Essen. 150 Fälle von Kinderpornografie bearbeitet die Polizei Essen jährlich. Gute technische Ausrüstung der Täter macht es den Beamten jedoch oft schwer.
Wenn Ulrich Bauerdiek mit einem Durchsuchungsbeschluss in der Hand irgendwo im Ruhrgebiet auf die Klingel drückt, wissen die Adressaten seines Besuches meist schon sehr genau, worum es geht: Ihnen wird der Besitz oder die Verbreitung von kinderpornografischem Material vorgeworfen – wenn der Polizist wieder geht, hat er meist nicht nur den Rechner beschlagnahmt, sondern auch alle anderen möglichen Datenträger wie Handys, Tablets oder USB-Sticks einkassiert, die in dem Haushalt zu finden sind. Jede Festplatte wird vor der Untersuchung gespiegelt, damit nicht der Vorwurf an die Polizei erhoben werden kann, sie habe vorhandene Daten verändert.
Gut 150 Fälle bearbeitet das 24 Mitarbeiter starke Team im Kriminalkommissariat 12 in Essen und Mülheim im Jahr in Sachen Kinderpornografie. Eine stolze Zahl, die einmal mehr zeigt, dass der SPD-Politiker Sebastian Edathy nur ein prominentes Beispiel für die anonyme Masse im Stillen agierender Täter ist, die Kinder sexuell ausbeutet und auf ihrem Rücken Geschäfte macht.
„Die Täter stammen aus allen Altersklassen und Schichten, wie ja auch der Fall Edathy zeigt“, sagt Bauerdiek. „Allerdings gibt es schon gewisse Merkmale, die viele der Männer auszeichnen.“ Und so entpuppt sich mancher Konsument von Kinderpornografie eben doch als wandelndes Klischee: Bauerdiek trifft vor Ort oft einen technikaffinen Computernerd an, der selten das Tageslicht sieht und noch bei seiner Mutter wohnt. Die Wohnung häufig vollgemüllt mit dem Abfall vom letzten McDonald’s-Besuch. Und: „Ein Lederdrehstuhl, auf dem ein Handtuch liegt, verrät meistens schon alles“, sagt der Polizist sarkastisch. Nur mit Galgenhumor ist zu ertragen, was er hier oft zu sehen bekommt, eine professionelle Distanz ist für ihn lebenserhaltend.
Hohes Technikverständnis der Täter
Auf seinem Schreibtisch landen vornehmlich Fälle, in denen das Landeskriminalamt bereits erfolgreich ermittelt hat. In einer Asservatenkammer der Polizei lagern etwa 60 Rechner, auf denen sich mit hoher Wahrscheinlichkeit strafbares Material befindet.
Der florierende Handel mit den Schmuddelbildern läuft meist über Tauschbörsen, wobei die Täter der Polizei technisch oft eine Nasenlänge voraus sind, beklagt auch Kommissariatsleiter Dieter Stahlke: „Die Händler verfügen über hohes Technikverständnis und rüsten ihre Rechner ständig nach, da sie damit häufig gigantische Datenmengen laden. Da kommt die Polizei mit ihrer Ausstattung kaum hinterher.“
Doch manchmal ist ein durchschlagender Ermittlungserfolg eben auch eine Motivation für die eigene Arbeit. So wie kürzlich, erzählt Bauerdiek: „Auf einem Bild, das wir entdeckt hatten, war ein Junge mit dem Fußballtrikot eines bekannten Vereins in NRW zu sehen. Wir haben schließlich den Vater überführt, der einschlägige Fotos von seinem Sohn gemacht hatte.“ Gleichzeitig gingen solche Fälle aber auch besonders an die Nieren, gibt Bauerdiek zu: „Natürlich ist es schon tragisch, wenn man solche Bilder etwa von russischen Kindern zu sehen bekommt. Aber mich macht es besonders betroffen, wenn ich weiß, dass der Kleine hier um die Ecke Fußball spielt.“
Kindgerechte Vernehmungen
Im Zuge von Ermittlungen zu Kinderpornografie oder Missbrauch tun die jungen Opfer sich oft schwer, ihre Geschichte einem Erwachsenen anzuvertrauen oder sich eigenständig Hilfe zu holen. Bei der Polizei Essen werden die Beamten eigens für Vernehmungen mit Kindern geschult, denn auch dies will gelernt sein, sagt Sprecherin Tanja Hagelüken: „Ich kann einen Sechsjährigen nicht im üblichen Juristenjargon über seine Rechte belehren. Deshalb erklären wir das auf kindgerechte Art.“ Wenn es ans Eingemachte geht, fließen dann schon mal ein paar Tränen – eine Box mit Taschentüchern steht während der Vernehmung immer griffbereit auf dem Tisch.
Außerdem gibt es im KK 12 einen Raum mit Spielzeug und Kuscheltieren, in einer freundlichen Atmosphäre sollen Kinder hier einem Polizisten das Erlebte schildern. Die Gespräche werden derweil auf Band mitgeschnitten. „Auf Dauer würden wir auch gerne eine Videoanlage installieren, um etwa Missbrauchsopfern später eine weitere Aussage vor Gericht ersparen zu können“, erklärt Bauerdiek. „Das ist allerdings noch Zukunftsmusik.“ Die Prozesse sind für die Betroffenen oft langwierig und kraftzehrend – circa 40 Fälle von Kindesmissbrauch verhandelt das Landgericht Essen im Jahr.
Aus eigener Kraft gelingt es den oft hoch traumatisierten Opfern selten, den Teufelskreis aus Ohnmacht und Scham zu durchbrechen. Häufig stammt der Täter dabei aus dem engsten Familien- oder Bekanntenkreis, weiß Petra Kogelheide, Therapeutin beim Jugendpsychologischen Institut Essen (JPI). Im besten Fall schaltet sich ein aufmerksamer Erwachsener ein, der einen Kontakt zu einer Beratungsstelle für das Kind knüpft: „Das Wichtigste ist, dem Kind das Gefühl zu vermitteln, dass man ihm glaubt und es mit seinem Problem nicht allein dasteht“, sagt die Psychologin und erinnert sich an einen Fall, der das Ausmaß des Leides von Missbrauchsopfern wohl nur erahnen lässt: „Ein zwölfjähriges Mädchen erzählte mir in der Therapie, es sei überzeugt, dass alle Väter das mit ihren Kindern machen. Erst sechs Jahre später erstattete sie Anzeige.“ Der Täter kam unbehelligt davon – weil er zum Zeitpunkt der Taten unter Alkoholeinfluss stand, wurde er freigesprochen.