Essen. . Essen hat sich im Finale um den Titel „Grüne Hauptstadt 2017“ durchgesetzt. In der Endrunde am Mittwoch überzeugte das Essener Team die Jury.

Beim Finale in der Stadt Bristol im Südwesten von England ging es um alles. Der Auftritt vor der Jury entschied mit darüber, dass Essen 2017 den Titel „Grüne Hauptstadt“ trägt.

Um 11 Uhr Ortszeit wurde es ernst für das Essener Team. Es waren für die Mitglieder der Delegation 90 lange Minuten, in denen sie erst eine Dreiviertelstunde lang das Konzept für das „Grüne Hauptstadt“-Jahr 2017 vorstellten und sich dann den Fragen der Jury stellen mussten. „Die haben uns gegrillt“, berichteten Teilnehmer nach der Fragerunde.

Um den Auftritt optimal vorzubereiten, hatte sich das Team professionelle Hilfe ins Boot geholt: Hans-Dietrich Schmidt, Professor für Schauspiel an der Folkwang-Uni, hatte der Dramaturgie des Auftritts den letzten Schliff verpasst. Und weil es galt, ernste Inhalte unterhaltsam zu verpacken, holte sich die Stadt auch Rat bei der Essener Agentur „TAS – Emotional Marketing“.

Essen - Grüne Hauptstadt 2017

Essen gilt als drittgrünste Großstadt in Deutschland. Im Bild: Der Blick vom Dach des ehemaligen EON Ruhrgas-Gebäudes an der Huttropstraße auf die Skyline der Essener Innenstadt.
Essen gilt als drittgrünste Großstadt in Deutschland. Im Bild: Der Blick vom Dach des ehemaligen EON Ruhrgas-Gebäudes an der Huttropstraße auf die Skyline der Essener Innenstadt. © Ulrich von Born/ WAZ FotoPool
Fünf Jahre hat die Stadt Essen auf den Titel
Fünf Jahre hat die Stadt Essen auf den Titel "Grüne Hauptstadt" hingearbeitet. Im Bild: Die Essener Skyline von Zollverein aus betrachtet. © Sebastian Konopka / WAZ FotoPool
Beim Verkehr (eine wichtige Kategorie im Wettbewerb um den Titel „Grüne Hauptstadt“) hat Essen Schwächen – der Jury konnten sie als Stärken angepriesen werden. Die Stadt will das Thema Nahverkehr künftig stärker in den Fokus rücken. Das große Fernziel: 2035 soll der ÖPNV-Anteil bei 25 Prozent liegen.
Beim Verkehr (eine wichtige Kategorie im Wettbewerb um den Titel „Grüne Hauptstadt“) hat Essen Schwächen – der Jury konnten sie als Stärken angepriesen werden. Die Stadt will das Thema Nahverkehr künftig stärker in den Fokus rücken. Das große Fernziel: 2035 soll der ÖPNV-Anteil bei 25 Prozent liegen. © Hans Blossey
2035 sollen die Anteile der vier Verkehrsarten gleich sein: Neben den 25 Prozent im ÖPNV wären das jeweils ein Viertel für Fußgänger, Fahrradfahrer sowie für den motorisierten Individualverkehr – also Autos und Krafträder.
2035 sollen die Anteile der vier Verkehrsarten gleich sein: Neben den 25 Prozent im ÖPNV wären das jeweils ein Viertel für Fußgänger, Fahrradfahrer sowie für den motorisierten Individualverkehr – also Autos und Krafträder. © Kerstin Kokoska / Funke Foto Services
In der Vergangenheit hat Essen viel in den ÖPNV investiert. So flossen zum Beispiel zwölf Millionen Euro in einen neuen Streckenabschnitt der Straßenbahnlinie 109.
In der Vergangenheit hat Essen viel in den ÖPNV investiert. So flossen zum Beispiel zwölf Millionen Euro in einen neuen Streckenabschnitt der Straßenbahnlinie 109. © Sebastian Konopka / WAZ FotoPool
Die „Naturlinie 105“ fährt seit einem Jahr vom Emschertal ins Ruhrtal. Die Straßenbahn-Route erschließt Grünräume entlang der Trasse und weist auf Attraktionen hin.
Die „Naturlinie 105“ fährt seit einem Jahr vom Emschertal ins Ruhrtal. Die Straßenbahn-Route erschließt Grünräume entlang der Trasse und weist auf Attraktionen hin. © Knut Vahlensieck / FUNKE Foto Services
Quer durch die Stadt, vom Emschertal ins Ruhrtal: Blick in einen Straßenbahnwagen der „Naturlinie 105“ der Evag.
Quer durch die Stadt, vom Emschertal ins Ruhrtal: Blick in einen Straßenbahnwagen der „Naturlinie 105“ der Evag. © Knut Vahlensieck / FUNKE Foto Services
Im Jahr 1991 verlieh der Allgemeine Deutsche Fahrrad Club (ADFC) Essen die Negativ-Auszeichnung „Rostige Speiche“ als fahrradunfreundlichste Stadt in Deutschland.
Im Jahr 1991 verlieh der Allgemeine Deutsche Fahrrad Club (ADFC) Essen die Negativ-Auszeichnung „Rostige Speiche“ als fahrradunfreundlichste Stadt in Deutschland. © Olaf Fuhrmann / FUNKE Foto Services
Für Freizeitradler hat sich nach 1991 viel getan. Das liegt auch an der Umgestaltung alter Güterbahntrassen sowie am Projekt „Neue Wege zum Wasser“. Dennoch ist in Sachen Radfahren in der Stadt noch Luft nach oben.
Für Freizeitradler hat sich nach 1991 viel getan. Das liegt auch an der Umgestaltung alter Güterbahntrassen sowie am Projekt „Neue Wege zum Wasser“. Dennoch ist in Sachen Radfahren in der Stadt noch Luft nach oben. © Stefan Arend / Funke Foto Services
Durch die Sanierung maroder Radstrecken und dem Ausbau des Radwegenetzes will die Stadt den Komfort für Radfahrer künftig steigern.
Durch die Sanierung maroder Radstrecken und dem Ausbau des Radwegenetzes will die Stadt den Komfort für Radfahrer künftig steigern. © Ralf Rottmann / FUNKE Foto Services
Die sprießende Pflanzenwelt entlang der Emscherufer sorgte dafür, dass der Grünspecht im Ballungsraum Rhein-Ruhr von der Roten Liste für bedrohte Arten verschwinden konnte. Inzwischen taucht der Vogel sogar wieder in Essener Gärten auf.
Die sprießende Pflanzenwelt entlang der Emscherufer sorgte dafür, dass der Grünspecht im Ballungsraum Rhein-Ruhr von der Roten Liste für bedrohte Arten verschwinden konnte. Inzwischen taucht der Vogel sogar wieder in Essener Gärten auf. © Michael Kleinrensing
Die Naturgewalt zerstörte am Pfingstmontag 2014 einen Teil der Essener Bäume. Im „Grüne Hauptstadt“-Finale 2015 präsentierte die Stadt Essen die Krise aber nicht etwa als Schwäche - sondern als Stärke. Ein Aspekt: Wenn es um neue Baumbestände geht, hat Essen künftig den Klimawandel verstärkt im Kopf. Widerstandsfähigkeit soll bei der Baumwahl ein großes Kriterium sein.
Die Naturgewalt zerstörte am Pfingstmontag 2014 einen Teil der Essener Bäume. Im „Grüne Hauptstadt“-Finale 2015 präsentierte die Stadt Essen die Krise aber nicht etwa als Schwäche - sondern als Stärke. Ein Aspekt: Wenn es um neue Baumbestände geht, hat Essen künftig den Klimawandel verstärkt im Kopf. Widerstandsfähigkeit soll bei der Baumwahl ein großes Kriterium sein. © Kerstin Kokoska / FUNKE Foto Services
Bislang hat die Stadt Essen für die Bewältigung der Sturmschäden 19 Millionen Euro ausgegeben. Doch ab 2016 stehen dafür nur noch 600.000 Euro jährlich zur Verfügung. Mit dem Titel „Grüne Hauptstadt“ könnte der Zugriff zu Fördergelder leichter fallen und der Baumbestand dadurch schneller wachsen.
Bislang hat die Stadt Essen für die Bewältigung der Sturmschäden 19 Millionen Euro ausgegeben. Doch ab 2016 stehen dafür nur noch 600.000 Euro jährlich zur Verfügung. Mit dem Titel „Grüne Hauptstadt“ könnte der Zugriff zu Fördergelder leichter fallen und der Baumbestand dadurch schneller wachsen. © Kerstin Kokoska / FUNKE Foto Services
Morgendliche Idylle: Die aufgehende Sonne verwandelt den Himmel über der Ruhr bei Steele in ein Farbenmeer. Eine zum Flug abhebende Graugans hinterlässt ringförmige Spuren auf der Wasseroberfläche.
Morgendliche Idylle: Die aufgehende Sonne verwandelt den Himmel über der Ruhr bei Steele in ein Farbenmeer. Eine zum Flug abhebende Graugans hinterlässt ringförmige Spuren auf der Wasseroberfläche. © Oliver Multhaup / WAZ FotoPool
Historische Parkanlage: Der Stadtgarten in Steele ist der zweitälteste, öffentlich zugängliche Park der heutigen Stadt Essen. Die 4,2 Hektar große Anlage entstand Ende des 19. Jahrhunderts.
Historische Parkanlage: Der Stadtgarten in Steele ist der zweitälteste, öffentlich zugängliche Park der heutigen Stadt Essen. Die 4,2 Hektar große Anlage entstand Ende des 19. Jahrhunderts. © Knut Vahlensieck / Funke Foto Services
Sonnenbaden, Sport und Entspannung: Der Stadtgarten im Südviertel ist bei schönem Wetter ein beliebter Aufenthaltsort. Der Park zwischen Philharmonie und Aalto-Theater ist die älteste, öffentliche Grünanlage der Stadt.
Sonnenbaden, Sport und Entspannung: Der Stadtgarten im Südviertel ist bei schönem Wetter ein beliebter Aufenthaltsort. Der Park zwischen Philharmonie und Aalto-Theater ist die älteste, öffentliche Grünanlage der Stadt. © Ulrich von Born / FUNKE Foto Services
Die Gruga: Tummelwiese, Orangerie, Spielplätze – und Kunst, hier die Skulptur „Der große Adam“ von Gerhard Marks. Der zentral gelegene Park ist für viele Essener ein Ort, mit dem sie viele Erinnerungen verbinden.
Die Gruga: Tummelwiese, Orangerie, Spielplätze – und Kunst, hier die Skulptur „Der große Adam“ von Gerhard Marks. Der zentral gelegene Park ist für viele Essener ein Ort, mit dem sie viele Erinnerungen verbinden. © Stefan Arend / Funke Foto Services
Der Hallopark: ein schönes Stück Grün im Norden, gelegen zwischen Stoppenberg und Schonnebeck. Die große Tummelwiese ist mit ihren 33 000 Quadratmetern die größte zusammenhängende Rasenfläche der Stadt.
Der Hallopark: ein schönes Stück Grün im Norden, gelegen zwischen Stoppenberg und Schonnebeck. Die große Tummelwiese ist mit ihren 33 000 Quadratmetern die größte zusammenhängende Rasenfläche der Stadt. © Jörg Schimmel / WAZ FotoPool
Die Skyline der Essener Innenstadt, gesehen vom Dach der Grugahalle aus im August 2013.
Die Skyline der Essener Innenstadt, gesehen vom Dach der Grugahalle aus im August 2013. © Ulrich von Born/ WAZ FotoPool
Der Blick von der Schurenbachhalde auf die Essener Innenstadt - aufgenommen im Mai 2010.
Der Blick von der Schurenbachhalde auf die Essener Innenstadt - aufgenommen im Mai 2010. © Kerstin Kokoska / WAZ FotoPool
Der Baldeneysee im Oktober 2014.
Der Baldeneysee im Oktober 2014. © Hans Blossey
Kettwig und die Ruhr im September 2014.
Kettwig und die Ruhr im September 2014. © Hans Blossey
ThyssenKrupp-Gürtel, ThyssenKrupp-Hauptverwaltung und ThyssenKrupp-Park - aufgenommen im Mai 2014.
ThyssenKrupp-Gürtel, ThyssenKrupp-Hauptverwaltung und ThyssenKrupp-Park - aufgenommen im Mai 2014. © Hans Blossey
Heisingen und der Ruhrbogen.
Heisingen und der Ruhrbogen. © Hans Blossey
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Erste Vorbereitungen im Herbst

Bereits im Herbst begannen bei der Agentur die ersten Vorbereitungen. „Unsere Aufgabe war es, die 260 Seiten starke Bewerbung so aufzubereiten, dass die Inhalte in 45 Minuten rübergebracht werden können“, sagt Sandra Stubbe, Mitglied der TAS-Geschäftsleitung. Das Motto dabei: „Eine Geschichte erzählen, nicht nur Fakten vorbringen.“ Ein ewiges Ringen sei das im Vorfeld gewesen, heißt es: Wie viele Informationen kommen in die Präsentation rein, was fliegt über Bord?

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Das Ergebnis präsentierte das Essener Team dann der Jury – die Akteure spielten sich geschickt die Bälle zu und rangen den Entscheidern ein ums andere Mal ein anerkennendes Lächeln ab. Der rote Faden: Jeder Redner stellt einen Tour-Guide dar und nimmt die Jury mit auf eine Reise durch die Stadt.

Den Auftakt machte Oberbürgermeister Reinhard Paß, der den Strukturwandel der Stadt betonte und zeigte, dass sie damit als Blaupause für andere Städte im Wandel dienen kann, es folgte Umweltdezernentin Simone Raskob – die sich auch den Spaß erlaubte, den Jury-Vorsitzenden zum Baden im Baldeneysee einzuladen.

Sympathiepunkte fürs Radfahren

Es folgte Martina Oldengott von der Emschergenossenschaft. Sie sprach über das Großprojekt „Emscherumbau“. Dann stellte Landschaftsarchitekt Andreas Kipar das Programm „Neue Wege zum Wasser“ vor, und Nils Hoffmann, Leiter der Unternehmenskommunikation bei der Evag, berichtete über Busse und Bahnen – und gewann Sympathie-Punkte, weil er mit dem Fahrrad nach Bristol strampelte.

Die Schäden durch Sturm „Ela“ standen im Zentrum der Präsentation von Umweltamtsleiter Matthias Sinn. Die Botschaft: Wir wissen, wie man mit Krisen umgehen muss. Und der Essener EU-Politiker Jens Geier zeigte der Jury dann noch, was bereits in Essen mit Hilfe der Europäischen Union realisiert wurde.

Dass das Miteinander in Europa wichtig ist, betonte die Leiterin der Stabsstelle Internationale Beziehungen, Petra Thetard. Sie sprach über Essens Partnerstädte und das Projekt „Europa-Schulen“.

Ohne die Bürger geht gar nichts

Ohne die Bürger, so lautete stets die Botschaft, geht bei alldem aber gar nichts. Das war das Thema von Julia Trippler. Sie ist bei Grün und Gruga für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig. Sie sprach darüber, dass jährlich 45 000 Kinder im Biologischen Bildungszentrum „Schule Natur“ etwas über die Umwelt lernen. Anhand des Beispiels „essen-pico-bello“ zeigte sie der Jury, dass Sauberkeit ein Anliegen ist, um das sich die gesamte städtische Gesellschaft bemüht.

Nach dem Auftritt war Erleichterung zu spüren. „Geschafft! 90 spannende Minuten sind vorbei, das Training hat sich ausgezahlt“, schrieb die Stadt per Facebook an die Daheimgebliebenen. „Das Team geht zuversichtlich in die Preisverleihung.“

Die Zuversicht war berechtigt. Irgendwie ahnten die Team-Mitglieder schon, dass es am nächsten Tag heißen sollte: Essen ist „Grüne Hauptstadt Europas 2017“.

Erste Reaktionen: Das erwarten Essener Politiker nach dem Finalsieg 

Wolfgang Freye (OB-Kandidat der Linken) sieht noch Handlungsbedarf:

Wolfgang Freye (Die Linke).
Wolfgang Freye (Die Linke). © Sebastian Konopka / FUNKE Foto Services

„Ich freue mich riesig, dass Essen den Titel ,Grüne Hauptstadt Europas’ gewonnen hat. Das ist ein toller Erfolg für eine ehemalige Hochburg von Kohle und Stahl. Für uns ist die Nominierung eine Chance, trotz Haushaltskrise die Lebensqualität für alle zu verbessern. Dazu gehört ein leistungsfähiger und preiswerter Personennahverkehr. Der Zusammenschluss der Verkehrsverbünde in via muss endlich voll umgesetzt werden, wir brauchen alternative und sozial gerechte Finanzierungskonzepte wie eine Umlagefinanzierung. Und statt Grünflächen für Neubebauungen zu zerstören, müssen mehr Brachen aufbereitet werden.“

Gönül Eğlence (OB-Kandidatin der Grünen) möchte nun „grüne“ Taten sehen:

Gönül Eğlence (Grüne)
Gönül Eğlence (Grüne) © Sebastian Konopka / FUNKE Foto Services

„Die Auszeichnung ist eine tolle Anerkennung der Umweltschutzerfolge in Essen. Es dokumentiert Essens Wandel vom ,Kohlenpott’ zur lebenswerten Stadt im Grünen. Damit rückt grüne Politik noch mehr in den Fokus. Fördermittel lassen sich noch besser erschließen. Die internationale Wahrnehmung von Essen als grüner Stadt hilft aber auch der Wirtschaft und erhöht die Attraktivität für Menschen, die zu uns ziehen wollen. Nun gilt es, der Auszeichnung möglichst viele ,grüne’ Taten folgen zu lassen.“

Christian Stratmann (OB-Kandidat der FDP) fordert Konzentration auf Fakten:

Christian Stratmann (FPD).
Christian Stratmann (FPD). © Ralph Bodemer / WAZ FotoPool

„Die Prämierung hilft, ein facettenreiches Bild von einer lebenswerten Stadt zu transportieren. Den Bürgern wird so verdeutlicht, welche Qualitäten Essen außerdem zu bieten hat. Entscheidend ist aber bei aller Freude, dass die harten Standortfaktoren nicht aus dem Blick geraten. Essen darf notwendige Investitionen für Infrastruktur und Industrieansiedlungen jetzt nicht unterlassen, da nur diese Wohlstand und Arbeitsplätze bringen. Neue grüne Verbote und Lebensstilvorgaben dürfen keinesfalls die Folge für die Bürger sein.“