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Sie hatten die Nasen voll vom Kohlenstaub, aber noch mehr von den ausbeuterischen Grubenbesitzern. Sie streikten, um ihre Familien ernähren zu können, um ihre Überstunden bezahlt zu bekommen und den immer länger werden Arbeitsweg in die immer tieferen Stollen – und viele Ruhrbergarbeiter ließen dafür vor 125 Jahren ihr Leben. Es war die Mutter aller Streiks in Deutschland, und sie begründete den Aufstieg der Gewerkschaften in diesem Land. Unvergessen sind auch die Streiks der Metaller in den 50er-Jahren für die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall und der Stahlarbeiter in den 70ern für humanere Arbeitszeiten.

Ausweitung der Macht

Die Lokführer streiken – nicht für mehr Lohn oder ihre nackte Existenz, sondern für eine Ausweitung ihrer Macht auf die Zugbegleiter. In die Geschichte eingehen werden sie damit allenfalls als jene Gewerkschaft, die eine gute deutsche Tradition in Verruf gebracht hat. Nicht die Tradition des Streiks, mit der ist es in Deutschland gar nicht so weit her, wie man dieser Tage meinen könnte. Was beschädigt wird, ist die Tradition der Gewerkschaften in diesem Land. Sie begründet sich nämlich mitnichten in möglichst folgenschweren Streiks mit Maximalforderungen, sondern im genauen Gegenteil: Die Gewerkschaften haben die Funktion des Mittlers zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern. Und als solche haben sie sich über die Jahrzehnte gesehen.

Nun hat es die kleine GDL mit ihrer Republik-Stilllegung tatsächlich geschafft, eine Debatte über das Streikrecht loszutreten, die womöglich gar in einem Gesetz zur Tarifeinheit mündet. Die Warnung vor „französischen Verhältnissen“ ist hier und da zu hören. Die ist so überzogen wie die Lokführer-Streiks, die Zahlen sind eindeutig: Die Deutschen liegen mit ihrer Streikbereitschaft in Europa weit, weit hinten. Auf einen Streiktag in Deutschland kommen zehn in Frankreich. Das zeigt die Streikbilanz der Hans-Böckler-Stiftung für die Jahre 2005 bis 2012. Der aktuelle Streik wird an diesem Größenverhältnis nicht viel ändern.

Und das liegt nicht nur, wie hierzulande viele meinen, an der revolutionären Ader der Franzosen, sondern hat System. In Frankreich hat jeder Bürger ein persönliches Streikrecht. Er kann gegen die Regierung oder für bessere Arbeitsbedingungen in seinem Betrieb streiken, wenn er möchte. Eine Gewerkschaft braucht er dafür nicht.

Gewerkschaften als Mittler

In Deutschland dagegen haben sich die Gewerkschaften als Mittler zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern etabliert. Diese Rolle hat sie groß werden lassen, größer als in jedem anderen europäischen Land. Damit ist ihre Verantwortung gegenüber den Beschäftigten, aber auch gegenüber der Gesellschaft gewachsen. Dass die mächtigste Gewerkschaft des Landes, die IG Metall, seit geraumer Zeit stets das große Ganze im Blick hat, bewies sie eindrucksvoll in der Finanz- und Wirtschaftskrise nach 2008. Ihre Instrumente zum Arbeitsplatzerhalt, vor allem die erweiterte Kurzarbeit, brachten Deutschland durch die Krise, was unsere Nachbarländer neidvoll anerkannten. Wenn’s in den Verhandlungen hakt, wird nach wie vor auch gestreikt. Von französischen Verhältnissen sind wir nicht trotz, sondern dank der Gewerkschaften so weit entfernt.

„Tod der Bewegung“

Entsprechend bittere Worte findet der Chef der IG Metall für die Lokführer. Detlef Wetzel, eigentlich ein Mann der eher leisen, feinen Töne, spricht vom „Tod der Gewerkschaftsbewegung“, wenn die GDL die Zuständigkeit für eine Berufsgruppe reklamiert, deren Mehrheit sie mangels Mitgliedern gar nicht vertreten kann. Das Vorgehen der Lokführer schüre „die Stimmung gegen die Gewerkschaften“, sagte Wetzel dem „Spiegel“.

Die Großgewerkschaften, auch Verdi und IGBCE, sehen ihren Ruf durch Weselskys Lokführer gefährdet. Dennoch lehnen sie es einhellig ab, deshalb im Zuge des Tarifeinheitsgesetzes das Streikrecht einzuschränken. Dass es dieses Recht gibt, und dass die Gewerkschaften in Deutschland überhaupt groß werden konnten, ist das historische Vermächtnis der Ruhrbergarbeiter. Sie standen 1889 zu Zehntausenden auf, ohne Gewerkschaft im Rücken, und kämpften gegen unbezahlte Überstunden und miserable Arbeitsbedingungen. Sie ließen sich vom Militär niederknüppeln und viele zahlten mit ihrem Leben. Am Ende erreichten die Bergarbeiter für sich wenig, im Lichte der Geschichte aber unschätzbar viel für die Arbeiterbewegung. Historiker schreiben nicht zuletzt dem Ruhrbergarbeiterstreik auch die Aufhebung des Sozialistengesetzes 1890 zu, jenes Gesetzes „gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie“. 125 Jahre später will eine SPD-Arbeitsministerin Gewerkschaften an die Kette legen, die ihr zu eigensinnig sind. Eine reife Leistung der GDL.