Essen. . Im Finale von Hannover besiegten Rahn & Co die Roten Teufel mit 4:3. Bei der Rückkehr bereiteten die Essener der Meisterelf einen triumphalen Empfang.

Essen Hauptbahnhof, der 27. Juni 1955: Es ist genau 16.33 Uhr, als der Sonderzug D 502 an Bahnsteig 3 einrollt. An Bord: die ausgelassene, freudentrunkene Meisterelf von Rot-Weiss Essen. Wenige Minuten später schlägt den Rahns und Islackers, den Gottschalks und Herkenraths, den Helden von Hannover, eine überschäumende Woge der Begeisterung entgegen. „100 000 umjubeln die siegreiche Elf“, titelt die Westdeutsche Allgemeine.

RWE 1953 - 1955: Pokalsieg, Südamerika-Reise, Wunder von Bern, Meisterschaft

Kein lokales Ereignis in der jüngeren Geschichte hat mehr Essener mobilisiert und elektrisiert wie dieser Titelgewinn vor genau sechzig Jahren. Für alle, die diese einzigartige Stimmung aus Euphorie und Zuversicht, Glückseligkeit und Ekstase nachempfinden möchten, haben die Essener Sporthistoriker Uwe Wick und Georg Schrepper pünktlich zum runden Jubiläum das passende Buch (158 Seiten, gebundene Ausgabe, Verlag Die Werkstatt, 22,90 Euro) vorgelegt. Schon der emotionale Titel „Deutscher Meister ist nur der RWE“ offenbart, dass die Autoren, die auch als Vereinsarchivare wirken, gar nicht daran denken, ihren durchaus sympathischen „Rahnsinn“ zu verbergen.

„Rot-Weiss Essen war in jener Zeit schlichtweg Kult“, sagt Ulrich Wick, und beginnt aufzuzählen: der Pokalsieg 1953, die legendäre mehrwöchige Südamerika-Reise 1954 mit Freundschaftsspielen in Buenos Aires, Montevideo, Santiago und Lima, kurz darauf Helmut Rahns grandioses 3:2 in Bern und schließlich: die Meisterschaft 1955. „Rot-Weiss Essen war damals sportliches Aushängeschild und Botschafter des deutschen Fußballs in der Welt“, sagt der Sporthistoriker. Bezeichnend: In den ersten Wochen nach dem Titelgewinn gehen beim charismatischen RWE-Vorsitzenden und Vereinsgründer Georg Melches rund 300 Glückwunschtelegramme und mehr als 400 Briefe aus aller Welt ein. Besonders stolz ist Uwe Wick darauf, ein seltenes und leicht unscharfes Farbbild aus jenen rauschhaften Tagen entdeckt zu haben: Es zeigt Melches, den Vater des Triumphes, zusammen mit Meistertrainer Fritz Szepan bei der Siegesfeier im Vereinsheim stolz die Meisterschale hochhaltend.

„Denkt an die Kriegsgefangenen“

Zehn Jahre nach Auschwitz und Bombenkrieg streicheln die RWE-Triumphe die Seelen der Essener. Die Fotos aus dem reich bebilderten Band bilden nicht nur den unbeschreiblichen Jubel ab, sondern immer wieder auch die Narben des Krieges: etwa die bombardierte Schule hinterm Stadion an der Hafenstraße oder die beklemmende Mahnung am Hauptbahnhof: „Denkt an die Kriegsgefangenen“ (siehe Foto rechts oben).

Uwe Wick, Jahrgang 1959, ist als Elfjähriger vom Rot-Weiss-Virus infiziert worden. „Mein Opa Franz Fromme war seit 1935 Ordner, er hat den Job über Georg Melches bekommen. Wenn er Dienst an der Hafenstraße hatte, kam ich günstiger ins Stadion.“ Nach dem Tod des Großvaters entdeckte Uwe Wick in einer Schublade im Schlafzimmer den kleinen, aber anrührenden Schatz eines leidenschaftlichen Fußballfans: „Ein Heft über die Südamerika-Reise, verschiedene Zeitungsartikel über die Meisterschaft 1955 und ein Mannschaftsfoto mit der siegreichen Elf.“