Essen. An 142 Tagen pro Jahr gibt’s statistisch irgendwo in Essen mal eine Böe der Windstärke 6. Dennoch hat man von Blutbädern gottlob bislang noch nichts gehört.

In der Essener Stadtverwaltung herrscht eine besonders ausgeprägte Kultur der Furcht, wenn es um Fragen der Verkehrssicherheit geht. Das ist altbekannt und an dieser Stelle oft kritisiert worden. Mit der mal eben hingeworfenen Erschwernis, ab Windstärke 6 faktisch die Genehmigung für eine Veranstaltung zu entziehen, ist aber nun endgültig die Grenze dessen überschritten worden, was man gesunden Menschenverstand nennt.

Frank Stenglein kommentiert die neuen Auflagen der Stadt Essen, die Feste im Freien unter Bäumen aus Sicherheitsgründen ab Windstärke 6 verbietet. Windstärke 6 oder mehr kommt in Essen im Jahresdurchschnitt an 142,4 Tagen vor.
Frank Stenglein kommentiert die neuen Auflagen der Stadt Essen, die Feste im Freien unter Bäumen aus Sicherheitsgründen ab Windstärke 6 verbietet. Windstärke 6 oder mehr kommt in Essen im Jahresdurchschnitt an 142,4 Tagen vor. © WAZ FotoPool

Niemand erwartet, dass Beamte Harakiri spielen und sich dem Leichtsinn verschreiben. Natürlich gilt es Gefahren mit vertretbaren Mitteln soweit wie möglich zu minimieren. Zum einen natürlich, um Bürger zu schützen, aber auch um bei einem Schicksalsschlag namens Unfall nicht Opfer eines übereifrigen Gerichts zu werden. Aber irgendwie muss das Leben einer Großstadt auch dann noch möglich sein, wenn man nicht für jeden einzelnen der 88.000 Straßen- und Parkbäume bis ins oberste Geäst die Hand ins Feuer legen kann. An 142 Tagen pro Jahr gibt’s statistisch irgendwo in Essen mal mindestens eine Böe der Windstärke 6. Dennoch hat man von Blutbädern gottlob bislang noch nichts gehört. Natürlich: Wie’s der Teufel will, passiert dann doch mal was. Aber es erscheint zumindest mir nicht als die richtige Lebensstrategie, deshalb lieber gleich ganz zuhause zu bleiben und den Kopf unters Kissen zu legen.

Mit einem Bein im Gefängnis

Die Stadt jagt einer 100-Prozent-Risikofreiheit hinterher, die man im Privatleben pathologisch nennen würde, weil sie eine reine Fiktion ist. Sicher haben Gesetze, Gerichte und auch schuldsuchende Medien das ihre dazu beigetragen, dass es soweit gekommen ist. Ein Amt zu haben, eine Führungskraft zu sein, heißt aber nun einmal auch, eine gewisse Verantwortung zu übernehmen. Das ist im Gehalt inbegriffen.

Sich hinter der Windstärke 6 zu verschanzen, kann deshalb unmöglich das letzte Wort sein. Wer soll denn noch eine Veranstaltung organisieren, wenn er sie mit 50-prozentiger Wahrscheinlichkeit entweder kurzfristig abblasen oder illegal ohne Genehmigung - quasi mit einem Bein im Gefängnis - durchstehen soll? DAS ist wirklich ein Risiko, das man niemandem zumuten kann.