Dortmund/Essen. . Zwei Verdächtige hat die Justiz für einen 31 Jahre zurückliegenden Mord an einem Siebenjährigen. Ein Fall von Justizgerangel um mögliche Täter.
Fast jede Kriminalpolizei im Lande lagert Aktenbündel ungeklärter Mordfälle. Sie kommen nicht vor Gericht, weil der Täter fehlt. Am Landgericht Dortmund liegt dagegen ein Essener Mordfall mit zu vielen Verdächtigen. Offenbar ist auch das ein Problem, denn das Oberlandesgericht Hamm (OLG) musste die Dortmunder Kollegen erst kürzlich daran erinnern, den Fall doch etwas schneller zu bearbeiten und sich nicht mit einem Gerangel um Zuständigkeiten selbst zu lähmen.
Der Mord liegt lange zurück. 31 Jahre. Am 22. April 1985 war ein sieben Jahre alter Junge in Essen-Stadtwald nicht mehr vom Spielen zurückgekehrt. Am nächsten Tag entdeckte die Polizei seine Leiche. Der kleine Junge war sexuell missbraucht und erwürgt worden. Wenige Tage später nahmen die Ermittler den 21 Jahre alten Dirk K., einen Nachbarn, fest. Bei Polizei, Haftrichter und Psychiaterin gestand der geistig Behinderte.
Ein bestrittenes Geständnis und ein neues
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Dieses Geständnis bestritt er später vor dem Essener Schwurgericht. Doch das Gericht hatte an den ersten Angaben keinen Zweifel, sah ihn als Täter. Weil er wegen seiner Psyche schuldunfähig war, sprach das Gericht ihn zwar frei, wies ihn aber wegen seiner Gefährlichkeit in die geschlossene Psychiatrie ein. Dort blieb er bis Anfang 2016, kam dann auf freien Fuß.
Denn mittlerweile hatte sich der Hamburger Anwalt Achim Lüdeke des Falls Dirk K. (52) angenommen. Der Jurist hatte in der Akte das Geständnis eines anderen Mannes gefunden. Ein Drogensüchtiger hatte sich elf Jahre später bei der Polizei gemeldet und den Mord an dem Siebenjährigen eingeräumt. Die Staatsanwaltschaft Essen stufte das Geständnis aber als bedeutungslos ein. Es passe nicht zu den objektiven Gegebenheiten des Mordes, sagt die Essener Staatsanwältin Birgit Jürgens.
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Dirk K. blieb weiter in der Psychiatrie, bis Anwalt Lüdeke am Landgericht Dortmund wegen des anderen Geständnisses die Wiederaufnahme beantragte. Ohne Erfolg, zunächst. Das Schwurgericht Dortmund, Vorsitzender Wolfgang Meyer, wies den Antrag am 5. September 2014 auf 26 Seiten zurück. Auch diese Richter nannten das neue Geständnis bedeutungslos. Am 24. Februar 2015 griff das OLG Hamm ein. Das Geständnis solle von einer anderen Dortmunder Kammer erneut geprüft werden. Ein Jahr später hob die 39. Dortmunder Strafkammer unter Vorsitz von Peter Windgätter das fast 30 Jahre alte Essener Urteil auf, Dirk. K. kam mit 52 Jahren wieder frei.
Verheddert im Zuständigkeitsgestrüpp
Jetzt müsste der Drogensüchtige mit dem längst widerrufenen Geständnis in Essen angeklagt werden – oder Dirk K. ein neues Verfahren in Dortmund bekommen. Nichts geschieht. Die Essener Staatsanwältin Birgit Jürgens hat zwar nachermittelt gegen den Drogensüchtigen, sieht aber keinen Anlass zu Haftbefehl oder Anklage: „Kein dringender Tatverdacht.“
Und Dortmunds Landgericht? Dirk K. ist weiterhin frei und lebt im betreuten Wohnen. Anlass zur Eile sahen das Schwurgericht und die 39. Strafkammer nicht. Sie stritten darum, wer den Fall verhandeln muss. Der Dortmunder Gerichtssprecher Thomas Jungkamp bestätigt, dass es „rechtlich unterschiedliche Auffassungen zwischen den Kammern gab“. Das Gericht legte den Fall dem OLG vor und bekam ihn postwendend zurück: Es sei nicht Aufgabe des OLG, ein Gericht zu bestimmen. Das regele allein das Präsidium des Landgerichtes. Es solle sich vielleicht mal beeilen, denn immerhin hätten noch 2015 Gutachter in der Psychiatrie die andauernde Gefährlichkeit von Dirk K. festgestellt. Das Präsidium des Dortmunder Landgerichts reagierte: Das Schwurgericht ist zuständig. Termin? Noch offen.