Essen. . Die Industrie- und Handelskammer besteht seit 175 Jahren und sieht sich trotz des Strukturwandels nach wie vor als politisches Schwergewicht.
Rund 800 Gäste werden am Montag in der Philharmonie den 175. Geburtstag der Industrie- und Handelskammer (IHK) zu Essen feiern. Vorab sprach Janet Lindgens mit der Präsidentin Jutta Kruft Lohrengel und dem Hauptgeschäftsführer Gerald Püchel.
175 Jahre IHK, wie geht es der Jubilarin?
Jutta Kruft-Lohrengel: Sie fühlt sich jung und frisch und ist voller Tatendrang.
Im Alter von 175 Jahren könnte sie sich ja auch selbstzufrieden zurücklehnen.
Gerald Püchel: Vor dem Hintergrund der Pflichtmitgliedschaft sollten wir alles andere tun, als uns zurückzulehnen. Wir haben in der IHK eine junge Truppe, die auf der Höhe der Zeit ist und die die Anforderungen der Wirtschaft kennt und gut umsetzt.
Ist eine solche Pflichtmitgliedschaft bei einer Kammer überhaupt noch zeitgemäß? Die IHK tritt doch schließlich für ein freies Unternehmertum ein.
Kruft-Lohrengel: Die Pflichtmitgliedschaft ist schon allein deshalb wichtig, um das Leistungsspektrum, das uns der Gesetzgeber als Auftrag gegeben hat, zu erfüllen. Dazu gehören zum Beispiel die berufsbildenden Prüfungen.
Püchel: Ohne Pflichtmitgliedschaft wären wir ein freiwilliger Zusammenschluss. In einem solchen Gebilde würde es immer Mitglieder geben, die eine bedeutendere Rolle spielen wollen und die dafür sorgen, dass sich ihre Meinung durchsetzt. Ich sehe das als einen wahren Wert der IHK an, dass jedes Unternehmen, egal wie groß und wie viel Beitrag es zahlt, nur eine Stimme in der Vollversammlung hat. Das macht für eine Kammer die Schultern breit.
Schaut man auf die Liste der Präsidenten, dann standen früher große Industrielle und Bankiers an der Spitze der IHK. Seit dem Bauunternehmer Dirk Grünewald und Ihnen, Frau Kruft-Lohrengel, sind es nun zwei Vertreter des Mittelstandes. Wie mächtig ist die IHK heute noch?
Kruft-Lohrengel: Macht ist nicht das Thema. Es geht um Kompetenz. Ich sehe aber schon, dass wir in politischen Debatten weiter ein Schwergewicht sind.
Püchel: Man hört immer noch auf uns, auch weil wir demokratisch legitimiert mit gewählten Unternehmern an der Spitze das gesamte Spektrum abdecken. Andere Organisationen, wo sich meinetwegen die großen Köpfe versammeln, können das für sich nicht in Anspruch nehmen.
Manchmal hat man aber schon den Eindruck, dass die IHK der einsame Rufer im Wald ist. Man denke an den Weiterbau der A 52 oder die Diskussion um neue Gewerbeflächen. Da wirken die Forderungen der IHK fast reflexhaft, ja mantragleich.
Püchel: Öffentlich fühlen wir uns häufig einsam. Hinter den Kulissen sind wir es nicht. Da bekommen wir viel Schulterklopfen. Von denjenigen würden wir uns mehr öffentliche Unterstützung wünschen. Warum sollten wir aufhören, die Stimme zu erheben? Es sind die großen Themen, da rücken wir nicht ab. Wenn das mantragleich ist, bitte.
Die IHK Essen ist bereits seit 1911 die Kammer für die Städte, Mülheim, Essen, Oberhausen – also für die MEO-Region. Dass MEO auf der kommunalen und politischen Ebene funktioniert, kann man nicht gerade behaupten. Der Flughafen oder die Straßenbahnlinie 105 sind gute Beispiele dafür. Ist MEO nicht nur ein theoretisches Konstrukt?
Kruft-Lohrengel: Der Begriff MEO wird schwächer. Dabei sind die Probleme der drei Städte gleich, was eine Zusammenarbeit eigentlich einfacher machen würde. Ich denke dabei an Stichworte wie Flächen, Haushalt oder die Infrastruktur.
Püchel: Der Begriff MEO stammt noch aus einer Zeit, als es eine gewisse Aufbruchstimmung gab. Jetzt erleben wir, dass sich das Kirchturmdenken in den Städten – vielfach aus der finanziellen Not heraus geboren – wieder durchsetzt. MEO wird nicht mehr belebt.
Kruft-Lohrengel: Dabei gäbe es genügend Ansätze, gerade wegen der Haushaltsnöte: Wir vermissen zum Beispiel, dass die Wirtschaftsförderer der Städte ein gemeinsames Flächenmanagement entwickeln. Oder dass Synergien genutzt werden. Nicht jede Stadt braucht noch ein Katasteramt.
Püchel: Vieles davon wird zwar auch von den neuen Möglichkeiten des Regionalverbandes Ruhr überlagert, der die Zusammenarbeit zwischen den Revier-Städten verbessern will. Dennoch wäre MEO ein guter Anfang dafür. Doch der Wille hängt allein von den politischen Spitzen ab.
Auch die IHK treibt das Thema Geld um. Wie es heißt, werden die Beitragseinnahmen dieses Jahr sinken. Woran liegt das?
Püchel: Essen hat in hohem Maße von den Erträgen der Energiewirtschaft gelebt. Das ist vorerst vorbei. Auch unsere Umlage ist ertragsabhängig und hängt praktisch an den Ermittlungen zur Gewerbesteuer. Wenn diese sinkt, sinken auch unsere Einnahmen. Wir werden dieses Jahr ein negatives Ergebnis einfahren. Aber dafür sind die Rücklagen da, um dieses auszugleichen. Der Kammerhaushalt ist noch auf viele Jahre stabil.
Es sieht aber nicht danach aus, als würden sich die Energiekonzerne schnell erholen und somit auch die Einnahmen für die IHK. Werden Sie über höhere Beiträge reden müssen?
Püchel: Nein, im Moment müssen wir nicht reagieren. Es ist ja auch nicht so, als wären die Energiekonzerne die einzigen Steuer-Leistungsträger gewesen.
Andererseits könnte die Kammer Kosten sparen.
Kruft-Lohrengel: Die IHK ist schlank aufgestellt. Wenn man sparen wollte, müsste man Leistungen kürzen. Solange wie wir uns das leisten können, werden wir das nicht tun.
Die IHK legt bislang nicht Ihr Geschäftsführergehalt offen, Herr Püchel. Warum scheuen Sie sich davor?
Püchel: Ich persönlich scheue mich davor gar nicht. Wir werden diese Frage im November in den Gremien behandeln. Bundesweit gibt es aber eine deutliche Mehrheit bei den Kammern, die das nicht wollen. Wenn man sich einheitlich verhalten will, dann sollte man nicht ohne Not ausscheren. Ich sage Ihnen heute also nichts.
Kruft-Lohrengel: Wir haben im Moment diesen Konsens innerhalb der Gesamtorganisation, und solange dieser besteht, werden wir nicht ausscheren. Ich kenne das Gehalt von Dr. Püchel und versichere: Wir brauchen uns mit dieser Zahl nicht zu verstecken.
Es gibt aber Kammern, die sind ausgeschert. Danach hagelte es jedoch Kritik an der Höhe der Gehälter. Haben Sie davor Sorge?
Püchel: Nein, das müssten Sie bei mir nicht befürchten.
Als Geburtstagskind darf man sich etwas wünschen. Essen hat einen neuen Oberbürgermeister. Was wäre der Wunsch der IHK an Thomas Kufen?
Kruft-Lohrengel: Dass er den Weg hin zu soliden Finanzen konsequent fortsetzt. Wir müssen es schaffen, dass die Stadt wieder investiert und so Impulse für die Wirtschaft gibt.
Püchel: Dass die Stadt erkennt, dass sie ihre Steuereinnahmen auch dadurch erhöht, indem sie mehr Wirtschaft ansiedelt. Da sind wir bei der Flächenproblematik. Das Thema muss endlich entschieden werden.