Essen. Im Essener Univiertel gelang es, solvente Käufer und Mieter in ein schwieriges Umfeld zu locken. Nun schwappt Drogenkriminalität ins Neubaugebiet.
Plötzlich wird es hektisch auf dem Viehofer Platz. Ein Streifenwagen hält an den Treppen, die vor der Kirche St. Gertrud hinab zur U-Bahn-Station Rheinischer Platz führen. Zwei Männer rennen hinunter, die Beamten hinterher. Es ist Donnerstag, 16.15 Uhr. Der Einsatz gilt den Drogendealern, die an diesem Nachmittag davonkommen. Informiert über deren Geschäfte hatte zuvor ein Bürger die Polizei.
Erfahrene Anwohner in der nördlichen Innenstadt beobachten solche Szenen regelmäßig seit vielen Jahren. Die Mieter und Eigentümer, die vor nicht allzu langer Zeit die schicken Neubauten im Univiertel auf der gegenüberliegenden Seite der Friedrich-Ebert-Straße bezogen, haben vielleicht nicht alle gewusst, in welcher schwierigen Umgebung ihre schöne Siedlung entstanden ist. Sie betrachten mit einigem Unbehagen, was sich da in ihrer Nähe tut. Das zumal die Drogenprobleme inzwischen mitten in ihr teures Viertel schwappen.
So häufen sich Fälle, dass Anwohner in den Hauseingängen Konsumenten erwischen, die sich gerade die Spritze setzen. Von den Dealer-Gestalten ganz zu schweigen: „Im Uni-Parkhaus hinter unseren Häusern haben sie offensichtlich ihre toten Briefkästen angelegt“, hat einer beobachtet. Auch die städtische Wohnbaugesellschaft Allbau weiß bescheid. Mieter berichteten neuerdings immer öfter von „negativen Tendenzen“, bestätigt Dieter Remy, Sprecher des Unternehmens, dem der große Wohnblock „Pier 78“ auf dem Gelände gehört.
Polizei will "Unruhe in der Szene verbreiten"
„Seit mehr als zehn Jahren beobachte ich die Situation rund um den Rheinischen Platz“, sagt ein Büromitarbeiter, dessen Weg zur Arbeit tagtäglich durch einen der schummerigen Tunnel von der U-Bahn hoch auf den Platz führt. Diese Zugänge führen in drei Richtungen, den Kriminellen dienten sie als gute Fluchtwege, erläutert er. Männer stünden dort in Gruppen von fünf bis sechs, die „wohl mit Drogen handeln“. Ab und zu sehe er auch Polizeieinsätze: „Dann kriegen die Polizisten die auch.“ Wirklich verdrängt hätten sie die Dealer aber nie. Unter den Nachbarn seien diese Gruppen daher immer wieder Thema.
Für die Polizei gehört der Rheinische Platz wie der Berliner Platz und Quartiere in Altendorf seit vielen Jahren zu den Brennpunkten des Essener Drogenhandels. „Wir haben diese Plätze scharf im Blick, auch um Unruhe in der Szene zu verbreiten“, sagt Polizeisprecher Marco Ueberbach, der von häufigen Festnahmen spricht. Im Einsatz sind neben den Streifenbeamten, Zivilfahnder, Kräfte der Hundertschaft sowie Diensthundeführer. Die Polizei arbeitet zudem eng mit Ordnungsamt und Evag zusammen. „Wichtig sind aber ebenso Hinweise der Bürger“, sagt Ueberbach. Die Kriminalpolizei bündele alle Informationen, um neben geplanten Einsätzen auch schlagartig reagieren und die Dealer überraschen zu können.
Neue Gesamtkonzeption angepeilt
Auch der Allbau hat inzwischen reagiert. Sowohl das Unternehmen als auch die Mieter selbst stünden in Kontakt mit der Polizei, wenn sie „Verfehlungen“ beobachten, sagt Dieter Remy. Zur Zeit werde diskutiert, die kleine Fläche zwischen dem Uni-Parkhaus und dem „Pier 78“ übersichtlicher zu gestalten, um den Dealern „Ruckzugsmöglichkeiten“ zu nehmen. „Gleichzeitig gehen wir davon aus, dass eine Modernisierung des Parkhauses als auch das Ende der Bautätigkeiten im Univiertel die Probleme ebenfalls minimieren würden“, sagt Remy. Dennoch solle sich ein Runder Tisch mit der Problemen beschäftigen, damit die Grüne Mitte „weiterhin ein Vorzeigeprojekt für Brachflächenentwicklung in Innenstädten ist“.
Hoffnungen, von denen man nicht weiß, ob sie sich erfüllen. Die Stadt jedenfalls sieht aktuell wenig Möglichkeiten zu helfen. „Mir ist auch zu Ohren gekommen, dass es mehr Probleme gibt als früher“, sagt Ordnungsdezernent Christian Kromberg. „Aber was soll ich machen mit meinen zwölf Ordnungskräften für die ganze Stadt? Selbst wenn es 20 wären, würde das nicht viel ändern.“ Im Univiertel und am Rheinischen Platz stellten sich Grundsatzfragen: „Wer hat überhaupt die Möglichkeit etwas zu tun?“ Die Polizei sei erkennbar mit anderen Aufgaben belastet, als dass sie sich intensiv um Drogenkriminalität kümmern könne. „Ich werde mit dem Polizeipräsidenten, der dafür aufgeschlossen ist, an einer Gesamtkonzeption arbeiten.“
Bis dahin wird im Univiertel wohl noch manche prekäre Situation zu überstehen sein.