Essen-Rüttenscheid. . Ronald Graf bewertet den Bau von mehr als 1000 neuen Wohnungen als Glücksfall. Damit decke Rüttenscheid zehn Prozent des städtischen Bedarfs.
Rüttenscheid wird in den nächsten drei Jahren ein enormes Wachstum erleben: 1024 neue Wohnungen entstehen nahezu parallel in verschiedenen Neubauprojekten – das entspricht rund 2000 neuen Bewohnern. Im Interview erklärt Ronald Graf, Leiter des Amts für Stadtplanung und Bauordnung, welche Chancen und Herausforderungen er in dem Bauboom zwischen Manfred- und Henri-Dunant-Straße sieht.
Inwieweit wird sich das Gesicht des Stadtteils verändern?
Das Gesicht Rüttenscheids wird sich zum Positiven verändern. Weil wir alle Bauflächen, die wir jetzt gerade bearbeiten, überplanen. Wir nehmen also keinen Freiraum in Anspruch. Vielmehr beseitigen wir an vielen Stellen die vorhandene Bebauung, die nicht mehr gebraucht wird oder nicht mehr zeitgemäß ist. Der Stadtteil wird sich nicht in Gänze verändern, die ohnehin schon bebauten Flächen werden lediglich sinnvoller genutzt und dadurch auch attraktiver.
30 Prozent aller Neubauten sollen öffentlich geförderter Wohnraum werden
Baumstraße, Köndgenstraße, Gummertstraße – gewachsene Siedlugen, die für neue Wohnungen weichen müssen. Viele fürchten, sich Rüttenscheid nicht mehr leisten zu können. Ist es nicht auch Aufgabe von Stadtplanung, einen guten Bevölkerungsmix zu bewahren?
Das tun wir ja. Wir versuchen an allen Standorten, an denen wir mit neuen Bebauungsplänen tätig sind, den bezahlbaren Wohnraum bei den Investoren zu bewerben und anschießend auch zu realisieren, sprich den öffentlich geförderten Wohnungsbau. Das machen wir schon im Vorgriff auf eine politische Entscheidung, die auf den Herbst verschoben wurde, da es noch Beratungsbedarf über die von uns geforderte Quote gibt. Wir möchten damit erreichen, dass 30 Prozent der Fläche bei Neubauprojekten für geförderten Wohnraum zur Verfügung gestellt werden.
Befürchten Sie nicht, dass eine so hohe Quote Investoren abschrecken könnte?
Wir sind als Verwaltung bislang nie auf taube Ohren gestoßen bei den Investoren. Nach unserer Beratung erklären sie sich oft dazu bereit. Öffentlich geförderter Wohnraum ist nach den heutigen Förderbedingungen kein Verlustgeschäft mehr. Etwa 80 Prozent aller städtischen Mitarbeiter würden nach den heutigen Kriterien Anspruch auf eine öffentlich geförderte Wohnung haben, die Einkommensgrenzen liegen relativ hoch. So hat etwa eine Familien mit zwei Kindern und einem Brutto-Jahresgehalt von 72 600 Euro Anspruch auf eine öffentlich geförderte Wohnung.
„Lieber Baulücke im innerstädtischen Raum nutzen“
Das hilft den Mietern an der Köndgenstraße wenig, viele sind schon ausgezogen. Kann öffentlich geförderter Wohnraum allein den Mix erhalten?
Die Wohnungen an der Gummert- und Köndgenstraße sind ja auch heute nicht öffentlich gefördert, sondern wegen früherer Verträge und veralteter Ausstattung so günstig. Nach meinen Informationen soll etwa an der Köndgenstraße ein Wohnungsmix entstehen. Die jetzigen Mieter könnten also wieder einziehen – bei etwas höherer Miete aber günstigeren Nebenkosten. Richtig ist, dass sich das Wohnumfeld ändert. Als Eigentümer muss man sich darum kümmern, dass die alten Wohnungsbestände, die nicht mehr zeitgemäß sind, durch neue ersetzt werden. Und das geht ab einem gewissen Grad eben nur durch Abriss und Neubau.
Einige Kritiker bemängeln, dass alle Freiflächen in Rüttenscheid zugebaut werden, der große Garten an der Köndgenstaße etwa.
Es ist immer besser, eine Baulücke im innerstädtischen Raum zu nutzen, als Felder und Wiesen außerhalb. Das ist uns politisch zuletzt ja verboten worden, nachdem wir unsere Liste mit Flächenvorschlägen vorgelegt hatten. Nur: Irgendwo müssen die Wohnungen, die Essen so dringend braucht, ja hin. Die Entwicklung in Rüttenscheid ist beachtlich: Der Stadtteil nimmt nur zwei Prozent der Fläche Essens ein, wird aber nun zehn Prozent des gesamtstädtischen Wohnungsbedarfs abdecken.
Infrastruktur im Stadtteil muss sich verändern
Wirkt sich die Bebauung schlecht auf das Klima im Stadtteil aus?
Da alle Flächen, auf denen jetzt geplant wird, ohnehin schon versiegelt sind, wirkt sich die Wohnbebauung dort sogar positiv aus: Bei jedem Neubauprojekt, etwa an der Henri-Dunant-Straße, rechnen wir mit mindestens 40 Prozent Freiflächen, die auch über Grünanlagen geschaffen werden. Das Speditionsgelände an der Manfredstraße etwa, für das zurzeit ein Planungswettbewerb läuft, ist bislang nahezu zu 100 Prozent versiegelt.
Einige befürchten bei rund 2000 neuen Rüttenscheidern einen Verkehrskollaps.
Das beauftragte Verkehrsgutachten berücksichtigt alle Bauverfahren in ihrer Gesamtheit. Leider werden die Ergebnisse wegen technischer Schwierigkeiten erst im Oktober zur Beratung in die Politik gegeben. Die Software der zuständigen Gutachter unterscheidet sich von unserer, dadurch haben sich einige Verzögerungen ergeben. Aus dem Gutachten werden sich die Maßnahmen ergeben, die wir ergreifen müssen. Für die ehemalige PH werden wir vermutlich den Kreuzungsbereich an der Henri-Dunant- und Wittenbergstraße ausweiten, für die Wittekindstraße berät die Politik bereits über einen Kreisverkehr. Neue Straßen wird es aber nicht geben.
Die neuen Wohnungen werden auch junge Familien anziehen. Muss vor Ort nicht also auch massiv in Bildung und Betreuung investiert werden?
Sowohl auf dem Gelände der ehemaligen PH als auch bei Holz Conrad entstehen jeweils zwei neue Kindertagesstätten mit jeweils vier Gruppen. Darüber hinaus wird zurzeit ja die Schulentwicklungsplanung auf den Weg gebracht und es sollen auch die Grundschulen in Rüttenscheid erweitert werden. Die Planung obliegt hier jedoch dem Schulamt.