Essen. Auch Essener Türken unterstützen bei Wahlen weit mehrheitlich Erdoğans Partei AKP. Herkunft, Mentalität und Religion sind starke Bindungen an die alte Heimat. Wir haben mit einigen darüber gesprochen.
- Essener Türken fordern Mäßigung in Berichterstattung über Präsident Recep Tayyip Erdoğan
- Staatszugehörigkeit würde nichts über Integration und den Menschen aussagen
- Türken, die keinen Schritt für die Türkei machen würden, seien eine Ausnahme
Eines fordern die von unserer Zeitung befragten Personen alle: „Mäßigung“ in der Berichterstattung über die Entwicklung in der Türkei und den Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan. Sie wohnen oder arbeiten zwar in Essen, aber ihre Verbindungen und Wurzeln in die Türkei sind tief. Und werden es bleiben. Egal ob sie einen deutschen oder türkischen Pass haben, hier geboren oder zugewandert sind.
Muhammet Balaban (61): "Zwei Länder im Herzen"
„Ein Türke hat zwei Länder in seinem Herzen“, sagt Muhammet Balaban, Mitglied im Integrationsrat für die Allianz Essener Demokraten. „Ich fühle mich heute als Deutscher, aber zur Türkei habe ich auch ein ganz besonderes Verhältnis.“ Die Verwandtschaft, Sprache, Kultur und Religion sei die Verbindung in die Türkei, die noch lange Bestand haben werde. Wenn von Türken verlangt würde, diese Verbundenheit zu kappen, käme es zur Protesthaltung, glaubt Balaban. Auch deswegen wünscht er sich eine, wie er sagt, „ausgewogenere“ Berichterstattung über die Dinge, die in Deutschland und in der Türkei passieren.
„Nur weil die Menschen, wie vergangen Sonntag in Köln, für die Türkei auf die Straße gehen, heißt das nicht, dass sie sich nicht zu Deutschland zugehörig fühlen“, sagt Balaban. Ebenso wenig sei der Pass in der Tasche entscheidend. „Die Staatsbürgerschaft hat mit der Integration in Deutschland nichts zu tun.“ Balaban, von dem es seit langem heißt, er stehe Erdoğans AKP nahe, kam 1970 mit 15 Jahren nach Deutschland. Er hat einen deutschen Pass, keinen türkischen.
Samet D. (19): "Fühle mich in der Türkei stärker verwurzelt“
Der 19-jährige Samet D. wirkt wie jemand, der gut integriert ist. Er hat Abitur gemacht, möchte Maschinenbau studieren, arbeitet in Essen für einen Getränkehändler. Und obwohl Samet hier geboren ist und ausschließlich zum Urlaub ins Land seiner Eltern fährt, hat er sich für den türkischen Pass entschieden. Auch wenn er dieser Entscheidung nicht viel Bedeutung beimisst: „Der Pass sagt nichts über einen Menschen aus“, sagt er. Jedoch: „Ich bin zwar zwiegespalten, aber fühle mich in der Türkei stärker verwurzelt.“
Er ist Erdoğan-Anhänger. Auch wenn er dieses Wort nicht mag. „Es ist ja keine Sekte.“ Eigentlich wollte er am Sonntag nach Köln zur Demo, erzählt Samet. Seine Mutter habe es ihm aber wegen der Gegendemonstranten verboten. Bedenken, Flagge zu zeigen, sind ihm nicht fremd: Seinen vollen Namen will Samet nicht in der Zeitung lesen, da er befürchtet, dass ihm in Deutschland schaden könnte, mit Erdoğan zu sympathisieren: „Ich habe da vielleicht ein wenig Paranoia“, gibt er aber zu.
Ali H. (38): kein Verständnis für die vielen Negativschlagzeilen
Ali H. möchte seinen Namen nicht preisgeben, da er Nachteile für sein Essener Geschäft befürchtet. Er hat einen deutschen Pass. „Als Ausländer fühle ich mich aber in beiden Ländern“, sagt Ali. Was ihn in Deutschland zur Zeit am meisten stört, sei eine einseitige Berichterstattung über Erdoğan. „Ich habe die Schnauze voll, gibt es denn keine anderen Themen?“
Er sieht vor allem den Fortschritt in seinem Geburtsland in den letzten zehn Jahren und hat deshalb kein Verständnis für die vielen Negativschlagzeilen.
Wenig Verständnis hat er aber auch für Leute, die türkische Konflikte nach Deutschland tragen. „Im Rahmen der Gesetze zu demonstrieren, ist in Ordnung. Wer übertreibt, soll zurück in die Türkei“, sagt Ali H.
Ahmet Semiz (58) fühlt sich „akzeptiert, aber nicht beliebt“
Ahmet Semiz fühlt sich in Deutschland „akzeptiert, aber nicht beliebt“. Das sei schon mal besser gewesen in den 1980er- und 1990er-Jahren, sagt der 58-Jährige, der mit elf Jahren aus der Türkei nach Deutschland kam. Semiz ist immer noch türkischer Staatsbürger. Dort sei er verwurzelt, seine Heimat nennt er aber Deutschland. „Dass so viele Türken noch an ihrer alten Heimat hängen, liegt vor allem an der Kultur und der Religion“, glaubt Ahmet Semiz. Türken, denen die Türkei gleichgültig ist, seien die Ausnahme, sagt der Immobilienmakler.
Alle vier sagen klar: Wir wählen Erdoğan - oder würden ihn wählen.