Essen. . Extrem scharf und unglaublich nah: Zwei Essener zoomen die Sehenswürdigkeiten des Landes heran. „Reality Zoom“ heißt das Start-up-Unternehmen des Essener Fotografen Peter Wieler und des Panorama-Experten André Menne. Ende des Jahres startet das landesweite Unesco-Projekt.
Fürs frisch gekürte Unesco-Welterbe Schloss Corvey braucht es bald nur noch einen Klick zum ersten Kennenlernen. Von dort aus geht der 360-Grad-Panorama-Blick dann über die imposante Anlage der Zeche Zollverein. In Brühl wird man sich dem Rokoko-Zauber von Schloss Augustusburg hingeben können, bevor 7000 Megapixel Bildauflösung die Kuppel-Mosaike des Aachener Doms in über 30 Meter Höhe zum Greifen nah erscheinen lassen. Und der Kölner Dom zeigt sein gotisches Schmuckwerk wie unter einem riesigen Vergrößerungsglas in hochauflösender Strahlkraft.
„Reality Zoom“ heißt das Start-up-Unternehmen des Essener Fotografen Peter Wieler und des Panorama-Experten André Menne, das hinter diesen neuartigen 360-Grad-Erlebeniswelten steckt. Die von ihnen entwickelten, technisch bislang wohl ziemlich einzigartigen Möglichkeiten in der Panoramafotografie macht sich nun auch das Land NRW zunutze. Ende des Jahres startet in dessen Auftrag ein aufwendiges Projekt zur virtuellen Besichtigung aller NRW-Welterbestätten. Sehenswürdigkeiten wie Kloster Corvey und der Aachener Dom werden dabei nicht einfach „ins Netz gestellt“. Mit dem von Menne und Wieler selbst entwickelten Verfahren und einer extrem hohen Rechnerleistung werden die Orte zu echten Erlebnisräumen, durch die man sich per Mausklick bewegen kann. Weitere Projekte von der Essener Domkirche bis zu Schloss Landesberg sind bereits virtuell zu besuchen.
Internet-Sightseeing
Extrem scharf und unglaublich nah: Was die beiden Essener mit Kamera und Spezial-Rechner in gigantische Pixelmengen umgewandelt haben, sprengt alle herkömmlichen Vorstellungen von Internet-Sightseeing. Vorläufer wie Google Art Projekt, das Kunstliebhabern eine virtuelle Begegnung mit den großen Museen der Welt ermöglicht, mögen dabei Inspiration gewesen sein, bewegten sich aber „auf technisch niedrigerem Niveau“, wie Menne selbstbewusst erklärt. Die Panoramaspezialisten nämlich wollen nicht nur einzelne Bilder zeigen, sie schaffen ein echtes Raumerlebnis. Der virtuelle Besucher steht dabei mittendrin und kann entscheiden, wohin der Blick wandert. Ob in der Totalen oder bis aufs feinste Detail gerichtet.
Lange haben sie an der neuen Technik getüftelt, weil ihnen die Fotografie irgendwann zu statisch war und das Medium Film nicht interaktiv. Das Essener Thyssen-Krupp-Quartier war ein Jahr lang ihr „Trainings-Camp“. Jetzt wollen sie die Sehenswürdigkeiten im ganzen Land heranzoomen.
Supercomputer
Das Equipment für derlei virtuelle Pionierprojekte gibt es freilich nicht im Computershop um die Ecke. Ein herkömmlicher Rechner, erklärt IT-Fachmann Menne, benötigte bis zu zwei Monate, um die vielen tausend Einzelbilder zusammenzusetzen, die bei nur einer Aufnahme entstehen. Benötigt wurde deshalb eine Art Supercomputer, der diese Datenvolumen aufnehmen und verarbeiten kann. Mit einer Flex und zusätzlich eingebauten Kabelbäumen wurde ein handelsüblicher Computer auf das benötigte Leistungsniveau aufgerüstet. Eine extra Starkstromversorgung sorgt dafür, dass den Nachbarn beim Welterbe-Bearbeiten nicht das Licht ausgeht. „Mit dem Gerät könnte man eine ganze Wohnung heizen“, erklärt Menne.
Von der hochauflösenden Präzision, mit der auch entfernteste Deckenmalereien ganz nah heranrücken, dürften dabei nicht nur Internet-Besucher, sondern irgendwann vielleicht auch Kunsthistoriker und Restauratoren profitieren. Detaillierter hat man Cosmas und Damian, die Schutzheiligen im Essener Dom, jedenfalls noch nie betrachten können. Und von Ausstellungen wie der großen 200 Jahre Krupp-Schau im Ruhr Museum ist am Ende nicht nur ein Katalog, sondern der komplette virtuelle Ausstellungsrundgang geblieben. Digitale Nachhaltigkeit.
Lust aufs Original wecken
Nur gucken, nicht anreisen, das ist trotzdem nicht das Motto von „Reality Zoom“. Wieler und Menne wollen mit ihrem Projekt vielmehr die Entdeckerlust wecken, das Objekt anschließend auch in der Realität zu erkunden.