Duisburg/Essen.. Fritz Bohnsack lehrte von 1975 bis 1988 Pädagogik an der Uni Duisburg-Essen. Jetzt hat er eine „Sinnvertiefung im Alltag“ formuliert.
Wenn Prof. Fritz Bohnsack an einem Buch schreibt, verzettelt er sich gerne – das ist Teil seines kreativen Systems. Er stapelt hunderte Karteikarten übereinander, bis sie sich auf seinem Schreibtisch zu einem Gebirge auftürmen. Erst dann hat der 93-Jährige den besten Ausblick auf ein Thema. Dabei hat es der emeritierte Professor der Universität Duisburg-Essen (UDE) nach über 170 Publikationen gar nicht mehr nötig, wissenschaftliche Texte zu veröffentlichen. „Ich mische nur noch aus Spaß mit“, sagt er mit einem Lächeln.
Es geht um Spiritualität
In seinem neuen Band „Sinnvertiefung im Alltag“ beschäftigt sich der Erziehungswissenschaftler mit Spiritualität. Bohnsack schreibt: Die traditionellen Religionen sind dabei, sich aufzulösen. Die Menschen und besonders Schüler begeistern sich nur noch schwer für Themen aus der Bibel. „Die Mehrheit hat den Bezug dazu verloren“, sagt Bohnsack, der bis 1988 an der UDE Erziehungswissenschaften mit Schwerpunkt Schulpädagogik lehrte. „Bis zum knusprigen Alter von 65.“ Erst zu seinem 90. Geburtstag vor drei Jahren veröffentlichte er das Buch „Wie Schüler die Schule erleben“. Sein aktuelles Werk bezieht sich jedoch weniger auf Schule, sondern ist mehr philosophische Abhandlung über den Sinn des Lebens.
Es geht um Methoden der Sinnvertiefung, etwa Meditation, Achtsamkeit, den Buddhismus oder auch die Psychoanalyse. Denn: „Wer den Sinn seines Lebens verliert, verhungert“, drückt es Fritz Bohnsack aus. Vielmehr warnt er davor, dass der „Tiefgang den Menschen verloren zu gehen scheint“. Wenn nur das Vorankommen des Einzelnen zählt, gerate die Gesellschaft in eine Schieflage.
„Gerade in Zeiten, in denen junge Menschen zu Attentätern werden, ist das Thema Sinnvertiefung hochaktuell“, findet Prof. Dr. Isabell van Ackeren, die Prorektorin für Studium und Lehre an der UDE. Sie sieht eine große Verantwortung bei den Pädagogen: „Die Stärkung der Persönlichkeit ist ein wichtiges Thema“, sagt sie. Wer haltlos ist, ist anfällig für Ideologien. Schule müsse also weg vom Frontalunterricht und dem reinen Leistungsgedanken, hin zu alternativen Ansätzen, um den Heranwachsenden bei der Sinnvertiefung zu helfen. „Warum nicht etwa Meditation in der Schule anbieten?“, fragt die Bildungswissenschaftlerin. Tatsächlich gibt es Schulen in Essen wie das Nord-Ost-Gymnasium, die damit längst angefangen haben.
Vier bis acht Stunden Arbeit täglich
Fritz Bohnsack selbst findet das Sinnvolle auch im Urlaub, etwa auf der Insel Amrum. „Wenn die Sonne die Dünen in ein mildes Abendlicht taucht und eine kosmische Ruhe aufkommt, dann erlebe ich Sinnhaftigkeit“, sagt der 93-Jährige, der seit 15 Jahren meditiert. „Das Buch ist für Menschen, die suchen, die bereit sind, zu kneten, Lösungen zu erarbeiten.“ Schließlich handelt es sich bei seinem Band nicht um leichte Leselektüre, sondern um eine wissenschaftliche Abhandlung. „Das Buch ist zwar nicht einfach zu lesen, aber seine Botschaft ist einfach“, fasst es Fritz Bohnsack zusammen. „Mach’ die Augen auf, dann siehst du, wie sinnvoll die Kleinigkeiten vor dir sind, dann siehst du den größeren Zusammenhang.“
Mit seiner Frau Lieselotte lebt Fritz Bohnsack in der Rellinghauser Seniorenresidenz Augustinum. Vier bis acht Stunden am Tag verbringt er an seinem Schreibtisch mit dem Lesen, Sammeln und Schreiben von Fachliteratur. Daher hat er längst Pläne für sein nächstes Buch. „Darin soll es um den Unterschied zwischen Person und Persönlichkeit gehen“, sagt Fritz Bohnsack. Wie sinnvoll, wenn die Kartengebirge auf dem Schreibtisch weiter in die Höhe wachsen.