Essen. Mal kam er als Arzt verkleidet, mal als Journalist: Der Chef einer Hehlerbande war trickreich. Am Dienstag nahm die Polizei die gesamte Bande hoch.
Sechs Monate lang hat die Ermittlungskommission „Mobile“ investiert, am frühen Dienstagmorgen ist der Polizei Essen ein Schlag gegen eine Autohehlerbande gelungen: Die Beamten durchsuchten zehn Wohnungen und eine Werkstatt in Holsterhausen und Rüttenscheid, nahmen dabei drei per Haftbefehl gesuchte Männer (25, 25, 27) fest. Vier weitere wurden vorläufig festgenommen. Derzeitiger Schaden: rund eine halbe Million Euro.
Die Bande soll mit gestohlenen Autos gehandelt haben und beim Verkauf beinahe oscarreife Szenen geliefert haben: Sie erschlichen sich das Vertrauen der Käufer, indem sie in Rollen von Ärzten oder Journalisten schlüpften. Die spielte vor allem einer der Haupttäter, den die Polizei schon im Januar festnahm, weil sie befürchtete, er könne sich ins Ausland absetzen.
Die Festnahme des 27-Jährigen, der sich zwar vor allem in Essen aufhielt, aber keinen festen Wohnsitz hatte, schreckte seine Komplizen offenbar nicht auf. Er war polizeibekannt, sie vermuten möglicherweise einen anderen Haftgrund als die Hehlerei, sagt Bodo Buschhausen, Kommissariatsleiter.
Immer wieder BMWs in Essen gestohlen
Bislang sind den Ermittlern 27 Fälle bekannt, die bis ins Jahr 2013 zurückreichen. Dabei handelt es sich um 25 BMWs, vor allem der 3er-Reihe, oder um das Modell Z 4, um einen Mercedes sowie einen Audi R8, sagt Stephan Merscheim, Leiter der EK Mobile, der mit den Kommissaren Petra Kemkes, Margot Lamers und Dirk Gajewski ermittelte.
Auf die Schliche kamen sie der Hehlerbande, da in Essen immer wieder BMWs gestohlen wurden, die dann außerhalb der Stadt verkauft und sichergestellt wurden. Der Audi etwa – ausgestattet mit Papieren eines Schrottwagens – sollte in Düsseldorf für 80 000 Euro den Besitzer wechseln. Dazu versuchten die Hehler ein Tagesbüro anzumieten. Das gelang nicht, der Wagen wurde sichergestellt.
Haupttäter kam im weißem Kittel, mit Stethoskop und Blutdruckmessgerät
Erfolgreicher war ein Geschäft in Münster auf dem Parkplatz eines Krankenhauses. Dorthin kam der 27-jährige Haupttäter als Arzt: im weißen Kittel, mit Stethoskop und Blutdruckmessgerät. Dramatischere Szenen spielten sich ebenfalls auf einem Klinikgelände ab, als der „Geschäftsführer“ vom schwer verletzten Lebensgefährten erzählte, der mit dem Motorrad verunglückt sei. Unter Tränen und mit herzlichen Umarmungen legte er den Käufer rein.
Ebenso erging es einem Opfer in Düsseldorf: Dort verkaufte ein Journalist auf dem Gelände des ZDF-Landesstudios sein Auto, weil er nach Syrien müsse, um über die Kämpfe zu berichten.
Bei allen Verkäufen überreichte der 27-Jährige seinen Opfer eine gefälschte Passkopie, allerdings mit seinem Foto, um seriös zu wirken. Was er nicht ahnte: Die Polizei erkannte ihn beim Vergleich der Passbilder, die immer sein Gesicht zeigten.
Mit der Schreibmaschine Autopapiere gefälscht
Da unter den Festgenommen zwei Brüder sind, stellt sich die Frage nach weiteren Familienstrukturen: Dazu äußert sich die Polizei derzeit nicht. Fest steht laut EK, dass die Hehler „ihr Interesse an dicken Autos verbindet“. Und die nah beieinander liegenden Wohnorte. An diesen sowie in der Werkstatt an der Cranachstraße in Holsterhausen fanden die Ermittler neben zahlreichen Requisiten wie Stethoskop und Arztkittel, auch gefälschte Autoplaketten und eine Schreibmaschine, mit der sie Fahrzeugpapiere ausstellten. Zudem wurden bei dem Großeinsatz Bargeld in Höhe von mehreren Zehntausend Euro sichergestellt sowie zwei Autos der Täter. Ob die auch gestohlen sind, wird untersucht.
Die Ermittlungen dauern an. Fest steht, so Buschhausen: „Die gutgläubigen Käufer bleiben auf dem Schaden sitzen.“ Deren Freude über das neue Auto endete jeweils bei der Anmeldung. Daher rät Buschhausen dringend: „Käufer sollten sich nie auf Parkplatzgeschäfte einlassen.“
Razzia gegen Autohehler
Reportage: Festnahmen bei der Großrazzia schienen wie in einem Film
Hinter den meisten Fenstern an der Holsterhauser Straße in Essen brennt noch kein Licht, als zwei Polizisten eine Haustür sichern, die weit offen steht. Es ist sechs Uhr an diesem Dienstagmorgen, da haben mehrere Einsatzfahrzeuge und Kräfte der Hundertschaft nicht nur dieses Gebäude umstellt, in dem sich unten die Sparkasse befindet. Längst ist die Polizei bei ihrem Großeinsatz gegen Autohehler auch zu zehn weiteren Wohnungen und einer Werkstatt an der Cranachstraße unterwegs. Mit Schusswaffen rechnen die Beamten zwar nicht, „auf Widerstand müssen wir aber immer vorbereitet sein“, erklärt Polizei-Sprecherin Tanja Hagelüken, den hohe Zahl der Polizeikräfte, die sicherstellen, dass kein Verdächtiger entkommt.
Den Haupttäter immerhin hat die Polizei bereits im Januar gefasst. An der Holsterhauser Straße führt sie nur wenige Minuten später einen Mann aus dem Haus in ein Zivilfahrzeug, das am Straßenrand wartet. Er hat die Kapuze tief ins Gesicht gezogen, als ihm mehrere Beamten nicht von der Seite weichen. Gegen ihn liegt ein Haftbefehl vor, er soll zu der Bande gehören, die hochwertige Autos gestohlen mit falschen Papieren ausgestattet und dann über Internetportale an gutgläubige Interessenten verkauft haben.
„Drehen sie einen Film“, fragt eine Radfahrerin
Während der Wagen losfährt, sichern gleich um die Ecke, vorbei am Kugelbrunnen, an der Gemarkenstraße Kriminalkommissare Beweismittel in einer Wohnung im Obergeschoss. Passanten erscheinen die Szenen mitunter wie in einem Krimi. Sie sind zum Bäcker unterwegs oder auf dem Weg zur Arbeit. Einige bleiben stehen und schauen hoch zum Fenster, an dem die Gardinen zu Seite gezogen sind und den Blick auf weiße, kahle Wände und einen Kronleuchter zulassen, in denen Zivilkräfte zu sehen sind.
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„Drehen sie einen Film“, fragt eine Radfahrerin, die absteigt und einen Polizisten auf dem Gehweg anspricht: „Oder ist das ernst?“ Das will auch eine Anwohnerin der Rühlestraße wissen, wo die Polizei einen BMW umstellt hat. „Das ist in polizeilicher Einsatz, machen sie sich keine Sorgen“, erklärt Tanja Hagelüken ruhig, als gegen 7.10 Uhr der Abschleppwagen in die Rühlestraße biegt und den BMW auflädt. Ein Fahrzeug, mit dem der Festgenommene aus der Holsterhauser Straße zumindest zu einer Tat gefahren ist. Ob auch das Fahrzeug gestohlen ist, wird sich noch herausstellen.
Vier Verdächtige vorläufig in Untersuchungshaft
Genau das überprüfen weitere Polizisten in einer Werkstatt an der Cranachstraße bei Fahrzeugen, die auf dem Hof abgestellt sind. Neben drei Mannschaftswagen der Polizei stehen dort eine rote Corvette und ein schwarzer VW Touareg.
Die Schlüssel findet die Polizei in der Werkstatt, um mit der Taschenlampe im Motorraum nach der Gestellnummer zu suchen. „Wir überprüfen anhand der Nummer und der Papiere, ob alles seine Richtigkeit hat“, sagt Marius Bednorz, Gruppenführer der Einsatzhundertschaft.
Gegen kurz vor halb acht, als es dämmert, sichern zwei seiner Kollegen immer noch die Durchfahrt zum Innenhof, wo weitere Beamte im Kofferraum des Geländewagens neben Decken und Reifen, einige Zollkennzeichen entdecken. Heißt aber noch nichts, „solche Schilder sind bei einem Werkstattbetrieb normal“, sagt Bednorz.
Als die Überprüfung der Kennzeichen beginnt, sind an dem Morgen längst zwei weitere Männer an der Schongauerstraße in Holsterhausen und der Von-Einem-Straße in Rüttenscheid festgenommen worden. Auch gegen sie lagen Haftbefehle vor. Vier Verdächtige sitzen zudem in Untersuchungshaft, als der Einsatz beendet ist.
