Essen. . Leichte Muse trifft düstere Geschichte: Eine Neuinszenierung des Musical „Cabaret“ am Essener Schauspiel leuchtet das Stück clever aus. Die Premiere war ein voller Erfolg.
Willkommen im Club: Die Girls sind immer noch „heiß“, die Männer haben Schlapphut und galanten Schliff. Trotzdem ist dieses Essener „Cabaret“ nicht nur eine riesige Nostalgiejukebox für Welthits von „Mein Herr“ bis „Money, Money, Money“.
„Life is a Cabaret“, das Motto dieses seit der Verfilmung mit Liza Minnelli weltberühmten Musicals gilt schließlich bis heute. Man muss den Stoff nur frisch aufschütteln, um die braunen Geister, die sie damals riefen, wieder gespenstisch nahe zu spüren. Dass man das Stück aus den späten 1920ern in Berlin durchaus in seiner Zeit belassen kann, ohne den rechten Spuk bloß als historische Randnotiz zu vermerken, davon zeigt sich Regisseur Reinhardt Friese überzeugt und findet im Essener Schauspielhaus großartige Mitspieler. Die Premiere am Samstag wurde stürmisch gefeiert wie lange nicht.
Stimmstarke Darsteller
Auch wenn das Musical von Joe Masteroff, John Kander und Fred Ebb anderen Gesetzen gehorcht als heutige Hochleistungs-Singspiele, sind stimmstarke Darsteller an so einem Abend die halbe Miete. Und da ist erfreuliches aus dem Essener Ensemble zu vermelden, das das Stück ganz ohne Gäste auf vorzügliches Niveau bringt. Allen voran Jan Pröhl als Conférencier, der den braunen Hitler-Scheitel über dem weißen Totenmaskengesicht mit maliziösem Lächeln trägt, ein butterweicher Brutalobrocken und aasiger Begleiter in den Abgrund. In seiner Figur ist alles enthalten, das Frivole, aber auch die Lust am eigenen Untergang und das Wissen, dass das moralische Mieder gerade dann etwas lockerer sitzen darf, wenn der Gürtel enger geschnallt werden muss.
Die Bühne wird rot vor Herzklopfen
Das Mieder von Sally Bowles ist unschuldig weiß. Aber wenn Janina Sachau das „Maybe this time“ anstimmt, wird die Bühne rot vor Herzklopfen. Sachau singt überzeugend, spielt mit Pep und Pose und wirbelt dazu auch noch sehr anmutig mit den Kit-Kat-Girls über Stuhl und Bühne.
Auch interessant
Günter Hellweg hat einen fabelhaften, abstrakt-atmosphärischen Vielzweckraum gebaut, einen großen, löchrigen, auf- und abfahrbaren Zylinder, der wie eine bedrohliche Mauer wirken kann, aber auch wie ein Vorhang voller Schlüssellöcher.
Auf der Showtreppe dahinter spielen sich die kleinen und großen Dramen ab. Die quirlige Halbweltdame Sally liebt den amerikanischen Schriftsteller Clifford Bradshaw (schön bei Stimme: Thomas Meczele), aber der wird seine schillernd-unberechenbare Geliebte irgendwann so fluchtartig verlassen wie das ungemütliche Hitler-Deutschland. Und der zuvorkommende Herr Schultz liebt das in Ehren ergraute Pensionswirtin-Fräulein Schneider, das seine zur Verlobung bekommene Obstglasschale aber schon zurückgeben wird, bevor die Kristallnacht alle Hoffnungen auf eine Ehe mit einem jüdischen Obsthändler zerstört. Ingrid Domann und Rezo Tschchikwischwili machen aus diesem Paar zwei hinreißend-zarte Figuren himmelhochjauchzender Hoffnungslosigkeit.
Großes Klangkino, live
Und sie erfahren hervorragende Unterstützung aus dem Orchestergraben, wo Hajo Wiesemanns Acht-Mann-Frau-Combo ganz großes Klangkino zaubert und den unzählig oft gehörten Songs immer doch wieder Nuancen abtrotzt, wie dem wunderbaren kapitalismuskritischkrachenden „Money“ oder dem derb-komischen „Two ladies“ in Lederhosen. Gendermäßig aufgerüstet hat dazu die Tanzabteilung der Folkwang-Universität und auch zwei Herren in Straps und Mieder gesteckt.
„Willkommen, bienvenue, welcome...“ klingt es zu Beginn. Zum Abschied heißt es nur leise „Goodbye und Auf Wiedersehen“. Das „Cabaret“ wird noch lange nicht von den Bühnen verschwinden. In Essen hat man gute Gründe dafür geliefert. Die Vorstellungen bis Februar sind praktisch schon ausverkauft.