Essen. Café-Betreiber Mohamad Masri hat Angst um seine Familie: Nachdem er sich hilfesuchend an die Polizei wandte, werde er von Clanmitgliedern bedroht.
Mohamad Masri ist 1989 mit seinen Geschwistern aus dem Libanon geflohen, als Kind politisch verfolgter Eltern. Sein Weg führte ihn über Frankreich nach Essen, wo er heute ein Café in der Nordcity betreibt und wo seine fünf Kinder geboren sind. Die leben allerdings inzwischen mit ihrer Mutter seit einem Jahr wieder im Libanon. Er habe Angst um seine Familie, sagt Masri: Mitglieder libanesischer Familienclans hätten sie hier in Essen bedroht.
Genau das hat er inzwischen in Briefen an den Oberbürgermeister, den Polizeipräsidenten und ans Innenministerium nach Düsseldorf geschrieben. Er schildert darin seine Sicht der Situation rund um die I.Weberstraße in der Nordcity. Dort sollen regelmäßig Jugendliche aggressiv auftreten und durch ihr Verhalten auch Passanten einschüchtern, berichtet Masri, der politisch im Integrationsrat aktiv ist und auch als Schöffe Erfahrung sammelte.
Während der grüne Ratsherr Ahmad Omeirat kürzlich betonte, „weder gibt es hier rechtsfreie Räume noch besteht die Gefahr eines Abrutschens ganzer Stadtteile“, berichtet sein Landsmann Masri nun vom Gegenteil. Sein Ärger habe angefangen, als vor rund zwei Jahren einige junge Libanesen zu Gast in seinem Café waren „und statt ihre Speisen zu zahlen, einen Euro auf die Theke legten“. Das wollte Masri nicht auf sich sitzen lassen.
Scheiben eingeschlagen, Autoreifen zerstochen und Kinder bedroht
„Ich habe Strafanzeige erstattet“, sagt er und hat damit so gehandelt wie es sich die Polizei von dieser Community grundsätzlich erhofft. Die Realität jedoch sieht anders aus, da Mitglieder der Großfamilien ihre Konflikte regelmäßig selbst klären. Über die tatsächlichen Hintergründe wird laut Polizei häufig nichts bekannt. Aussagen, die kurz nach dem Konflikt gegenüber der Polizei gemacht werden, sind spätestens vor Gericht vergessen. Das zeigte wieder ein Prozess in der vergangenen Woche, in dem das Opfer sich an seine Aussage gegenüber den Beamten nicht mehr erinnern konnte.
Vorwürfe gegen die eigenen Landsleute öffentlich zu erheben und sich an die Polizei zu wenden, damit dürfte Masri in seiner Community daher nicht nur Zustimmung finden – und er weiß das auch. Er handele jedoch aus Sorge um seine Familie und auch um seinen Betrieb. Womöglich müsse er sonst eines Tages Schutzgeld zahlen. Seine Anzeigen aber hätten ihm bereits Unmut eingebracht, glaubt er.
In den vergangenen zwei Jahren seien immer wieder die Scheiben des Cafés eingeschlagen und die Autoreifen zerstochen worden, berichtet er und geht weiter: Sogar seine Kinder seien auf dem Schulweg bedroht worden. Daher wandte er sich nun an Innenminister Ralf Jäger. Das Ministerium wiederum beauftragte das Landeskriminalamt, „die dargestellten Sachverhalte umgehend zu prüfen“.
Im Essener Präsidium habe man alle Vorwürfe aufgenommen, bestätigt Sprecher Ulrich Faßbender. Bei der Kriminalpolizei hat Mohamad Masri inzwischen einen festen Ansprechpartner, wird intensiv betreut: „Mehr können wir nicht tun.“
Masri kennt Gegenden, in die sich Bürger kaum noch trauen
Seine Briefe will Masri auch nicht als Kritik an den Beamten verstanden wissen. Auch das Verhalten seiner Landsleute wolle er nicht verallgemeinern. „Aber es gibt Streit und Probleme“, sagt Masri, der das Gefühl habe, die Lage werde schön geredet. Er kenne Stadtgegenden, wo sich Bürger kaum noch hintrauten.
Masri spricht von jungen Männern, die am Rande der Gesellschaft lebten statt sich mit einer Arbeit Perspektiven zu schaffen. Er sehe das täglich vor seinem Café und wünsche sich nicht nur mehr Polizeipräsenz, sondern eine politische Diskussion in der Stadt. „Integration und Druck“, nennt er zwei Ansätze. Auch wenn es sich um „einzelne Personen eines Clans“ handele, die durch Aggression auffallen. Die Behauptung vieler Libanesen, der unsichere Duldungs-Status sei der Grund für alle Probleme, hält Masri für vorgeschoben. „Wenn der Wille da ist, können Geduldete arbeiten.“
Er würde sich gern wieder auf sein Geschäft konzentrieren. Allein dafür müsse nun erst einmal Ruhe einkehren an der I. Weberstraße. Vom Innenminister wünscht er sich „die Wiederherstellung der Normalität“.
Die heikle Mission der libanesischen Familien Union in Essen
Der 2008 gegründete Verein der Familien Union e.V. hat das Ziel, „den sozialen Frieden zwischen Deutschen und Libanesen zu pflegen “.
Nachdem libanesische Clans sich zu Jahresanfang mehrfach Handgreiflichkeiten lieferten, meldete sich die Familien Union im März in einem Offenen Brief an die Polizeipräsidentin zu Wort: „Mit Sorge blickt unser Verein auf die jüngsten Konflikte in Altendorf sowie in der Innenstadt, bei denen Polizeibeamte dem Widerstand einiger Personen ausgesetzt waren.“ Man distanziere sich und bedauere die Vorfälle. Man wolle nicht zusehen, „wie der Ruf der großen Gemeinde mit libanesischem Migrationshintergrund zerstört wird“. Darum setze sich der Verein für Integration und Wohlverhalten von Jugendlichen ein, etwa mit Sport- und Bildungsangeboten.
Ämter und Polizei nutzen die Familien Union durchaus als Netzwerk-Partner. Schon Joachim Wagner wies in seinem Buch „Richter ohne Gesetz“ (2011) aber darauf hin, dass „die kriminelle Energie einiger libanesisch-kurdischer Großfamilien wie ein Mühlstein auf den Schultern der Gesetzestreuen lastet“. Oft könnten die sich „der Kraft der Blutbande nicht entziehen“. Die Zukunft müsse zeigen, „ob es der Familien Union gelinge, Straftäter fernzuhalten und auszuschließen“.
Im Brief der Familien Union heißt es, sie unterstütze „Familien und Behörden dabei, Konflikte friedlich zu lösen“. Das mag gut klingen; doch nicht nur Wagner warnt, es sei problematisch, wenn die Familien Union als Schlichter zwischen Clans und Staat auftrete – und so eine hoheitliche Aufgabe reklamiere.