Essen. Fast jede zweite Fahrerflucht in Essen wird aufgeklärt.Trotzdem steigt die Zahl der Unfallfluchten.
Die Ausrede ist fast immer die gleiche: „Ich habe das nicht bemerkt.“ Und die Antwort der Polizei trifft meistens tatsächlich zu: „Ich glaube ihnen nicht.“ Immer mehr Autofahrer machen sich nach einem Unfall von dannen.
Auch in Essen wurde 2014 eine – wenn auch nur leichte – Zunahme der Fahrerfluchten festgestellt. 2013 waren es 4704 Unfallfluchten, bei denen 191 Verkehrsteilnehmer verunglückten, einer von ihnen tödlich.
Ermittlungen bis zum Schluss durchgeführt
Viele Unfallflüchtige setzen darauf, unerkannt davon zu kommen. „Aber das ist oft nicht der Fall“, betont Polizeisprecher Marco Ueberbach. „Unsere Verkehrskommissariate haben verschiedene Ermittlungsmöglichkeiten, um einen Unfallverursacher im Nachhinein zu überführen.“ Das Befragen von Zeugen, das Spurenbild am Unfallort, die Untersuchung von Abrieb-, Lack- und Materialspuren zählt dabei zum Standardprogramm der ermittelnden Beamten. Bei besonders schweren Unfällen mit erheblich Verletzten oder gar Getöteten rüstet das Präsidium auf, werden ganze Ermittlungsteams gebildet. „Da scheuen wir keine Kosten. Da führen wir die Ermittlungen bis zum Schluss durch“, erklärt Ueberbach.
Und das meist mit beachtlichem Erfolg. Bei Fahrerfluchten nach Unfällen mit Personenschäden lag die Aufklärungsquote im Jahre 2013 bei fast 72 Prozent. Insgesamt konnte knapp jede zweite Flucht (44,37 Prozent) aufgeklärt werden. Selbst wer nur eine kleine Schramme oder eine winzige Beule in ein Auto fährt, oder einen Außenspiegel beschädigt und verschwindet, geht ein relativ hohes Risiko ein, Besuch von der Polizei zu bekommen. Und dann kommt es gleich dicke: Eine Unfallflucht ist schon dann eine Straftat, wenn ein Sachschaden ab etwa 30 Euro verursacht wird. Und ab einem Schaden von rund 1.300 Euro wird sofort der Führerschein sichergestellt. Nach Paragraf 142 StGB wird Fahrerflucht mit einer Geldstrafe oder gar bis zu drei Jahren Haft bestraft.
Nicht vom Unfallort entfernen
Bei einer Kollision – und mag sie noch so geringfügig sein, darf der Fahrer sich nicht vom Unfallort entfernen, bis er den Geschädigten informiert oder die Polizei über 110 angerufen hat. Er muss warten, bis die Streife eingetroffen ist. Möglich ist auch, sich unverzüglich auf dem kürzesten Weg zur nächsten Polizeiwache zu machen, um den Unfall zu melden. Er darf aber nicht einfach eine Nachricht an die Windschutzscheibe des Geschädigten klemmen und weiterfahren. „Auch das ist eindeutig Fahrerflucht“, unterstreicht Polizeisprecher Ueberbach. Unfallverursacher sollten sich auch nicht entfernen, nur weil sie keinen sichtbaren Schaden feststellen konnten. „Es kann ja sein, dass sich der Wagen verzogen hat, was man erst nach dem Aufbocken feststellt“, so Ueberbach.
Bei den meisten Fahrerfluchten in Essen handelt es sich um Bagatellunfälle, um Parkplatz-Rempeleien. Freie Stellplätze am Straßenrand sind rar, und der Platz zum Einparken ist knapp. Sollte ein Fahrzeug dabei das andere touchieren, dann bekommt der Autofahrer das fast immer mit. Dann muss er sich darum kümmern. Ueberbach: „Es gibt nur ganz wenige Unfälle, die man nicht bemerkt.“
"Die Hemmschwelle ist niedriger geworden"
Berthold Ostendorf, leitender Gutachter der Dekra in Essen, kennt solche eher seltenen Fälle. Gemeinsam mit der Verkehrswacht wurde vor einigen Jahren die Probe aufs Exempel gemacht. Die Testpersonen waren Richter und Staatsanwälte, die in schrottreifen Fahrzeugen auf dem Dekra-Gelände mitfuhren. Der Fahrer streifte dabei das ein oder andere Auto, die Teilnehmer bemerkten das meistens, aber nicht immer. Eine leichte „streifliche Berührung“ an der Fahrzeugseite muss man nicht immer spüren, wenn beispielsweise ein gleichzeitiges Bremsen das andere Geräusch überlagert. „Aber als plötzlich ein Spiegel abgefahren wurde, da hat es so einen Knall gegeben, dass alle zusammengezuckt sind“, erinnert sich Dekra-Abteilungsleiter Berthold Ostendorf.
Und warum fahren trotzdem so viele einfach weiter? „Die Hemmschwelle ist niedriger geworden“, findet Ueberbach. „Es liegt leider auch an unserer Ellbogengesellschaft“, sagt Karl-Heinz Webels, Vorsitzender der Verkehrswacht Essen. „Den Menschen ist es schlicht egal“, kritisiert er. Aber manchmal ist es auch einfach die Angst, die einen treibt. So bei dem ein oder anderen jungen Fahranfänger, der sich vor den Konsequenzen fürchtet – oder bei Senioren, die sich grämen, weil ihnen nahegelegt werden könnte, den Führerschein doch lieber abzugeben. Webels: „Ich fände es gut, wenn jeder zu seiner Verantwortung stehen würde.“ Ausnahmslos.