Duisburg-Homberg. Die Homberger Schädlingsbekämpfer Keßner feiern 111. Geburtstag. Ein Gespräch über lästige Biester, Familienbande und Eierlikör als Bezahlung.

Hätte man Berthold Keßner einst erzählt, dass es mal Rattenfallen geben würde, die eine SMS ans Smartphone verschicken, wenn sie Beute gemacht haben, dann hätte er seinem Gegenüber vermutlich den Puls gefühlt. Denn als der Senior im Jahr 1911 den Grundstein für den Familienbetrieb der Schädlingsbekämpfer Keßner legte, da zog man noch mit ganz anderen Mitteln gegen Nager, Bettwanzen & allerlei andere lästige Biester aus. Der eigene Gesundheitsschutz stand dabei nicht an erster Stelle. Und oft war es ein Ausprobieren, was denn wohl am besten hilft. „Das war kein Ausbildungsberuf so wie heute“, sagt sein Enkel, der nicht nur den Vornamen Berthold, sondern auch die Leidenschaft für den Beruf geerbt hat. 1962 hat er den Betrieb gemeinsam mit seinem Vater Albert übernommen.

Heute ist er der Seniorchef. Berthold Keßner hat das Familienunternehmen in ein neues Jahrtausend geführt. Und weil der Mann Karnevalist ist und die Feier des 110. Geburtstags der Pandemie zum Opfer fiel, gibt es jetzt mit einem Augenzwinkern zum 111. Geburtstag eine große Sause in der Firma. Passenderweise am 9. 9. Fast hätte er den jecken Schnapszahl-Reigen noch mit seinem Alter abgerundet. Nein, die 77, auf die wir ihn höchstens geschätzt hätten, hat der sportbegeisterte Homberger längst hinter sich. Im kommenden Jahr wird Berthold Keßner 88.

Den neuen Firmensitz an der Lauerstraße in Duisburg-Homberg haben Berthold Keßner und Sohn Benjamin herausgeputzt. Der Duisburger Künstler Mr. Graffiti hat die Fassade mit den niedlichen Ameisen verschönert.
Den neuen Firmensitz an der Lauerstraße in Duisburg-Homberg haben Berthold Keßner und Sohn Benjamin herausgeputzt. Der Duisburger Künstler Mr. Graffiti hat die Fassade mit den niedlichen Ameisen verschönert. © FUNKE Foto Services | Rüdiger Bechhaus

„Manchmal habe ich das Gefühl, ich werde hier ein bisschen wegdigitalisiert“, sagt der Senior-Chef und zwinkert seinem Sohn Benjamin zu, der die Modernisierung in der Firma vorantreibt. Der 40-Jährige ist – wie kann es anders sein bei den Keßners – ebenfalls Schädlingsbekämpfer und teilt sich das Amt des Geschäftsführers mit dem Vater. „Aber meine Eltern haben sich Anfang des Jahres aus dem operativen Geschäft zurückgezogen.“ Sie kümmern sich jetzt vor allem um die restlichen Arbeiten, die nach dem Umzug in das ehemalige Johanniter-Gebäude an der Lauerstraße im Jahr 2019 noch zu machen sind.

[Sie möchten keine Nachrichten aus Duisburg mehr verpassen? Hier können Sie unseren kostenlosen abendlichen Duisburg-Newsletter abonnieren.]

Für die Keßners war das Haus mit seiner zentralen Lage und der idealen Größe ein Glücksgriff. Die vorherige Bleibe im Souterrain des Elternhauses an der Margaretenstraße war viel zu klein für den Betrieb geworden, der mittlerweile ein Einzugsgebiet von 50 Kilometern rund um Duisburg, einen imposanten Fuhrpark und 30 Mitarbeiter hat. Nun haben sie das alte Gebäude auffallend schön herausgeputzt und für ihre Bedürfnisse umgestaltet. Eine Investition, die sich lohnt, denn der Job ist krisensicher. Ratten, Schaben, Kakerlaken, Wespen, Tauben und Wanzen kennen keine Rezession.

Vor allem die vermehrungsfreudigen Nager, die uns Menschen seit Jahrtausenden plagen, stehen aktuell wieder auf Platz 1 der firmeninternen „Top 10“. „Bei uns machen Ratten und Mäuse mehr als ein Drittel des Geschäfts aus“, sagt Benjamin Keßner. Übertroffen werden sie phasenweise von den Wespen. „Die waren in diesem Sommer für uns ein Riesenthema.“ Nur am Ende, das erzählt der Junior-Chef, ging ihnen wegen der langen Hitzeperiode die Luft aus. „Davor hatten wir so viel zu tun, dass es für neue Aufträge drei bis vier Wochen Wartezeit gab.“

Der alte Schaukasten, der den Krieg überstanden hat, zeugt von der langen Firmentradition der 1911 gegründeten Homberger Schädlingsbekämpfer-Firma Keßner.
Der alte Schaukasten, der den Krieg überstanden hat, zeugt von der langen Firmentradition der 1911 gegründeten Homberger Schädlingsbekämpfer-Firma Keßner. © FUNKE Foto Services | Rüdiger Bechhaus

Berthold und Benjamin Keßner lotsen uns aus dem Konferenzraum mit angrenzender Dachterrasse samt Palmen durch die Büro- und Telefonzentrale ins Gefahrstofflager. Hier gibt es Sachen, die kein Baumarkt führt. Zum Beispiel die hochwirksamen Giftköder, die den Geschmacksnerv der Mäuse im Jahr 2022 treffen. Wir dürfen an der offenen Dose schnuppern. Die Dinger riechen tatsächlich lecker – nach Nutella. In 111 Jahren Keßnerscher Schädlingsbekämpfung hat sich viel getan. Nicht nur, was die Stoffe und Tricks betrifft, mit denen gearbeitet wird. Auch über die Professionalisierung der Branche, die erst in den 60er Jahren so richtig Fahrt aufgenommen hat, staunt Berthold Keßner immer wieder.

Heute bekommen seine Mitarbeiter ihre Einsätze aufs Smartphone geschickt und das Geld natürlich aufs Konto. Früher zog Berthold Keßner mit einem Koffer voller Arbeitsutensilien und zwei leeren Taschen los, als er in der Nachkriegszeit mit seinem Vater die Binnenschiffe von Bettwanzen befreite. Der 86-Jährige erinnert sich: „Wenn wir für die Schifffahrt gearbeitet haben, wurden wir in Naturalien bezahlt.“ Vor allem die Schiffe, die aus den Niederlanden kamen, hatten feine Sachen an Bord, die nach getaner Arbeit in den leeren Taschen von Vater und Sohn landeten. „Butter, Kaffee, Schokolade“, zählt Keßner auf. „Und Eierlikör. Der war besonders gut!“

Von der Messi Wohnung bis zum Pelzmantel in Düsseldorf

Auch wenn es heute keine Leckereien mehr als Belohnung gibt – Benjamin Keßner liebt den Job, der auf den ersten und auch auf den zweiten Blick nicht unbedingt jedermanns Sache ist. „Ich fand das schon immer super“, sagt der 40-Jährige, der keinen Ekel vor Schädlingen kennt. Mittlerweile ist er als Geschäftsführer zwar mehr Manager als Macher, fährt aber immer auch noch selber zu Einsätzen. „Das will ich mir bewahren.“ Denn für ihn macht genau das den Reiz aus. „In welchem Beruf haben Sie ein solches Spektrum an Menschen und Orten?“, fragt er. „Ich sehe die tollsten und die schlimmsten Häuser und habe Einsätze von der Messi Wohnung bis zum Pelzmantel in Düsseldorf.“ Das scheint auch Eindruck auf seinen Sohn zu machen. Neulich hat der Sechsjährige seinem Papa verraten, was er mal werden möchte: Schädlingsbekämpfer!

>>> WAS TUN BEI PROBLEMEN MIT EINEM WESPENNEST?

Wer Probleme mit einem Wespennest hat, der ruft übrigens nicht die Feuerwehr, wie viele meinen. „Die Feuerwehr unterhält keine Geräte oder Mittel zur Bekämpfung von Schädlingen. Sie kann den betroffenen Bereich nur absperren“, teilt die Stadt mit. Betroffene, so ein Stadtsprecher, sollten sich an einen Schädlingsbekämpfer wenden oder an einen Imker, der das Nest gegebenenfalls umsiedelt.

Unter den Schädlingsbekämpfern, die im Internet für ihre Firmen werben, sind laut Benjamin Keßner auch Betrüger, die keine richtige Ausbildung haben und Verbraucher abzocken. Vor Ort werde dann plötzlich ein Vielfaches des vereinbarten Preises verlangt. Er rät, sich das Impressum anzuschauen, ob ein richtiger Firmensitz mit Adresse und Telefonanschluss angegeben ist oder nur eine Handynummer. Die Kosten für die Entfernung eines Wespennestes liegen bei Keßner je nach Aufwand zwischen 150 und 200 Euro.