Essen. Zwischen glanzvollem Entertainment und politischer Brisanz inszeniert Reinhardt Friese das weltberühmte Musical „Cabaret“ im Grillo-Theater. Der Regisseur denkt dabei auch an aktuelle Ereignisse wie NSU-Morde oder Hooligan-Demos.

Eigentlich ist „Cabaret“ ein alter Hut. Das Musical von Fred Ebb, John Kander und Joe Masteroff hat fast 50 Jahre auf dem Buckel. Und niemand empört sich mehr über freizügige Kostüme oder das vertanzte Dritte Reich. Doch erfährt es heute eine erschreckende Aktualität. „Das Thema Rechtsextremismus liegt wieder auf dem Tisch. Die NSU-Morde, Hooligan-Demos und aufkommender Antisemitismus lassen es in einem neuen Licht erscheinen“, meint Reinhardt Friese.

Der Regisseur, der zwei Jahre nach seiner Essener Version von „Black Rider“ in Hof als Intendant Furore macht, weiß, wovon er spricht. Bei über hundert Inszenierungen liegt sein Schwerpunkt auf dem Musiktheater. 20 „Cabaret“-Aufführungen sowie den achtfach Oscar-prämierten Film mit Liza Minnelli hat er bestimmt schon gesehen, es selbst in Wilhelmshaven vor zehn Jahren als Tour-Produktion mit Musik vom Band auf die Bühne gebracht. „Das war ein völlig anderer Zugriff. Umso mehr freut es mich, dass ich in Essen gefragt wurde, ob ich es inszenieren will“, sagt der 46-Jährige. Er wollte - trotz Doppelbelastung und den 1000 Kilometer-Fahrten pro Probenwoche.

„Blick über die Schulter auf unsere Gesellschaft“

Die übliche Komplett-Bebilderung hätte ihn wohl nicht gereizt. „Man kann das Stück nicht modernisieren, aber etwas zeitloser machen. Wir lassen Sofas, Tischchen und Deckchen weg und schaffen einen abstrakten Raum mit 14 Stühlen und einer Showtreppe in einem Zylinder. Ich will nicht illustrieren, sondern eine Brisanz erzeugen, damit die Geschichte näher an das Publikum heranreicht“, führt er seinen „Blick über die Schulter auf unsere Gesellschaft“ aus und verweist auf die erneuten Mitstreiter Günter Hellweg (Bühne) und Annette Mahlendorf (Kostüme).

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Zwischen dem Niedergang der Weimarer Republik und aufkeimendem Nationalsozialismus bewegt sich die Handlung des Musicalstoffs, die von dem amerikanischen Schriftsteller Cliff Bradshaw, der Nachtclub-Sängerin Sally Bowles, der Hauswirtin Fräulein Schneider und dem jüdischen Obsthändler Schultz im flirrenden wie total verarmten Berlin erzählt.

Swing, Ragtime und Jazz

Dabei setzen im Grillo-Theater die Kleider die Zeichen der Zeit und die berühmten Songs wie „Money“, „Two Ladies“ oder „Der morgige Tag“ aus der Bühnen- und der Filmfassung. Swing, Ragtime und Jazz erklingen von einer achtköpfigen Band unter Leitung von Hajo Wiesemann. „Er macht das toll. Er produziert nicht nur Töne, sondern mit den Schauspielern emotionale Haltungen“, lobt der Regisseur und hört nicht mehr auf. Eine Sahne-Besetzung sei das mit Janina Sachau, die zum ersten Mal Musical spiele und fantastisch singe und tanze, mit Jan Pröhl, Rezo Tschchikwischwili, Ingrid Domann sowie den Musicalstudenten der Folkwang-Universität.

Einen prallen, aufregenden Abend, wünscht sich Friese. Alle Ingredienzen von gut gemachtem Entertainment über exzellente Figurenzeichnung bis zu rabenschwarzen Texten sind angerichtet. Bleibt nur noch zu sagen: „Willkommen, bienvenue, welcome - im Cabaret, au Cabaret, to Cabaret.“