Essen. . Dandy, Bach-Deuter, DJ-Fan: Es ist nicht leicht, Francesco Tristano einer Kunst zuzordnen. Das ist wohl sein Erfolgskonzept. Nun kommt er nach Essen.
„Die klassische Musik ist tot.“ Neu sind Provokationen dieser Art nicht, am Ende aber immer wieder gut, die Aufmerksamkeit auf die Leiche zu lenken. Francesco Tristano trifft die Aussage ganz nüchtern: „Franz Liszt hat vor 150 Jahren das Klavierrecital sozusagen standardisiert – und 95 Prozent unserer heutigen Programme sind die gleichen wie zu seinen Zeiten. Das Format hat sich einfach nicht weiter entwickelt, ja ihm ist noch nicht einmal die Chance gegeben worden, neue Komponisten ins Spiel zu bringen.“
Ein Mann mit Sinn für Modelabels
Starke Worte für einen 33-Jährigen. Zumal wenn dieser wie der Luxemburger erst kürzlich mit seiner Tastenkollegin Alice Sara Ott ein Album herausgebracht hat, auf dem sich mit Ravel und Rimsky-Korsakow nicht eben zeitgenössische Klangschöpfer finden. Und der smarte junge Mann, der seine Hemdenkragen gern mit einem Künstlerhalstuch ziert und auch bei der Wahl seiner Jeans und des Schuhwerks beste Label-Kenntnisse offenbart, kein Geheimnis daraus macht, dass Bach zu seinen Lieblingskomponisten gehört.
Was ihn bis heute an der gesamten Barockmusik fasziniere und motiviere, sei das „sehr einfache Layout dieser Musik: Es gibt entweder einen Kontrapunkt, der ganz streng und minimalistisch durchgeführt wird, oder eine Motorik wie bei Bach und Vivaldi, ein in seiner Form geradezu ritualistischer Rhythmus – eine Art Ur-Techno.“
Nichts für Klassikpuristen
Ein Vergleich, der manchen Klassikpuristen aufschrecken lässt – und doch bezeichnend ist für Tristanos Denken und Pianieren. Denn der androgyne Jüngling mit der dunklen Lockenpracht liebt die Musik in ihrer Gänze, fühlt sich am Mischpult als Club-DJ ebenso zuhause wie am Flügel. Natürlich hat er das Tastenhandwerk ganz klassisch studiert, in Europa und in New York an der Juilliard School. Doch in den Clubs entdeckte Tristano auch diese scheinbar ganz andere Musik, lernte den House-DJ Danny Tenaglia kennen, Minimal Techno als Inspiration schätzen.
„Was macht der DJ da eigentlich? Wie funktioniert das Ganze?“ habe er sich immer gefragt – seine Antwort: „Eine Techno-Produktion ist im Grunde eine Chaconne: Auch dort gibt es einen Grundrhythmus, der immer weiterläuft.“ Nur konsequent also, dass der Bach-Jünger seitdem immer wieder auch mit Technomusikern wie jetzt in Essen mit dem Projekt Brandt Brauer Frick gemeinsam zu Club-Abenden lädt, um das Spiel am Flügel durch das Spiel mit Laptop und Synthesizer zu ergänzen. Und das keineswegs nur bei seinen eigenen, meist sehr atmosphärischen Kompositionen.
Die Suche nach neuen Erfahrungen
So bestückt Tristano den Flügel schon mal mit Mikrofonen, um am Klang zu feilen – das Ergebnis: ein klarer und präziser Bach-Sound, dem der Technik-Liebhaber gern noch einen dezenten Hall verpasst und den einen oder anderen Ton verzerrt: „Die Frage beim Konzertbesuch ist doch: Möchte ich hören, was ich schon kenne – oder will ich eine neue Erfahrung machen?“
Essen, 8.5., Zollverein, 21 Uhr, Karten (25 Euro) 0201/8042439