Essen.. Früher hatte Dachdecker Michael Seibel 20 Bewerber zur Auswahl. 2016 war es nur noch zwölf. Den Anforderungen genügen konnte keiner. Auf dem Ausbildungsmarkt ist das längst kein Einzelfall.

Für die Schulabgänger geht das Rennen um die Ausbildungsplätze in die letzte Runde. Doch vor dem weit verbreiteten Start in die Berufswelt am 1. August gibt es noch immer freie Stellen. So wie beim Kupferdreher Dachdeckermeister Michael Seibel. Der findet keine geeigneten Bewerber – und steht damit nicht alleine da.

„Es ist deutlicher schwieriger geworden, einen Azubi zu finden. Unser Betrieb besteht seit 30 Jahren – im Laufe der Zeit hatten wir damit immer mehr Probleme.“ Für seine Zuhörer ist der Erfahrungsbericht von Michael Seibel nichts Neues. Es sind aber auch Profis aus dem „Regionalen Ausbildungskonsens“, die sich da im Rahmen ihrer mehrwöchigen Ausbildungstour durch Betriebe in Essen, Mülheim und Oberhausen in Seibels Betrieb an der Prinz-Friedrich-Straße eingefunden haben. Wolfgang Dapprich ist dabei, der Hauptgeschäftsführer der Kreishandwerkerschaft, Dietmar Gutscheidt, Chef des Job-Centers, und Stephanie Hermann von der Agentur für Arbeit.

Anforderungen sind gestiegen

Sie alle wissen um die Probleme der Ausbildungsbetriebe. Michael Seibel hatte zwölf Bewerbungen auf dem Tisch: „Bei unseren Einstellungstests merken wir deutlich, wie das Niveau gesunken ist. Es ist zum Beispiel immer schwieriger Bewerber zu finden, die die Grundrechenarten beherrschen“, berichtet der Dachdeckermeister. Zu hohe Ansprüche? Wohl kaum, sagt zumindest Marc Sparrer, Obermeister der Dachdeckerinnung Essen. „Der klassische Hilfsarbeiter wie vor 20 Jahren wird kaum noch benötigt. Wir sind heute eher Bauphysiker oder Planer“, weist er auf eine Entwicklung hin, die sich auch auf andere Branchen übertragen lässt: Die Anforderungen sind gestiegen.

Eine weitere Hürde zeige sich laut Seibel bei den rund einstündigen Bewerbungsgesprächen. „Da bekomme ich häufig das Gefühl, dass die Menschen bei uns nicht richtig in den Betrieb passen“, führt er aus und meint damit vor allem Bedenken in Sachen Kollegialität. „Es kommt doch oft sehr Ich-bezogen herüber. Wir haben schlechte Erfahrungen im Betrieb gemacht, seitdem schaue ich da genauer hin.“

Handwerk hat weniger Zugkraft

Doch auch die Nachfrage auf dem Ausdbildungsmarkt ist für den Kupferdreher zurückgegangen, früher hatte er um die 20 Interessenten zur Auswahl. Handwerk hat nicht mehr die Zugkraft, die es noch vor Jahren und Jahrzehnten hatte, das predigt der Geschäftsführer der Kreishandwerkerschaft Dapprich schon länger. „Unter den vielen Akademikern sind irgendwann einmal die Handwerker die Könige“, sagt er zu solchen Gelegenheiten. Doch auch für junge Menschen, die nicht studieren wollen, ist Handwerk oftmals nicht erste Wahl. Berufe im verwaltungstechnischen Bereich sind aktuell beliebter. Job-Center-Chef Gutscheidt bringt dies auf den Punkt: „Wir haben nicht zu wenig Ausbildungsplätze – nur Angebot und Nachfrage stimmen nicht überein.“

Auch Dachdecker-Azubi Maik Emmerich (19) wird nicht im Job bleiben. Er hat vor rund einem Jahr seine die Ausbildung bei Michael Seibel begonnen. „Ich hatte mehrere Betriebe zur Wahl, hier passte es einfach“, sagt er. Für sein Leben hat er aber andere Pläne. Er will nach der Gesellenprüfung zur Uni, strebt den staatlich geprüften Assistenten für Gebäude-Energiedesign an.