Essen. . Das „Lager“ über dem wärmenden U-Bahn-Lüftungsschacht am Hauptbahnhof verstört Passanten und wirft Fragen auf. Einige aus der Szene meiden die Notschlafstelle in der Lichtstraße.

Das Lager auf dem warmen Lüftungsschacht an der Südseite des Hauptbahnhofs: Selbst für jene, die die Essener Obdachlosenszene ziemlich gut kennen, ist dieser Anblick gewöhnungsbedürftig. Andere – darunter Polizisten und Politiker, DB-Security und Streifendienst, Sozialarbeiter und Dezernatsleiter – fragen sich mit sorgenvoller Miene, was wohl daraus werden mag: eine dauerhafte Lagerstätte? Oder ist es nur eine Zeiterscheinung, ein zu duldendes Provisorium? Verstörte Passanten quält derweil eine prinzipielle Frage: Warum übernachten Menschen im Wohlfahrtsstaat Deutschland selbst bei eisiger Kälte draußen?

Die Freiwilligen von „Essen packt an“ (EPA) ziehen seit gut einem Monat mit ihren Bollerwagen durch die City, um Obdachlosen „warm durch die Nacht“ zu helfen – mit heißer Brühe und Tee, mit Decken und Kleidung. Das nächtliche „Lager“ am Hauptbahnhof zählt zu ihren festen Anlaufstellen. Führt ihre Barmherzigkeit unbeabsichtigt dazu, dass sich das Lager vergrößert?

„Dafür haben wir keine Anhaltspunkte“, erwidert ein Sprecher der Stadt, die eigentlich gar nicht zuständig ist. Denn das überdachte Terrain rund um den warmen Schacht – gelegen zwischen „Backwerk“ und Evag-Kundencenter – gehört der Bahn. Und die reagiert auf die Obdachlosen durchweg milde und nur gelegentlich repressiv, also mit Platzverweisen. Die EPA-Aktivisten sind dort willkommen. „Mir wurde von der DB ausdrücklich bestätigt, dass man unsere Form der mobilen Hilfe gutheißt“, sagt EPA-Sprecher Markus Pajonk.

Rucksackspenden sind gern gesehen

(Selbst-)Kritik kam zwischenzeitlich vielmehr in den eigenen Reihen auf. Als das Lager an manchen Abenden mit Kleiderspenden geradezu überschwemmt wurde, klagte eine Aktivistin bei Facebook: „Oft werden die neu verteilten Kleidungsstücke einfach wie Müll liegen gelassen“. Dieses Ärgernis sei jedoch längst abgestellt, betont Pajonk: „Um gezielt zu helfen, führen wir jetzt eine Bestellliste, die wir abarbeiten.“ Ferner bitten die „Epalaner“ um Rucksack-Spenden, damit die Obdachlosen ihr Hab und Gut tagsüber besser wegtragen können.

„Die Unsichtbaren“ im Hauptbahnhof

Die Obdachlosen-Ausstellung „Die Unsichtbaren“ läuft bis zum 30. Januar im Hauptbahnhof.

Der Heizungsraum der Berliner Bahnhofsmission diente als Fotostudio. 25 der insgesamt 52 Porträts stellt die DB jetzt aus.

Der Erlös aus dem Verkauf des Bildbandes „Unsichtbar“ kommt den Bahnhofsmissionen zugute.

In Deutschland leben rund 300.000 Menschen ohne feste Bleibe.

Obdachlosigkeit – das ist nicht nur ein Thema draußen vor dem Hauptbahnhof. Drinnen, in der großen Halle, zeigt die Deutsche Bahn seit gestern morgen großformatige Porträts von Obdachlosen. „Die Unsichtbaren“ nennt sich diese stille und trotzdem aufwühlende Ausstellung des Berliner Fotografen Reto Klar und der Journalistin Uta Keseling. Mit einer Pulle Bier in der Hand und starker Fahne betrachtet Elmar (53) die schwarz-weißen Tafeln. Er sagt: „Ich bin seit 34 Jahren drogenabhängig und seit einem Jahr ohne festen Wohnsitz. Als ich aus dem Knast kam, war meine Wohnung weg.“ Aber draußen schlafen wie die Jungs auf dem „Schacht“? Nein, das komme für ihn nicht in Frage, betont er. Und verweist auf die Notschlafstelle in der Lichtstraße.

Eine von Caritas und Diakonie getragene Kriseneinrichtung, in der Obdachlose schlafen und essen, sich wärmen und duschen können. Schwer nachzuvollziehen, aber wahr: Viele aus der Obdachlosenszene meiden ausgerechnet dieses rettende Asyl in kalter Nacht. So mancher, heißt es, habe dort Hausverbot, einige hätten Angst, von anderen Obdachlosen beklaut zu werden. Aber die meisten sind offenbar nicht bereit, sich den Regeln des Hauses zu unterwerfen.