Moskau. . Der Mord an dem Politiker bewegt bewegt die Menschen. Viele verdächtigen die Staatsmacht. Denn der Tatort war gut bewacht und Nemzow ein Gegner von Putin.
Es sind mehr Menschen gekommen als erwartet. Der Trauermarsch hat vor 40 Minuten begonnen, da drängen sich noch immer Tausende vor den Metallsuchgeräten an der Metrostation Kitai Gorod. Dahinter schwimmt ein weißblaurotes Fahnenmeer Richtung Moskwa-Ufer, zur Brücke, zum Tatort.
Die Polizei meldet 16 .500 Teilnehmer, die Veranstalter sprechen von 51 .000, viele Teilnehmer sagen es waren 100. 000. „Ich bin hier, weil sie Boris Nemzow erschossen haben“, sagt Andrej, Geologe aus Moskau. Er verdächtigt die Staatsmacht. „Nemzow starb am Kreml, wo alle 15 Meter ein Sicherheitsmann steht.“ Vor ein paar Jahren hätten ein paar Jungs auf der Brücke mal versucht, ein Anti-Putin-Plakat zu hissen, nach wenigen Minuten seien sie in Handschellen gewesen.
Lebenskünstler und Frauenheld
Am späten Freitagabend wurde der Oppositionspolitiker Boris Nemzow im Zentrum Moskaus erschossen. Nemzow (55) spazierte mit seiner ukrainischen Freundin Anna Durizkaja, gegen 23.40 Uhr über die Große Moskwa-Brücke, als ein Pkw hinter ihm hielt, der Mörder gab aus einer Makarow-Pistole sieben bis acht Schüsse ab, vier trafen Nemzow tödlich. Die Ermittler gehen von einem Auftragsmord aus. Laut der Agentur Ria Nowosti untersuchen sie private und geschäftliche Motive, islamistische Drohungen, einen Zusammenhang zu „innerukrainischen Ereignissen“, aber auch eine politische Provokation. Mittlerweile gibt es auch eine Videoaufnahme vom Tathergang - allerdings sind die mutmaßlichen Mörder darauf nicht zu erkennen, weil die Kamera just zum Tatzeitpunkt wegen vorbeifahrenden Kehrfahrzeug keinen richtigen Einblick hatte.
Präsident Putin erklärte, es werde alles getan, um die Mörder und ihre Hintermänner zu finden. In Oppositionskreisen aber verdächtigt man die Staatsmacht. Bürgerrechtler Sergej Dawidis sagt: „Dass ein so bekannter Politiker im Zentrum des russischen Polizeistaates ermordet wird, drängt die Vermutung auf, dass die Täter in Verbindung zu staatlichen Strukturen standen.“
Nemzow ist eine der Symbolfiguren der postsowjetischen russischen Politik. 1991 ernannte Boris Jelzin den 32-jährigen Physiker und Regionalparlamentarier zum Gouverneur der Nischegorodsker Region. Nemzows liberale Wirtschaftsreformen erregten Aufsehen, 1997 holte Jelzin das politische Wunderkind als Vizepremier nach Moskau, er wurde als Thronfolger gehandelt. Aber der Rubelsturz von 1998 kostete Nemzow sein Amt. Er gründete 1999 die Partei „Rechte Sache“, die bei den Dumawahlen 8,6% der Stimmen gewann. Als wenige Monate später Wladimir Putin Präsident wurde, kooperierte Nemzow anfangs mit ihm, kritisierte aber Putins restriktive Politik gegen die unabhängigen Medien immer heftiger. Bei den Dumawahlen 2003 flog seine „Rechte Sache“ aus der Duma.
Aber auch nach solchen Rückschlägen behielt Nemzow seinen Ruf als Lebenskünstler und Frauenheld. Nemzow, der vier Kinder von drei Frauen hatte, plauderte gern über Kitesurfing oder guten Whiskey. Auch politisch resignierte er nie, gründete neue Oppositionsbündnisse, kandidierte 2009 vergeblich als Bürgermeister in Sotschi, und 2013 erfolgreich als Gebietsabgeordneter in Jaroslawl. Er veröffentlichte mehrere Studien, in denen er Putin und seiner Umgebung Korruption, die Zweckentfremdung von Milliarden Dollar vor allem bei den Olympischen Spielen 2014 in Sotschi vorwarf.
Letztes Interview mit harscher Kritik am „Lügner“ Putin
Nemzow hatte keine Angst. Noch wenige Stunden vor seinem Tod griff er Putin in einem Radio-Interview an. „Putin ist ein Fachmann der Unwahrheit, ein pathologischer Lügner.“ Nationalistische Kommentatoren behaupten jetzt, Nemzow sei von seinen eigenen liberalen Freunden als „sakrales Opfer“ hingerichtet worden, um die Stimmung innerhalb der Opposition anzuheizen.
Trauer um Kreml-Kritiker Nemzow
Mehrere Oppositionelle verwiesen gestern darauf, Nemzow habe am Abend seines Todes, keine 24 Stunden vor der geplanten Anti-Putin-Demo, wahrscheinlich unter Beobachtung der Sicherheitsorgane gestanden, die jeden Mörder hätten sofort stellen müssen.