Essen. Reinhard Paß (SPD) bilanziert seine Amtszeit, spricht über die Flüchtlingslage, Herausforderer Thomas Kufen und Ziele im Fall einer Wiederwahl.

Herr Paß, schon kurz nach Beginn Ihrer Amtszeit haben Sie einmal geklagt, es mangele an Respekt vor dem Stadtoberhaupt. Hat sich das durch die sechs Jahre gezogen?

Reinhard Paß: Es gibt einen mangelnden Respekt gegenüber allen Amtsträgern bis hin zu Polizei und Feuerwehr. Das ist ein Kulturwandel und davon ist auch ein Oberbürgermeister betroffen. Ich merke das auch daran, dass man den OB einbestellt oder es zumindest versucht. Etwa zu Podiumsdiskussionen. Die Erfahrung des mangelnden Respekts setzte mir anfangs erst mal zu, das räume ich ein.

Hat Sie das Amt aufgezehrt?

Paß: Oberbürgermeister ist eine anspruchsvolle Tätigkeit, die in 40 Wochenstunden nicht zu bewältigen ist, es sind eher 70. Das Amt hat mich aber nicht aufgezehrt, es hat mich herausgefordert.

Wenn Sie zurückblicken: Was war das Leitthema?

Paß: Es war die Haushaltskonsolidierung, der ich mich zu stellen hatte. Mir ist sehr schnell klar gewesen, dass wir als Stadt ohne die Einhaltung der von der Aufsichtsbehörde gesetzten Rahmenbedingungen Entscheidungsspielräume verlieren. Dennoch konnten wir vieles umsetzen: Verbesserungen bei der Bildung und Kinderbetreuung, in bescheidenem Maße auch bei der Infrastruktur. Auch die Messe-Ertüchtigung rechne ich zu den Erfolgen.

Der Bürgerentscheid hat Ihre Ambitionen aber unsanft gebremst.

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Paß: Ja, und als Folge mussten wir auf einiges verzichten. Wir wollten uns als Kongress- und Tagungsstandort stärker profilieren, und unsere Chancen am Markt wären mit der ursprünglichen Variante besser gewesen. Aber ich denke, wir kriegen – wenn auch in modifizierter Form – dennoch etwas Gutes hin.

Viel Unzufriedenheit beim städtischen Personal

Wer sich umhört, bekommt auch beim städtischen Personal sehr viel Unzufriedenheit gespiegelt.

Paß: Dieselben Menschen wissen aber genau: Egal wer hier sitzt, es wird keine grundsätzliche Änderung am Sparkurs geben. Ich lebe immer wieder Mitbestimmung auf Augenhöhe vor, ich war ja selbst einmal Betriebsrat. Sicher sind die Rahmenbedingungen nicht ideal. Aber an mir wissen die Mitarbeiter, was sie haben.

Sie betonen im Wahlkampf die gute wirtschaftliche Entwicklung in Essen. Die Arbeitslosigkeit wirkt aber weiter wie betoniert. Warum?

Paß: Arbeitsplätze werden von Unternehmen geschaffen, nicht vom Oberbürgermeister. Wir müssen es ermöglichen, dass Unternehmen in unserer Stadt wirtschaften können. Die Arbeitsplätze, die in den letzten Jahren entstanden sind, nützen aber gering qualifizierten Langzeitarbeitslosen in der Regel wenig. Wir haben nun einmal einen großen Anteil von Menschen, die - warum auch immer – eine zu geringe oder unpassende Qualifikation haben. Das wichtigste ist aus meiner Sicht, nachwachsende Generationen zu qualifizieren. Wir müssen Bildungsangebote offerieren, und manchmal müssen Bildungsinstitutionen auch als Familienersatz dienen.

Frintrop: ein Gefühl, als nähmen wir den Menschen etwas weg

Das große Thema dieser Tage ist die Flüchtlingswelle. Es gibt auch in Essen viel Hilfsbereitschaft, dennoch fragt man sich, ob die Stadt nicht schon bald überfordert ist.

Paß: Wenn es uns weiterhin gelingt, das Thema so zu bearbeiten wie bislang, dann habe ich da keine Sorge. Wir müssen die Menschen würdig unterbringen und versorgen. Die soziale Integration hat bisher dann der Bürger mit übernommen, in ehrenamtlichem Engagement, mit runden Tischen. Solange wir als Stadt unsere Arbeit leisten können, wird auch der Bürger nicht überfordert.

Der relativ leicht verfügbare Raum für Zeltstädte ist aber endlich.

Paß: Die Zeltstädte sind nicht für die Ewigkeit,wir brauchen feste Unterkünfte, diese sind im Bau. Wir erwarten natürlich von Bund und Land Entlastungen. Es muss Quotierungen innerhalb der EU geben. Die Asyl-Verfahren müssen kürzer werden, das hilft letztlich auch den betroffenen Menschen. Wir müssen sie in ihre Herkunftsländer zurückführen, wenn sie keine Chance auf Asyl haben. Solange all das nicht geklärt ist, müssen wir unserer Pflicht nachkommen, Obdachlosigkeit zu vermeiden. Ob das Grenzen hat, darüber wage ich nicht zu spekulieren.

Essens Stadtoberhäupter

Das vierte Rathaus und das vorerst letzte. 1979 wurde außerhalb des alten Stadtkerns das damals höchste Rathaus der Republik gebaut. Nach einem vorbildlichen Architektenwettbewerb wurde der erste Preis leider nicht realisiert - der sah zwei 115 Meter hohe Zwillingstürme mit einem luftigen und hellen Ratstrakt dazwischen vor.  Die Lösung brauchte zu viel Platz - so kam es zum „Ypsilon“, in das auch der nächste OB  - wer immer es ist - einziehen wird.
Das vierte Rathaus und das vorerst letzte. 1979 wurde außerhalb des alten Stadtkerns das damals höchste Rathaus der Republik gebaut. Nach einem vorbildlichen Architektenwettbewerb wurde der erste Preis leider nicht realisiert - der sah zwei 115 Meter hohe Zwillingstürme mit einem luftigen und hellen Ratstrakt dazwischen vor. Die Lösung brauchte zu viel Platz - so kam es zum „Ypsilon“, in das auch der nächste OB - wer immer es ist - einziehen wird. © Knut Vahlensieck / FUNKE Foto Services
„Alter Recke des Reviers“ - so nannte  ihn einmal respektvoll der NRW-Ministerpräsident Heinz Kühn. Tatsächlich war der in jungen Jahren aus Ostpreußen nach Essen gezogene gelernte Schmied Wilhelm Nieswandt ein knorriger Typ, der Revierpolitiker schlechthin. Pragmatisch bis auf die Knochen, gradlinig, aber auch autoritär und unbequem prägte der Sozialdemokrat (1956 - 1969) die Nachkriegsentwicklung der Stadt wie vielleicht kein anderer - und das trotz eines Amtes, das eigentlich nur repräsentativen Charakter hatte. Mit Nieswandt begann die Ära der sozialdemokratischen Mehrheiten, er tat viel dafür die SPD zu jener Kümmerer-Partei zu machen, die Essen in vielerlei Hinsicht im Griff hatte. Nieswandt war ein Bau-Mann, der nicht lange fackeln wollte, wenn etwas der betonierten Moderne im Wege stand: U-Bahnbau, die autogerechte Stadt, aber auch die Erweiterung des Grugaparks sind mit seinem Namen verbunden.
„Alter Recke des Reviers“ - so nannte ihn einmal respektvoll der NRW-Ministerpräsident Heinz Kühn. Tatsächlich war der in jungen Jahren aus Ostpreußen nach Essen gezogene gelernte Schmied Wilhelm Nieswandt ein knorriger Typ, der Revierpolitiker schlechthin. Pragmatisch bis auf die Knochen, gradlinig, aber auch autoritär und unbequem prägte der Sozialdemokrat (1956 - 1969) die Nachkriegsentwicklung der Stadt wie vielleicht kein anderer - und das trotz eines Amtes, das eigentlich nur repräsentativen Charakter hatte. Mit Nieswandt begann die Ära der sozialdemokratischen Mehrheiten, er tat viel dafür die SPD zu jener Kümmerer-Partei zu machen, die Essen in vielerlei Hinsicht im Griff hatte. Nieswandt war ein Bau-Mann, der nicht lange fackeln wollte, wenn etwas der betonierten Moderne im Wege stand: U-Bahnbau, die autogerechte Stadt, aber auch die Erweiterung des Grugaparks sind mit seinem Namen verbunden.
Sie ging in eine Ratssitzung, in der sie zur zweiten Bürgermeisterin gewählt werden sollte und kam nach Reuschenbachs Verzicht heraus als  Oberbürgermeisterin. Annette Jäger (1989 - 1999) war in der langen Essener Geschichte die erste Frau, die das Amt des Stadtoberhaupts errang und sie wurde es anfangs wider Willen. Es ist eine schöne Pointe der kommunalpolitischen Geschichte, dass dann sogar eine lange Ära daraus wurde. Jäger war kaufmännische Angestellte und arbeitete bei Stadt und Stadtwerken, machte eine klassische ehrenamtliche sozialdemokratische Karriere mit Mandaten im Rat der Stadt. Sie beschränkte sich auf die repräsentative Funktion, die das Amt des Oberbürgermeisters bis zur Kommunalreform 1999 „eigentlich“ ohnehin auch nur vorsah. Im Laufe der Zeit gewann sie Profil, doch die Machtkämpfe in Stadt und Partei, die schließlich viel zum Ende der SPD-Ära in Essen beitrugen,  konnte sie nicht schlichten.
Sie ging in eine Ratssitzung, in der sie zur zweiten Bürgermeisterin gewählt werden sollte und kam nach Reuschenbachs Verzicht heraus als Oberbürgermeisterin. Annette Jäger (1989 - 1999) war in der langen Essener Geschichte die erste Frau, die das Amt des Stadtoberhaupts errang und sie wurde es anfangs wider Willen. Es ist eine schöne Pointe der kommunalpolitischen Geschichte, dass dann sogar eine lange Ära daraus wurde. Jäger war kaufmännische Angestellte und arbeitete bei Stadt und Stadtwerken, machte eine klassische ehrenamtliche sozialdemokratische Karriere mit Mandaten im Rat der Stadt. Sie beschränkte sich auf die repräsentative Funktion, die das Amt des Oberbürgermeisters bis zur Kommunalreform 1999 „eigentlich“ ohnehin auch nur vorsah. Im Laufe der Zeit gewann sie Profil, doch die Machtkämpfe in Stadt und Partei, die schließlich viel zum Ende der SPD-Ära in Essen beitrugen, konnte sie nicht schlichten. © Kerstin Kokoska/FUNKE Foto Services
Wolfgang Reiniger  (1999 - 2009) galt als krasser Außenseiter  – und schaffte 1999 die Sensation. Bei der ersten  Wahl des hauptamtlichen Oberbürgermeisters schlug der Christdemokrat den hohen Favoriten Detlev Samland (SPD). Ein  Unions-Mann an der Spitze des Essener Rathauses – jäh ging die Ära der machtverwöhnten Sozialdemokraten zu Ende.  Und das gleich im ersten Wahlgang. 2004 gewann er gegen Reinhard Paß. Doch als er nach zehn Jahren Amtszeit, abtrat, fiel die Bilanz eher durchwachsen aus. „In Erinnerung bleibt das Bild eines zurückgenommenen Stadtoberhauptes“, schrieb diese Zeitung. Der Mann, von Beruf Jurist, habe den Konzern Stadt eher im Stil eines Notars und Anwalts geführt. Die einen empfanden Reinigers Bescheidenheit und Rechtschaffenheit als Zier, Kritiker nannten ihn entscheidungsschwach und unpolitisch. Er selbst sagte: „Ich muss nicht über jedes Stöckchen springen, das man mir hinhält.“
Wolfgang Reiniger (1999 - 2009) galt als krasser Außenseiter – und schaffte 1999 die Sensation. Bei der ersten Wahl des hauptamtlichen Oberbürgermeisters schlug der Christdemokrat den hohen Favoriten Detlev Samland (SPD). Ein Unions-Mann an der Spitze des Essener Rathauses – jäh ging die Ära der machtverwöhnten Sozialdemokraten zu Ende. Und das gleich im ersten Wahlgang. 2004 gewann er gegen Reinhard Paß. Doch als er nach zehn Jahren Amtszeit, abtrat, fiel die Bilanz eher durchwachsen aus. „In Erinnerung bleibt das Bild eines zurückgenommenen Stadtoberhauptes“, schrieb diese Zeitung. Der Mann, von Beruf Jurist, habe den Konzern Stadt eher im Stil eines Notars und Anwalts geführt. Die einen empfanden Reinigers Bescheidenheit und Rechtschaffenheit als Zier, Kritiker nannten ihn entscheidungsschwach und unpolitisch. Er selbst sagte: „Ich muss nicht über jedes Stöckchen springen, das man mir hinhält.“ © Ulrich von Born/FUNKE Foto Services
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Einem Drittel der Essener macht die Flüchtlingswelle laut einer WDR-Umfrage Angst. Verstehen Sie das?

Paß: Ich verstehe das schon. Es gibt auch Angst vor brauner Gesinnung, da geht es gar nicht so sehr um die Flüchtlinge, sondern um das, was gesellschaftlich dadurch ausgelöst wird. Bisher ist es in Essen gut gelungen, die Reihen zu schließen. Es geht darum den sozialen Frieden zu sichern. Deshalb wollen wir den Bürgern beispielsweise auch keine Turnhallen wegnehmen. Das haben wir natürlich nicht hundertprozentig im Griff, wer weiß welcher Flüchtlingszug morgen kommt. Allerdings sehen wir in diesen Tagen: Helfen vermittelt auch ein gutes Gefühl.

In Frintrop ist die Lage teilweise eskaliert: Was sagen Sie als Stadtoberhaupt diesen Menschen?

Paß: Ich habe den Eindruck, dort ist ein Gefühl entstanden, als nähmen wir den Menschen etwas weg. Da existiert eine Notunterkunft in einer ehemaligen Grundschule, die nie auf Dauer gedacht war. Es gab die Zusage der Stadt: „Wir arbeiten dran“, und das wurde dann mit der Zeit als Versprechen interpretiert, die Schule wieder zu räumen. Das war uns aber nicht möglich, und dann hieß es schnell: Das sind Lügner bei der Stadt. Das ist falsch und ungerecht.

Reinhard Paß über Thomas Kufen: „Der ist ein Parteisoldat“

Zwischen ihnen und wichtigen Parteifreunden scheint nach wie vor schlechte Stimmung zu herrschen. Beim Alkoholverbot auf dem Willy-Brandt-Platz hat die SPD-Fraktion Sie hängenlassen.

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Paß: Ich habe weiterhin die Hoffnung. dass man das gesamte Konzept betrachtet. Es geht ja längst nicht nur um das Alkoholverbot, alleine würde das nichts bringen, da sind wir in der SPD nahe beieinander. Es ging in erster Linie um das Urinal und die Verlagerung der Szene und als dritten Punkt habe ich ein Alkoholverbot für sinnvoll gehalten und stehe auch dazu. Die Diskussion war viel zu sehr auf das Verbot fokussiert. Das kann aber wieder auf die Tagesordnung kommen.

SPD-Fraktionschef Rainer Marschan sagte, Sie redeten nicht mit ihm.

Paß: So was wird immer wieder von außen behauptet. Wir haben seit Februar über das Alkoholverbot geredet, das hat jeder mitbekommen. Es gibt zwischen Fraktion und Oberbürgermeister eben eine Arbeitsteilung, ein Stück Distanz beim Ringen um die beste Lösung. Das ist vom Prinzip her auch nicht schlecht.

Warum?

Paß: Weil ich der Oberbürgermeister aller Essener bin. Das ist auch ein großes Unterscheidungsmerkmal zu meinem Mitbewerber Herrn Kufen. Der ist ein Parteisoldat. Bei mir gilt tatsächlich: Zuerst die Stadt, dann die Partei. Wer daran zweifelt, hat jahrelang keine Zeitung gelesen.

Es geht nicht um Ideologie, sondern um Lebensqualität

In einer Veranstaltung haben Sie einmal bemerkt, inhaltliche Unterschiede zwischen Ihnen und Kufen gäbe es eigentlich nicht. Gilt das weiter?

DemokratiePaß: Kommunalpolitik ist keine ideologische Veranstaltung: Alle wollen saubere Schultoiletten, keiner will Schlaglöcher. Die Sachzwänge sind die selben. Um Ihre Frage zu beantworten, müsste ich jetzt das Programmatische bei Herrn Kufen herausarbeiten, von dem ich allerdings bisher nichts wahrgenommen habe. Das ist, da bitte ich um Verständnis, aber auch nicht mein Thema.

Wenn Sie wiedergewählt würden, was wäre Ihre Version für Essen?

Paß: Ich möchte meinem Nachfolger oder meiner Nachfolgerin einen ausgeglichen Haushalt hinterlassen. Und ich will die Bildungslandschaft fördern – immer eine Schule im Bau ist meine Leitlinie für die nächsten Jahre. Bei den Gewerbeflächen müssen wir wieder eine Vorratsplanung etablieren – deshalb wollen wir mit Thyssen-Krupp ins Geschäft kommen. Nicht zu vergessen, die grüne Hauptstadt Europas 2017. Wobei ich betone: Es geht mir auch dabei nicht um Ideologie, sondern um Lebensqualität für die Essener.

Das Interview führte Frank Stenglein.

Die Essener OB-Kandidaten bei Abgeordnetenwatch: