Essen. Die Nachricht des Anschlags auf die Essener Sikh-Gemeinde hat bis nach Indien hohe Wellen geschlagen. OB sucht erneut nach Worten gegen die Gewalt.

Sieben Mal haben sie „Adi Guru Granth Shaib“ umrundet, die zentrale Schrift der Sikh-Religion. Die Zeremonie dauerte nicht lange, danach waren sie ein Paar. Der Rest sollte dann Party sein: erst nebenan, bei Reis und Erbsen, Suppe und Joghurt, Spinat und Käse, später im Efes-Festsaal um die Ecke, für den sich viele gerade umziehen.

„Sunny“, der Cousin aus Hamburg, ist auch mit Familie gekommen, sein Mercedes parkt im Hof, man quatscht, trinkt grünen Tee. Alles gut. Bis die Bombe hochgeht.

Bild der Verwüstung

Sein erster Gedanke? „Eine Gasexplosion“, sagt „Sunny“, der den Tee stehen lässt und rüber in den Festsaal eilt. Dort bietet sich ihm ein Bild der Verwüstung, den Türrahmen hat es mit Wucht ins Innere geschleudert, überall liegen Scherben, durch die die Gäste mit nackten Füßen staksen, immer in der Angst vor einer zweiten Explosion. „Sunny“ weiß sofort, dass Gas nicht im Spiel ist, „ich bin in Afghanistan geboren“, sagt er, „ich weiß, wie Sprengstoff riecht.“

Von Stund an ist für viele die Lust an der Party passé. Und während die Ärzte sich um die drei Verletzten kümmern, die Polizei die Gäste zur ersten Befragung in die große Malteser-Garage gegenüber geleitet, lernt die Welt, zumindest die Welt der Sikhs, den Namen der Stadt Essen kennen. Weltweit überträgt der „Sikh Channel“ die „Breaking News“ aus der Bersonstraße im Nordviertel: „Gurdwara Attacked in Germany“.

Gurdwara, so heißen die Tempel oder auch Gemeindezentren der Sikhs, von denen es knapp 30 in Deutschland gibt, zwei in Essen. Und dieser hier, im Gewerbegebiet nördlich der Uni macht gerade Medienkarriere: Es gibt Live-Schalten ins Netz, Kommentare, Szenenfotos aus dem Umfeld, es gibt ein 16-sekündiges Ton-Dokument mit der Explosion in Sekunde sechs und schon zur Tagesthemen-Zeit ein Handy-Video, gedreht nur acht Minuten nach dem Anschlag.

Polizei findet nach der Tat eine Maske

Das sieht abgebrüht aus, aber in Wahrheit wühlt es sie alle auf, die vor der Tür stehen: Denn hier kommen sie ja sonst aus dem gesamten Ruhrgebiet hin, um zu beten oder auch Musik zu machen.

So wie Shanker Sachdeva aus Dortmund, dem die Knie noch schlottern: Oben im ersten Stock hat seine 13-jährige Tochter Malvika Unterricht gehabt, als unten der Sprengsatz detonierte. Er wüsste keinen Grund, warum jemand so etwas der Gemeinde antun könnte: „Wir sind sehr friedliche Leute. Wir haben keinen Streit, gar nichts.“

„Sunny“ hätte dagegen eine Theorie. Sein Bruder will den maskierten und mit einer Jogginghose bekleideten Täter gesehen haben, wie er die Bombe vor den Eingang schleuderte, wie er wegrannte und die Maske nicht weit entfernt ins Gebüsch warf. In der Tat hat die Polizei das Teil ausgemacht, sucht es nach DNA-Spuren ab und beteuert, „in alle Richtungen“ zu ermitteln.

Polizeischutz für beide Essener Sikh-Gemeinden und ihre Präsidenten

Dabei arbeite man „mit den indischen Behörden zusammen“, sagt Polizeipräsident Frank Richter tags darauf – wie immer man sich das vorstellen mag. Zuvor hat er gemeinsam mit Oberbürgermeister Thomas Kufen den indischen Generalkonsul Raveesh Kumar getroffen, man hat Polizeischutz für beide Essener Sikh-Gemeinden und ihre Präsidenten angeordnet und versichert sich der gegenseitigen Solidarität, was auch sonst?

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Durch den Vorfall am Sikh-Tempel, so Kufen, „sind wir auch als Stadt getroffen worden.“ Wieder muss er nach Worten gegen die Gewalt suchen. Erst am Freitag hatte er die Selbstjustiz unter libanesischen Kurden scharf kritisiert.

Wo die Täter diesmal zu finden sind? Jedenfalls nicht in dem luxuriösen schwarzen Mercedes G350, den die Polizei noch am Tatabend auf der Bottroper Straße stoppt. Gemeindemitglieder hatten das Fahrzeug in der Nähe ihres Tempels gesehen, aber die drei Insassen haben ein Alibi, kommen nur knapp zwei Stunden nach ihrer vorläufigen Festnahme wieder frei.

In der Bersonstraße, wo die Sikhs größtenteils lieber nicht mit den Journalisten sprechen mögen, schießen derweil die Gerüchte ins Kraut. Man habe, sagt „Sunny“ nach langem Zögern, schließlich ein Islamismusproblem, was entsprechend feindlich gesinnte Twitter-Kommentare im Netz zu bestätigen scheinen. „Das wird nicht kleiner“, meint „Sunny“ und dreht sich noch ein letztes Mal um: „Dank Merkel.“

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