Essen. . „Critical Mass“-Radtour startet am Freitag. Polizei begleitet die Menge auf Fahrrädern. Um die letzte Tour hatte es Ärger gegeben.

  • Was Radler sagen, die schon oft mitgefahren sind: Radler gehören ins Straßenbild!
  • Was Gegner an der Veranstaltung kritisieren: Es geht nur um Provokation und Verstopfung!
  • Das Prinzip: Einer fährt vor und gibt spontan die Richtung an – es gilt § 27 der Straßenverkehrsordnung

Hunderte von Fahrradfahrern, hintereinander, nebeneinander, die auf den Essener Straßen in die Pedale treten. Um 19 Uhr startet am Freitag die Critical Mass Fahrradtour, wie jeden zweiten Freitag im Monat. Am Willy-Brandt-Platz geht es los, die Route bestimmen die vordersten Fahrer spontan. Was steckt hinter der Veranstaltung?

Marco Heinze nimmt seit eineinhalb Jahren regelmäßig teil. Der 33-Jährige ist leidenschaftlicher Fahrradfahrer, erzählt begeistert von seinem selbst zusammengeschraubten „Fixie“, einem Bahnrad ohne Gangschaltung und Freilauf. Für ihn sind die Fahrradtouren ein sozialer Treffpunkt: „Vom fünfjährigen Knirps bis zum Rentner mit Rauschebart fahren alle mit.“ Auf Facebook werden die Termine angekündigt, aber Marco denkt, dass viele ohne Zusage einfach vorbeikommen. Das Treffen hat sich in fünf Jahren etabliert.

„Critical Mass“ weiterhin ohne offizielle Organisatoren

Ein gemeinsames politisches Engagement sieht er dabei nicht. Und es ist ihm wichtig, dass die „Critical Mass“ weiterhin ohne offizielle Organisatoren bleibt: „Eine Veranstaltung mit Demonstrationscharakter würde den Kern der Sache zerstören.“ Und das ungezwungene Treffen weitaus komplizierter gestalten: Nach dem Versammlungsgesetz wäre dann jedes Mal eine Anmeldung bei der Polizei notwendig.

Für Ralf Witzel, Essens FDP-Chef, wäre genau das die Lösung. „Sie gehört im Interesse der öffentlichen Ordnung als Demonstration angemeldet“, sagte er unserer Zeitung vor drei Wochen.

Dass die „Critical Mass“ überhaupt in den Fokus der Lokalpolitiker gerückt ist, hängt mit der vergangenen Radtour zusammen: Am 12. August hatte es einen Konflikt zwischen der Polizei und teilnehmenden Radfahrern gegeben, die Tour wurde aufgelöst. Eine harsche Pressemitteilung der Polizei sprach von „haarsträubenden Aktionen“ der Radler, Teilnehmer beklagten sich online über respektloses und ungerechtfertigtes Einschreiten der Beamten.

Inzwischen wurden allzu drastische Aussagen zurückgenommen, und die Konfliktparteien haben sich in einem gemeinsamen Gespräch auf eine Vorgehensweise für heute Abend geeinigt: Die Polizei wird die Tour mit Fahrrädern begleiten, aber möglichst ohne einzugreifen – und es wird nach wie vor keine Anmeldung geben.

Es gilt Paragraph 27 der Straßenverkehrsordnung

Der Paragraph 27 der Straßenverkehrsordnung dient weiterhin als Grundlage: Demnach bildet eine Gruppe von mehr als 15 Radfahrern einen Verband, der die Spur ganz belegen und Kreuzungen geschlossen überqueren darf.

Ralf Witzel sieht die Kompromissbereitschaft auf Seiten der Behörden trotzdem kritisch: „Ich finde es nicht gut, wenn die Polizei Schwäche zeigt.“ Und er versteht nicht, was die Tour bezwecken soll. Denn für Radwege sei in den letzten Jahren mehr getan worden als für die restliche Verkehrs-Infrastruktur.

Also steckt doch eine politische Forderung hinter „Critical Mass“? Zurückeroberung der Straßen, Kampf für eine fahrradfreundliche Stadt? Für Daniel Bohne lautet die Botschaft der Radtouren: Wir sind Verkehr! „Essen ist eine Autofahrer-Stadt, das Klima eher fahrradfeindlich“, sagt der 30-jährige.

Dabei steht eine Verbesserung der Radwege schon länger auf der Agenda der Stadt. Das Ziel: In 20 Jahren ein Radverkehrsanteil von einem Viertel. Derzeit liegt dieser Wert bei knapp sieben Prozent. Beliebte Trassen wie der Radschnellweg RS 1 zwischen Essen und Mülheim sind hoffnungsvolle Anfänge.

Hört die „Critical Mass“ auf, wenn Essen ein Fahrradparadies geworden ist? „Das ist eine sehr hypothetische Frage“, sagt Marco Heinze und lacht. Aber er wünscht sich, dass die Radtouren weiterhin als gemeinsames sportliches Event bestehen bleiben. Denn: „Radfahren gehört zum Stadtbild!“

Stipendiaten der Adenauer-Stiftung schreiben über Essen

Dieser Artikel ist der Auftakt der Reihe „Essen im Wandel – ein Blick von außen“. Sie wird von Stipendiaten der Konrad-Adenauer-Stiftung gemeinsam mit der Essener Lokalredaktion gestaltet. Elf junge Journalisten, die aus ganz Deutschland kommen und bereits erste Berufserfahrungen gesammelt haben, verfassen in den nächsten Tagen und Wochen Berichte und Reportagen über Themen aus unserer Stadt. Die Redaktion wünscht viel Spaß beim Lesen!