Essener Stadtteile. . Während anderenorts Leerstände beklagt werden, hängen die Essener an ihren kleinen Einkaufsmeilen. Das ist auch aktiven Händlern zu verdanken.

  • In vielen Ruhrgebietsstädten veröden die Fußgängerzonen zusehends
  • In den drei Einkaufsmeilen der Essener Stadtteile sehen die Händlergemeinschaften kaum Probleme
  • Um sich für die Zukunft aufzustellen, fordert Einzelhandelsverband jedoch mehr Flexibilität

Ist die Fußgängerzone ein Auslaufmodell? In einigen Ruhrgebietsstädten wie Witten und Wanne-Eickel, aber auch in Stadtteilzentren wie Oberhausen-Sterkrade nehmen Ladenleerstände zu, fordern manche sogar die Öffnung für den Verkehr. Eine zunehmende Verlagerung des Einzelhandels ins Internet und die große Dichte der Einkaufszentren in der Umgebung machen vor allem Inhabern kleinerer Fachgeschäfte mehr und mehr zu schaffen.

In Essen bestehen neben den Haupteinkaufsmeilen in der Innenstadt im Wesentlichen noch drei Fußgängerzonen: in Borbeck, Steele und Werden. Wie wichtig sind sie für die Nahversorgung der Menschen vor Ort? Welche Entwicklung haben sie genommen? Vor allem aber: Wie muss sich der Handel dort aufstellen, um auch in Zukunft die Stadtteile zu beleben? Versuch einer Bestandsaufnahme.

Breiter Branchenmix in Steele

In Steele stehen selten Geschäfte leer, die Fußgängerzone gilt nach der Essener Innenstadt als größte der Stadt.
In Steele stehen selten Geschäfte leer, die Fußgängerzone gilt nach der Essener Innenstadt als größte der Stadt. © FUNKE Foto Services

Ladenleerstände seien ein Fremdwort, macht Léon Finger deutlich, dass es in Steele „keine Krise der Fußgängerzone“ gibt. Der Vorsitzende vom Initiativkreis City Steele (ICS): „Sollte hier ein Geschäft aufgegeben werden, ist es binnen 48 Stunden wieder vermietet – und das teurer als zuvor.“ Kaiser-Otto-Platz (KOP) und Hansastraße, der Grendplatz, die Bochumer Straße und – mit Abstrichen – auch die Dreiringstraße bilden in Steele eine Einkaufszone, die nach der Essener City als die größte der Stadt gilt. Ein breiter Branchenmix, gebildet aus inhabergeführten Fachgeschäften und Anbietern mit großer Anziehungskraft wie Saturn, Deichmann, H&M, Fielmann und DM – damit könne Steele beim Kunden punkten.

Dabei gilt nicht der Kaiser-Otto-Platz, sondern die Hansastraße als 1A-Lage der Händler. „Hier finden sich ausnahmslos Geschäfte, während es auf dem KOP auch Apotheken, Banken und Cafés gibt“, erklärt ICS-Geschäftsführer Alfred Greifenberg. Die Fluktuation sei gering. Steele sei beim Einkauf wie in einem gut sortierten Supermarkt. Soll heißen: Der Kunde wisse genau, wo er etwas findet. „Das sind gewachsene Strukturen, die dem Ganzen eine hohe Stabilität verleihen.“ Hinzu komme eine gute infrastrukturelle Erschließung – dank guter Anbindung an den Nahverkehr und einem großen Parkplatz-Angebot.

Das ganze Jahr über Programm

„Generell liegt bei uns alles ziemlich dicht beisammen“, sagt Greifenberg. „Dadurch sind praktisch alle Geschäfte fußläufig gut erreichbar.“ Eine Öffnung der Fußgängerzone für den Verkehr wäre daher für Steele wenig sinnvoll. Dennoch: Auch ein solch stabiles Konstrukt kann von außen beeinflusst werden. Als Beispiel mag hier die Stadtteilsanierung der 1970er Jahre dienen, die das Gesicht Steeles nachdrücklich verändert hat: Léon Finger: „Früher verkehrten Bus und Straßenbahn auf dem Kaiser-Otto-Platz und zogen viele Kunden an. Als der Verkehrsplatz zum Steeler Bahnhof verlegt wurde, mussten wir die Menschen erst wieder ins Zentrum holen.“ So entstanden „frequenzfördernde“ Veranstaltungen wie der Weihnachtsmarkt.

Heute gibt es in Steele über das gesamte Jahr Programm: Blumen- und Handwerkermarkt, Gesundheitstage, Gilde der Marktschreier und Gourmetmeile. „Wir erfinden uns stets neu“, sagt Finger, der darin ein Erfolgsrezept gegen die Verödung sieht: „Unsere Kunden kommen auch deshalb nach Steele, weil bei uns immer etwas los ist.“

In Borbeck fehlen Spezialgeschäfte 

Imogen Eitel (81) schlendert an einem sonnigen Morgen gemeinsam mit ihrer Nichte Svenja Jeske (44) über die Gerichtsstraße. Ihr Gesprächsthema: die Zukunft von Fußgängerzonen. Hier in Borbeck sind die Straßencafés proppenvoll, auf den Sitzbänken genießen die Menschen entspannt die so seltene Sommerwärme. Die Seniorin fühlt sich bestätigt: „Ich bin unheimlich für Fußgängerzonen“, sagt Imogen Eitel. „Es müsste nur noch mehr Sitzplätze und Bänke zum Ausruhen geben. Mit fehlen noch welche am Markt.“

In Borbeck fährt die Straßenbahn durch den sonst verkehrsfreien Stadtkern. „Sie wird akzeptiert“, berichtet Immobilienkaufmann Jürgen Becker.
In Borbeck fährt die Straßenbahn durch den sonst verkehrsfreien Stadtkern. „Sie wird akzeptiert“, berichtet Immobilienkaufmann Jürgen Becker. © FUNKE Foto Services

Von der Öffnung für den Autoverkehr halten beide Frauen nichts: „Die meisten Parkplätze würden doch von Dauerparkern eingenommen.“ Dass Geschäfte leer stehen, läge „an den Großen wie Kaufland“, nicht an der Fußgängerzone.

Fehler, Discountern den Weg geebnet zu haben

Ähnlich sieht es auch Immobilienkaufmann Jürgen Becker. „Wir können gut mit der Fußgängerzone leben.“ Es gebe wohl kaum Leerstand, doch vermisst Jürgen Becker Spezialgeschäfte. Schuld daran seien nicht ausgesperrte Kraftfahrer – „Autos bringen auch nicht mehr Kaufkraft“ – sondern die Discounter an der Wolfsbank. „Dort werden die Hauptgeschäfte gemacht. Es war ein großer Fehler, ihnen den Weg geebnet zu haben.“

Zu leiden hätte auch der Wochenmarkt mit seinen inzwischen zu vielen Non-Food-Geschäften: „Er bricht allmählich weg.“

Für Claudia Ortkemper, Vorsitzende des Initiativkreises Centrum Borbeck (CeBo), ist die Diskussion über die Öffnung „ein schwieriges Thema“. Ohne die CeBo-Mitglieder gehört zu haben, hält sie sich mit einer Stellungnahme zurück, glaubt aber, dass „die Öffnung nicht alle Probleme beseitigen“ werde. Imogen Eitel hingegen wüsste schon, wie Borbecks Innenstadt wieder gewinnen könnte: „Wir vermissen unser gutes altes Karstadt.“

Ohne die Flaniermeile „würde die Gemütlichkeit verloren gehen“ 
Die Werdener Altstadt mit ihrer Fußgängerzone, hier beim „Fest der Sinne“.
Die Werdener Altstadt mit ihrer Fußgängerzone, hier beim „Fest der Sinne“. © WAZ

Leerstände in der Fußgängerzone? „Bis auf ein, zwei Winzigkeiten“, sagt Andreas Göbel, Vorsitzender des Werdener Werberings, „gibt es da nichts. Wenn Geschäftsflächen frei sind, werden sie schnell wieder besetzt.“ Gut, ein zweiter Lebensmittelmarkt fehle, „aber auf die Nachfolge im Aldi-Markt haben wir leider keinen Einfluss.“

Über die Kundenfrequenz in der Altstadt, aus der Anfang der 1980er- Jahre der Autoverkehr verbannt wurde, könnten die Einzelhändler nicht klagen, erklärt Göbel. Das bestätigt auch Passant Hans-Josef Langen: „Ich gehe gerne hier in die Werdener Fußgängerzone, um einzukaufen und die Angebote zu nutzen. Hier bekomme ich alles. Die Aufteilung der Geschäfte ist optimal.“ Autos beispielsweise wieder in der Hufergasse zuzulassen, würde ihm nicht gefallen. So denkt auch Vanessa Fricke: „Ich fahre sehr gerne zum Bummeln hierher. Darauf möchte ich auch in Zukunft nicht verzichten. Es würde die Gemütlichkeit verloren gehen.“ Ursula Behrmann schätzt ebenfalls die Atmosphäre: „Es gibt im Ruhrgebiet kaum noch schöne Fußgängerzonen. Ich parke lieber außerhalb und laufe dann in den Stadtkern. Hier kann ich in Ruhe durch die Geschäfte ziehen, ohne mich ständig umdrehen zu müssen, ob ein Auto kommt.“ Und so weit seien die Parkplätze in Werden nicht entfernt, betont Göbel.

Dass neben der Bequemlichkeit der Kunden auch der Internethandel den Einzelhändlern das Leben schwer machen kann, bestreitet Göbel nicht. „Das Warensortiment kann das Gleiche sein. Aber Erfahrung und fachliche Beratung – das bekommt man nicht im Internet.“

Interview mit Marc Heistermann vom Essener Einzelhandelsverband 

Marc Heistermann, Geschäftsführer des Essener Einzelhandelsverbands, sieht die Fußgängerzonen in den Stadtteilen aktuell noch gut aufgestellt. Um in Zeiten, in denen alle Produkte rund um die Uhr verfügbar sind, zu bestehen, seien aber Veränderungen nötig.

1. Wie schätzen Sie die Entwicklung der Fußgängerzonen in den Stadtteilen ein?

Marc Heistermann ist Geschäftsführer des Essener Einzelhandelsverbands.
Marc Heistermann ist Geschäftsführer des Essener Einzelhandelsverbands. © WAZ FotoPool

Die Fußgängerzonen hier sind kompakt, weswegen dort auch nicht viele Leerstände zu beklagen sind. In anderen Ruhrgebietsstädten fransen die Einkaufsmeilen vor allem an den Rändern aus, weil sie viel zu überdimensioniert geplant wurden. Es wird immer wichtiger, dass die Fußgängerzonen gut erreichbar und übersichtlich sind.

2. Wie muss sich der Handel in Zukunft aufstellen?

Wir sind in einem Spannungsfeld zum Online-Handel. Gerade in den Stadtteilen müssen die Händler flexibler werden. Das fängt schon bei den Öffnungszeiten an. Die sind nirgends wirklich einheitlich, wobei das dem Kunden den Einkauf erleichtern würde. Mit einem guten Mix aus Gastronomie, Handel und Dienstleistungen und einem gepflegten Anblick kann ein Stadtteilzentrum dauerhaft erfolgreich sein.

3. Am Ende entscheidet der Kunde – und ein Klick ist oft bequemer...

Am Ende müssen alle Akteure an einem Strang ziehen: Das sind Vermieter, die nicht nur den Profit sehen und bezahlbare Läden anbieten. Das sind aber auch Kunden, denen bewusst sein sollte, dass der Handel in den Stadtteilen viel bewegt, das weit übers reine Geschäft hinaus geht: Feste, Verschönerungsaktionen, Werbung für den Stadtteil. Es lohnt sich, den Handel vor Ort zu unterstützen.