Essen. . Die 20. Auflage des JOE-Jazzfestivals im Rüttenscheider Katakomben-Theater präsentierte wieder entdeckungswürdige Bands. Wo aber sind die vielen Jazz-Fans der vergangenen Jahre geblieben?
Ständig im Windschatten der großen Schwester segeln zu müssen, ist nicht schön. Vor allem, wenn man genauso attraktiv ist, ohne die gleiche Aufmerksamkeit zu finden. Just jenes gilt für das Essener JOE-Festival, das sich bei seinem 20. Geburtstag konzeptionell dem famosen Münsteraner Jazzfestival durchaus ebenbürtig erwies. Denn auch John-Dennis Renken und Patrick Hengst, die beiden Vorstände der Jazz Offensive Essen, verzichten seit Jahren auf ebenso bekannte wie teure US-Stars und präsentieren stattdessen noch entdeckungswürdige Bands.
Ob die Jazzfans, die in den Anfangsjahren des JOE-Festivals das Katakomben-Theater bis auf den allerletzten Stehplatz füllten, inzwischen größtenteils ausgestorben sind? Man weiß es nicht, jedenfalls gab es selbst beim Auftritt von Han Bennink, dem trommelnden Alt- und Großmeister der europäischen Improvised Music, leere Stühle zuhauf. Schade, denn wie gewitzt der 72-Jährige mit den fabelhaften Youngstern Simon Toldam (Piano) und Joachim Badenhorst (Klarinette) die Jazzgeschichte erst auf den Kopf und danach mächtig swingend auf völlig neue Füße stellte, das war ganz großes Kino in bester, meist verkannter Free-Jazz-Tradition.
Stillere Momente im abwechslungsreichen Geschehen
Ansonsten gab es Rückblicke vor allem als erfreulich unnostalgische Verortungen eigener Standpunkte im Hier und Jazz. So hatte das französische Quartett „Rétroviseur“ in druckvoller Kombination von Sax, Vibraphon, Drums und ekstatischem Bass die Zukunft fest im Blick. Während ihr Landsmann Marc Ducret, sonst solistisch oft brachial agierender E-Gitarrist, mit seinem Trio zu überraschend dialogischer Klangkunst von subtiler Raffinesse fand.
Auch interessant
Faszinierend auch, mit welch’ luzidem, lyrischem Ton Charlotte Greve feine Altsax-Melodien blies, die ihr „Lisbeth Quartett“ als Opening-Act in filigraner Klangpracht emotional aufheizte. Starke Kontraste als krönenden Schlusspunkt setzte dagegen die ungleich bekanntere, längst in New York etablierte Tenorsaxophonistin Ingrid Laubrock, die ihr Horn zu brodelnden Bass- & Guitar-Improvisationen mal delikat singen, mal eruptiv schreien ließ.
Natürlich gab es auch stillere Momente im abwechslungsreichen Geschehen. Ein Augenschmaus die handgemachten Overhead-Projektionen von Katrin Bethge zu hypnotischen Bass-Drones von John Eckardt, ein kammermusikalisches Meisterwerk der Auftritt des Neu-Esseners Christian Ugurel (reeds) mit einem Streichquartett plus Drums, die in atemberaubender Schönheit Jazz und Klassik zu intensiven Klangbildern verwoben.