Essen. . Der längste Streik der Bahngeschichte wird auch in der Gewerkschaft GDL kontrovers diskutiert. Ein Essener, der 45 Jahre bei der Bahn gearbeitet hat, sieht den vier Tage währenden Streik mit gemischten Gefühlen. „Ich bin zwar grundsätzlich dafür, aber nicht, dass er so hart geführt wird“, sagt er.
Raimund Klimmek war 45 Jahre Lokführer bei der Bahn. Nächstes Jahr wird er pensioniert, dann ist die passive Altersteilzeit zu Ende. Den längsten Streik in der Bahngeschichte verfolgt der 64-Jährige derzeit vom heimischen Wohnzimmer in Freisenbruch aus – mit gemischten Gefühlen.
Was denkt er über den laufenden Streik der Kollegen?
Raimund Klimmek ist in der Essener Ortsgruppe der Lokführergewerkschaft GDL organisiert. Seine Funktion dort: stellvertretender Pensionärsvertreter. Grundsätzlich befürwortet er den Streik, gibt der Bahnführung die Hauptschuld an der Eskalation. „Das Schlichtungsangebot der Bahn am Mittwoch war doch eine reine Farce, zumal man noch nicht einmal verhandelt hat“, meint er. Doch gleich vier Tage Streik sind aus seiner Sicht zu hart. „So rabiat habe ich das noch nie erlebt.“
Kann er die Kritik an GDL-Chef Weselsky, der auch wegen seiner poltrigen Art zum Buh-Mann der Nation avanciert, verstehen?
„Mich stört ein bisschen, wie er sich gibt. Man könnte das sicher eleganter machen.“ Mehr möchte er nicht zur Person Weselsky sagen.
Macht sich Raimund Klimmek derzeit Sorgen um seine Kollegen?
Ein vier Tage langer Streik sei für die betroffenen Fahrgäste schon „sehr, sehr hart“, meint er. Ich kann verstehen, wenn die nicht gerade pro Lokführer sind.“
Der 64-Jährige selbst macht keinen Hehl daraus, dass er froh ist, dass er jetzt nicht fahren muss. In der Haut seiner Kollegen wolle er nicht stecken. Während es am Donnerstag Fotos von streikenden Lokführern mit Fahnen und den typischen Plastikwesten aus anderen Städten gab, blieben die streikenden Essener im Verborgenen. „Wir haben sie absichtlich aus der Schusslinie genommen“, sagt Manfred Mulitze, Vorsitzender der GDL-Ortsgruppe. Eine Vorsichtsmaßnahme, aus der Sorge heraus, die Kollegen könnten angefeindet werden. „Wir sind keine so große Gruppe, die sich selbst schützen könnte“, meint er. Auch die Telefonnummern der GDLer sind seit dem letzten Streik auf der Internetseite gelöscht.
Mulitze stört unterdessen, dass die Tarifauseinandersetzung nur noch auf einen reinen Machtkampf reduziert werde, dass die eigentlichen Forderungen der Gewerkschaft nach mehr Lohn und einer Überstundenregelung für die Lokführer nicht mehr durchdringen.
Auch Raimund Klimmek beklagt, dass viele Fahrgäste einen anderen Blick auf den Streik hätten, wenn sie die Hintergründe kennen würden. „Fragen Sie meine Kinder mal, wie oft ich Weihnachten oder Silvester zu Hause war, wie häufig ich erst mitten in der Nacht nach Hause kam“. Dabei gehe es ihm als verbeamteter Lokführer beim Gehalt noch vergleichsweise gut. Ein angestellter Kollege bekomme in der Endstufe fast 700 Euro weniger.
Wie würde sein Vorschlag zur Güte lauten?
Er würde es machen wie bei der Papstwahl, sagt Raimund Klimmek und muss darüber selbst lachen: „Ich würde alle zusammen mit einem Moderator so lange einsperren, bis eine Lösung gefunden ist.“ Auf jeden Fall wünscht er sich, dass alle Seiten in dem laufenden Konflikt mehr Demut zeigen sollten.
Apropos zeigen: Raimund Klimmek wollte sich nicht fotografieren lassen. „Ich bin ja keine Hauptfigur in dem Streik.“