Das Essener Nordviertel: Stadtteil zwischen Hoffen und Bangen
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Essen. Das Nordviertel: Kaum irgendwo in Essen liegen soziale und bauliche Gegensätze so nah beieinander. Folge 8 der Stadtteil-Serie „60 Minuten in...“.
Kaum ein Stadtteil ist gegensätzlicher als das Nordviertel: Armut und Reichtum, grüne Idylle und baumlose Straßenschluchten, graue marode Häuserzeilen aus den 1950er Jahren, Altbauten und schicke Neubauviertel liegen hier nebeneinander. Und mittendrin das Zeichen einer Stadt von Welt: die Universität. „Genau diese Gegensätze finde ich spannend und anregend“, sagt Harriet Wölki während sie die Altenessener Straße entlangläuft. Obwohl die Künstlerin erst vor drei Jahren mit ihrer Familie aus dem bürgerlichen Bergerhausen an den Rand der nördlichen Innenstadt gezogen ist, hat sie sich schnell mit dem Nordviertel angefreundet.
Klar kennt sie die vielen Vorurteile, die manche Essener unverhohlen aussprechen, wenn sie hören, wo sie jetzt lebt. Und, ja, sie weiß auch von den großen sozialen Probleme, der Armut, der Kriminalitätsrate, die immer wieder für Negativschlagzeilen sorgen. Aber sie glaubt auch an das Potenzial, dass dieser Stadtteil birgt. „Schauen sie sich um. Hier passiert unglaublich viel.“
Eltingviertel erlebt eine Art Renaissance
Und damit meint die Bildhauerin nicht nur das neue Wohnviertel an der Uni. Nein, es sind die Menschen in ihrem Viertel, die die 54-Jährige im Visier hat. „Wir lernen uns langsam kennen, rücken zusammen, nehmen gemeinsame Projekte in Angriff.“
Das ist das Essener Nordviertel
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Mittlerweile sind wir im Eltingviertel angekommen. Geplant und erbaut als Arbeiterquartier für die Menschen, die einst in der benachbarten Zeche Victoria Mathias arbeiteten, wurden die Straßenzüge mit ihren ansehnlichen Gründerzeithäusern städtebaulich jahrzehntelang nicht oder kaum wahrgenommen. Erst in jüngster Zeit erleben das Viertel eine Art Renaissance, schon allein weil die Deutsche Annington, einer der größten Vermieter im Nordviertel, endlich seinen Aufgaben nachkommt und schon lange fällige Renovierungen vornimmt.
Trotz der alten Pracht und dem neuen Schwung sind die Straßen eher unbelebt. Es gibt wenig Geschäfte und eine Gastronomie sucht man vergebens. Selbst der hübsche Eltingplatz liegt verlassen da. Inzwischen mühen sich mehrere spontan entstandene Initiativen um das Viertel, pflanzen Blumen, veranstalten einen Flohmarkt und versuchen, die Bewohner aus ihren Häusern zu locken. Auch Harriet Wölki hat sich mit ihrem Atelier hier niedergelassen und sucht das Gespräch mit allen Akteuren.
Kuriositäten an der Kleinen Stoppenberger Straße
Ihre Hoffnung auf eine Stadtteilbelebung richtet sich obendrein auf den neuen Teil des Nordviertels, der auf der einstigen Brachfläche des Berliner Platzes erbaut wurde. Auf dem Weg dorthin passieren wir auf der Kleinen Stoppenberger Straße einige Kuriositäten, die die angesprochenen Gegensätze bestätigen. Nur wenige Meter voneinander entfernt finden sich ein Schwulen- und Lesben-Treff, ein Tattoo-Studio, ein Reptilienshop und die streng abgeschottete Assalam-Moschee. Dazwischen ein Kiosk, vor dem ältere Männer schweigend rauchen, die Bierflaschen fest in der Hand.
Vom schicken Univiertel haben sich die Stadtplaner viel versprochen und die Rechnung ist bisher aufgegangen. Es hat finanziell gut gestellte Bürger angelockt, dadurch die soziale Mischung verbessert und die Universität in Richtung Innenstadt geöffnet. Noch wirken die modernen hellen Häuser mit den glatten Fassaden ein wenig steril. Einen Steinwurf entfernt in der Turmstraße steht man dann vor hässlichen architektonischen Überbleibseln: Grau und schmutzig sind die Häuserzeilen, an blinden Fenstern hängen schmuddelige Gardinen. Relikte aus einer Zeit, als die Straßen rings um den Berliner Platz einen schlechten Ruf als „Nachtjackengegend“ hatten. Mittendrin hält Franz Robl in seinem alteingesessenen Angler- und Waffengeschäft die Stellung.
„Weder meine Töchter noch ich haben Angst, uns hier auch abends zu bewegen“, verteidigt Harriet Wölki ihr Viertel. Sie glaubt an den Aufschwung und lässt sich nicht davon abbringen, dass vielleicht in drei, vier oder zehn Jahren das Nordviertel zu den beliebteren Wohnadressen in Essen gehört. Vielleicht behält sie ja recht.
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