Essen. . Der Mord an Boris Nemzow, der Krieg in der Ukraine: Die Deutsch-Russische Gesellschaft in Essen ist traurig, dass überwunden geglaubte Gräben aufreißen.
Einige von ihnen hatten ihn Anfang der 90er Jahre persönlich kennen gelernt. Es war die Zeit von Glasnost und Perestroika. Als junger Gouverneur des Bezirks Nishnij Nowgorod stand Boris Nemzow damals am Anfang seiner politischen Karriere. „Er war ein intelligenter, positiver Mensch, der andere mit seiner fröhlichen und lebensbejahenden Art überzeugen und mitreißen konnte“, erinnert sich Angelika Küpper, die Vorsitzende der Deutsch-Russischen Gesellschaft, an freundschaftliche Treffen mit dem russischen Oppositionspolitiker, der am späten Freitagabend in Moskau auf offener Straße ermordet wurde - niedergeschossen vermutlich von einem Auftragskiller.
Die Bestürzung darüber ist groß, auch in Kreisen der Deutsch-Russischen Gesellschaft, die in diesem Jahr ihr 25-jähriges Bestehen feiert. „Boris Nemzow stand als Hoffnungsträger am Beginn unserer Gesellschaft. Er hat unsere Initiative und Arbeit durch seine Empathie und Zugewandtheit motiviert und beflügelt“, berichtet Angelika Küpper.
Euphorie ist Ernüchterung gewichen
Die Euphorie, aus der heraus eine Handvoll Essener Friedensbewegte damals zarte Bande knüpften ins ehemalige Gorkij, das bald darauf wieder Nishnij Nowgorod heißen und Essens Partnerstadt werden sollte, diese Euphorie ist Ernüchterung gewichen. Auch wenn Angelika Küpper sich nicht an Spekulationen beteiligen möchte, wonach die Auftraggeber für den feigen Mord im Kreml säßen, so passt der Tod Nemzows doch ins aktuelle Bild, das wir uns im Westen von Russland machen.
Seit Krieg herrscht in der Ukraine, scheint es, als habe jemand die Zeit zurückgedreht. Fassungslos erlebe sie wie Gräben aufreißen, wie alte Feindbilder wieder aufleben, berichtet Angelika Küpper. Besonders traurig sei sie darüber, dass dies auch für so manche Russin gilt, die auf Vermittlung der Deutsch-Russischen Gesellschaft vor 15 oder 20 Jahren als Au pair oder Austauschstudentin nach Essen kam und geblieben ist. „Die meisten stehen mehr oder weniger hinter der Politik von Putin“, erzählt Angelika Küpper und staunt, wenn sie zu hören bekommt, „wir seien diejenigen, die falsch und einseitig informiert werden“.
„Da gehen Freundschaften kaputt“
Nach Lesart russischer Medien war der auf dem Maidan erzwungene Regierungswechsel ein Putsch, initiiert von rechten politischen Kräften und gesteuert von den USA. In der Ost-Ukraine gehe es allein um den Schutz der russischen Minderheit. Wer andere Meinung sei, der bekäme aus der alten Heimat schon mal zu hören: „Du gehörst nicht mehr zu uns“, erzählt Küpper über Erfahrungen aus ihrem persönlichen Umfeld. „Da gehen Freundschaften kaputt.“
Küpper ist sehr wohl überzeugt davon, dass die westliche Diplomatie an der Entwicklung in der Ukraine nicht schuldlos ist durch die Ausdehnung der Nato und durch das Assoziierungsabkommen der EU. Dass auch westliche Medien Klischees bedienen, dessen sei sie sich sicher. Doch könne es keine zwei Meinungen geben über die völkerrechtliche Annexion der Krim und darüber, dass es russische Separatisten waren, die in der Ost-Ukraine zu den Waffen griffen.
Wer verteidigt sich gegen wen? Die Bilder der von Separatisten eroberten Stadt Debalzewe sprechen für sich. Warum aber greifen alte Denkmuster? Angelika Küpper findet darauf keine zufriedenstellende Antwort: „Ich habe geglaubt, wir seien einander ähnlicher.“ Und nun? „Wir lassen uns nicht kaputt machen, was wir in 25 Jahren an vertrauensbildenden Maßnahmen aufgebaut haben“, sagt sei trotzig. „Wir machen weiter.“ Jetzt erst Recht.