagen gemacht haben.

Selbst kurz vor der Wahl wissen die Wähler nicht, mit wem Sie eigentlich Essen regieren wollen.

Paß: Ich glaube, dass Zweier-Konstellationen - außer einer Kooperation der Großen - im Rat nicht mehrheitsfähig sein werden. Dreier-Kooperationen sind aber sehr instabil. Man ist gut beraten als Oberbürgermeister sachbezogene Mehrheit moderierend herbeizuführen. Wir haben ja ohnehin 90 Prozent der Themen im Rat einstimmig beschlossen.

Britz: Das stimmt, das war im Rat schon immer so. Ich bevorzuge aber ein echtes Bündnis mit drei Parteien für eine stabile klare Mehrheit.

Das stabilste Bündnis wäre doch eine Große Koalition.

Britz: Für mich käme das als Allerletztes in Betracht, denn damit stärken wir nur die kleinen Parteien. Für die Stadtentwicklung wäre das nicht gut.

Paß: Wenn sich die beiden Großen verbrüdern, halte ich dies auch nicht für gelungen - ein Oberbürgermeister muss schließlich sehen, dass der Rat als Repräsentanz aller Bürger komplett einbezogen wird. Eine schriftliche Zusammenarbeit zwischen CDU und SPD wird es jedenfalls nicht geben.

Aber reden Sie mit den Linken, Herr Paß?

Paß: Der Oberbürgermeister ist Vorsitzender des Rates und muss fallweise mit allen Gruppen reden, aber zwischen SPD und Linke wird es keine formale Kooperation geben. Denn abgesehen von grundsätzlichen Differenzen in politischen Fragen handelt es sich bei den Essener Linken um eine heterogene, sich zufällig zusammensetzende Gruppe aus Anhängern der DKP, MLDP und der ehemaligen PDS. Wann jedoch Linke ihre Hand heben, ist ja deren Sache.