Essen. Nach zeitnaher Veröffentlichung von Fotos tritt Essener Justiz dem Eindruck entgegen, es werde nach vermeintlicher Wichtigkeit der Opfer ermittelt.
- Für schnelle Öffentlichkeitsfahndung sei die Schwere der Tat entscheidend, so die Staatsanwaltschaft
- Bei Massendelikten wie Betrug kann eine Veröffentlichung von Fotos auch Monate dauern
- Behörden haben nicht die Ressourcen, alle Ermittlungen gleich schnell und intensiv voranzutreiben
Der Raubüberfall auf eine Amtsrichterin direkt unter den Augen der Justiz und der Polizei an der Zweigertstraße am 26. Juli war an Dreistigkeit kaum zu überbieten. Nicht weniger erstaunlich fanden aufmerksame Beobachter allerdings den Umstand, wie schnell die Behörden – in diesem Fall innerhalb von fünf Tagen – erste Fahndungs-Fotos von Verdächtigen in Umlauf brachten, die sonst oftmals erst Wochen oder Monate nach einer Tat veröffentlicht werden.
Sind vor dem Gesetz vielleicht doch nicht alle Menschen gleich?, fragen sich Leser dieser Zeitung, die den Eindruck haben, dass die Ermittlungen unter Einbindung der Öffentlichkeit nicht so zügig laufen, wenn „weniger wichtige Menschen“ als eine Richterin, wie sie anmerken, zu Opfern werden.
Zumindest ein Beispiel aus der jüngeren Vergangenheit müsste diesen Argwohn lindern: Nach dem Bombenanschlag auf den Sikh-Tempel an der Bersonstraße, bei dem ein Priester schwer verletzt wurde, veröffentlichte die Polizei bereits drei und nicht erst fünf Tage nach der Tat die Bilder der beiden Verdächtigen aus einer Überwachungskamera. Was nichts damit zu tun hatte, wer dort zu Schaden kam, sondern einfach mit der Schwere der Tat. Natürlich hängt es von der Dringlichkeit eines Kriminalfalls ab, aber auch von den Verfahrenswegen zwischen Behörden und etwa Kreditinstituten oder der unterstellten kriminellen Energie eines Täters, wie schnell Fahndungsbilder veröffentlicht werden.
Sind vor dem Gesetz doch nicht alle Menschen gleich?
Bei Massendelikten, wie zum Beispiel Betrügereien am Geldautomaten nach einem Kartendiebstahl, kann’s dann schon mal deutlich länger dauern als etwa nach einem bewaffneten Raubüberfall womöglich mit Verletzten.
„Das ist oft bitter für die Opfer“, sagt Oberstaatsanwältin Anette Milk, „aber wir haben nicht die Ressourcen“ alle Fahndungen gleich schnell zu behandeln. Deshalb müssten nun einmal Prioritäten gesetzt werden. Die definierten sich aber nicht über die Herkunft, den Rang oder die Funktion der Geschädigten. Es werde bei Foto-Fahndungen nicht mit zweierlei Maß gemessen. Wohl aber gebe es eine gewisse Wertigkeit auch in der Arbeit von Ermittlern und Strafverfolgern. Maßgeblich sei dafür die Intensität einer Tat und ob von einem Verdächtigen auf der Flucht womöglich eine weitere Gefahr für die Öffentlichkeit ausgehen könnte.
Den vier Unbekannten, die die 61-jährige Amtsrichterin ausspionierten, überfielen und entkommen konnten, ohne dass die Polizei bis heute eine heiße Spur zu ihnen hätte, unterstellen Ermittler zum Beispiel eine hohe kriminelle Energie.
Oftmals sind aber auch die Verfahrenswege langwierig, sagt Milk. Es kann eben dauern, bis zum Beispiel eine Bank ein Foto übermittelt hat, über dessen Veröffentlichung dann auf Antrag der Staatsanwaltschaft ein Richter entscheidet, bevor es wiederum der Polizei zur Verfügung gestellt wird.
Zugegeben: Nach dem Überfall auf die Amtsrichterin kam den Ermittlern ein Umstand durchaus entgegen. Die ersten Bilder stammen aus Kameras der Justiz, die „im eigenen Haus aufgearbeitet wurden“, wie Milk sagt. Die Fotos allerdings waren von so schlechter Qualität, dass später Aufnahmen eines der Gesuchten in einer Bank nachgeschoben wurden – acht Tage später und damit zwei Wochen nach der Tat. Selbst in diesem Fall ging es so schnell dann doch nicht.