Essen. Das Iduna-Hochhaus am Limbecker Platz in Essen steht leer und wird versteigert. Kaspar Kraemer, Sohn des Architekten, hofft auf eine Wiederbelebung.
Kaspar Kraemer steht mit verschränkten Armen vor dem Iduna-Haus und spricht mit angesäuerter Miene. „Ein schöner Anblick, zentral gelegen und ästhetisch absolut modern“, sagt der Architekt, um ein krachendes Aber hinzu zu fügen. „Leider ist es nachträglich ziemlich entstellt worden.“ Das Hochhaus am Limbecker Platz ist das Werk seines Vaters, des renommierten Baumeisters Friedrich Wilhelm Kraemer, des Begründers der „Braunschweiger Schule“.
Sein Essener Iduna-Entwurf von 1961 setzt sich aus zwei markanten Baukörpern zusammen: aus einer schlanken aufrechten Gebäudescheibe und dem breit gelagerten flachen Sockelgeschoss. „Schauen Sie sich unten die schrecklichen Fenster und die billigen, geschmacklosen Kacheln an“, tadelt Kraemer – und fährt fort: „Die Wellblechkiste auf dem Flachbau gehört da nicht hin.“ Über die silberverspiegelten Scheiben ärgert er sich ebenfalls – „die erzeugen ekelhafte Effekte, das ist der Horror“.
Schwerlos, leicht, transparent
Und auch der Blick über den weitläufigen Platz lässt ihn nicht milde werden. Die Aufbauten auf dem Shopping-Center nennt er „Kaninchenställe“ und die Weststadttürme kritisiert er als „Bleistiftstummel in groteskem Fliederton“.
Kraemers Urteil fällt drastisch aus, aber es hat Gewicht. Bis 2007 Präsident des Bundes Deutscher Architekten hat er auch in Essen Spuren hinterlassen – mit Stadtbild prägenden Gebäuden wie der neuen Hochtiefzentrale, dem RWE-Verwaltungsgebäude Altenessener Straße oder der Nationalbank Bredeneyer Kreuz. Obendrein gehörte er etlichen Preisgerichten an – von der Messe über Thyssen-Krupp bis Zollverein.
Freier Geist der Nachkriegszeit
Um Kraemers Missfallen zu erfassen, muss man sich in die Entstehungszeit des Hauses zurückversetzen – und natürlich in die Philosophie seines von Mies van der Rohe inspirierten Vaters. „Er verkörperte den freien Geist der Nachkriegszeit, der das Kolossale der Nazis abschüttelte und sich vom amerikanischen Fortschrittsgedanken beflügeln ließ.“
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Vorbild seiner Iduna-Häuser sei das Lever-House an Manhattans Park Avenue. Ein Stahl-Beton-Skelett, dem eine fast gläserne Fassade („curtain wall“) vorgehängt ist. Über das fast baugleiche Münsteraner Haus heißt es schwärmerisch: „Das Gebäude von unbekannter Schwerelosigkeit, Leichtigkeit und Transparenz war in seiner kompromisslosen Modernität beeindruckend.“ Der Essener Entwurf entsteht in einer Zeit, in der sich die Bergbau-, Stahl- und Kanonenstadt auf den Weg macht, Schreibtisch des Ruhrgebiet zu werden. Eine Zeit auch, in der sie von der „autogerechten Stadt“ träumen: Ein wuchtiges Parkhaus rundet den Komplex ab.
Gut fünfzig Jahre später steht Kaspar Kraemer vor einem schweren Sanierungsfall – leerstehend und reif für die Zwangsversteigerung. Einst ein Traumhaus, heute ein Alptraum. Denkmalschutz? „Für uns überhaupt kein Thema“, winken sie im Rathaus ab. Hat das Haus überhaupt noch eine Zukunft? „Ich würde mich freuen, wenn sich ein Käufer findet, der es revitalisiert“, erwidert Kraemer. Aber er ist Realist genug, um zu wissen, dass auch dies möglich ist: ein Abriss. „Wenn sich kein Käufer findet und die Sanierungskosten zu hoch sind“, sinniert er, „dann könnte dies eine Option sein. Mein Vater hat übrigens auch stets nach vorn geschaut.“
Münster ist stolz auf sein rundum saniertes Hochhaus-Denkmal
Das Iduna-Hochhaus in Münster: Es ist ebenfalls ein Entwurf des Baumeisters Friedrich Wilhelm Kraemer. Doch anders als in Essen erzählt das von 1959 bis 1961 errichtete Münsteraner Haus eine Erfolgsgeschichte.
Mechthild Mennebröcker, Denkmalpflegerin von Münster, verbirgt ihren Stolz auf das Hochhaus am Servatiiplatz nicht. „Es ist das erste Hochhaus in Münster und das erste Hochhaus in Deutschland mit Vorhang-Fassade“, berichtet sie.
Eine interessante Parallele zur Causa Essen: Auch das Bauwerk in Münster war Anfang der 90erJahre heftig umstritten. Damals war der Fassadenvorhang „zerschlissen“ und nicht mehr zu flicken, heißt es. Von Wärmedämmung konnte keine Rede sein. Man heizte zum Fenster raus. So wurde dieselbe existenzielle Frage wie in Essen aufgeworfen: Müssen wir ein solches Gebäude überhaupt erhalten?
Gebäude leergezogen und generalsaniert
Nun, Münster sollte Ja sagen. Und hat es nicht bereut – im Gegenteil. „Es bestand extremer Sanierungsbedarf, daraufhin wurde das Gebäude leergezogen und generalsaniert“, berichtet die Denkmalpflegerin, „die alte Fassade ist abgehängt und durch eine neue ersetzt worden.“ Eine Ertüchtigung, die die Expertin als „absolut gelungen“ bezeichnet. Denn: Wer das Vorher und Nachher vergleiche, stelle fest: „Es ist völlig gleich.“ Die Folge: Schon 1994 stellte Münster das Iduna-Hochhaus unter Denkmalschutz. Einer der Gründe: Unmittelbar am Eingang zur schmucken Altstadt gelegen erzeuge es einen erfrischenden Gegensatz von Moderne und Geschichte.
Seit knapp einem Jahr befindet sich das elfgeschossige Iduna-Hochhaus im Besitz des Münsteraner Architekten und Projektentwicklers Andreas Deilmann. Einem Zeitungsbericht zufolge soll die Kaufsumme im zweistelligen Millionenbereich gelegen haben.
Der neue Eigentümer, so Mechthild Mennebröcker, habe das Gebäude bewusst als Denkmal übernommen, insbesondere weil er seine Qualität zu erhalten beabsichtige und es als Ikone der Architektur der fünfziger und sechziger Jahre ansehe.