Duisburg-Rheinhausen. Als 2020 bekannt wurde, dass in Duisburg Stolpersteine fehlen, wollte die Stadt handeln. Passiert ist danach nichts. Eine seltsame Spurensuche.
Wie wichtig ist die Erinnerung an die Opfer der Nationalsozialisten, wenn eine Pandemie die Stadt in Atem hält? Als wir im Februar 2020 darüber berichtet haben, dass zehn der insgesamt 300 bisher in Duisburg verlegten Stolpersteine vermutlich bei Straßenbauarbeiten spurlos verschwunden sind, da reagierte die Stadtverwaltung zunächst prompt. „Die Stolpersteine haben für die Stadt Duisburg eine hohe Symbolkraft und deshalb werden wir selbstverständlich die verloren gegangenen Steine ersetzen“, kündigte Pressesprecher Sebastian Hiedels damals an. „Gemeinsam mit den Wirtschaftsbetrieben, dem Jugendring und dem Künstler Gunter Demnig arbeiten wir derzeit an der Umsetzung.“
Moritz Rothschild und Philipp Wallach
Das war vor fast zwei Jahren. Passiert ist danach nichts. Corona dominierte die Arbeit im Rathaus. Bis der Friemersheimer CDU-Ratsherr Klaus Mönnicks kürzlich darauf aufmerksam machte, dass die Stadt ihr Versprechen, die Steine schnellstmöglich zu ersetzen, nicht eingehalten hat. Gemeinsam mit der Jungen Union putzt die CDU in Rheinhausen rund um den Gedenktag an die Opfer des Nationalsozialismus am 27. Januar die Steine.
Im Vorfeld wollte Mönnicks nachschauen, ob die in Rheinhausen fehlenden zwei Gedenkplatten wieder da sind, die an die Ermordung von Moritz Rothschild und Philipp Wallach erinnern. „Nicht einer der Stolpersteine ist ersetzt worden“, ärgert sich der Politiker. Das gilt auch für die acht anderen, die im Stadtgebiet fehlen.
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Die Ursachenforschung, warum es seit fast zwei Jahren nicht gelungen ist, die Steine zu ersetzen, gestaltete sich zäh. Auf unsere Anfrage reagierte die Verwaltung zunächst mit dem allgemeinen Hinweis, dass wegen der Corona-Kontaktbeschränkungen Steinverlegungen mit Angehörigen nicht möglich gewesen seien. Um diese ging es allerdings gar nicht – bemängelt wurde von der Rheinhauser CDU nicht die Verzögerung bei Verlegungen neuer Stolpersteine, sondern dass die zehn fehlenden Steine nicht ersetzt wurden.
Der Jugendring ist verwundert, dass er verantwortlich sein soll
Als weiteren Grund nannte die Pressestelle „personelle Umstrukturierungen beim Jugendring“, die zu zeitlichem Verzug geführt hätten. Dazu muss man wissen, dass das Projekt Stolpersteine gemeinsam von der Stadt und dem unabhängigen Jugendring gestemmt wird. In der Tat ist die Stelle, die beim Jugendring für Stolpersteine zuständig ist, neu ausgeschrieben. Kay Eller, der eingesprungen ist, war aber überrascht, dass der Jugendring für die fast zweijährige Verzögerung verantwortlich sein soll. „Wir wissen von den verschwundenen Steinen doch noch gar nicht so lange.“
Wegen fehlender Kapazitäten im Rathaus konnten die Stolpersteine nicht ersetzt werden
Die Stadt ruderte nach unserer erneuten Anfrage zurück: „Nachdem es Anfang 2020 erstmalig in dieser Angelegenheit Kontakt zum Jugendring gab, haben wir erst kürzlich erneut mit dem Jugendring gesprochen“, stellte Sprecher Sebastian Hiedels klar. Wegen fehlender Kapazitäten im Rathaus habe man das Thema nicht früher vorantreiben können. „Wir wollten keinesfalls den Eindruck erwecken, dass der Jugendring für die Verzögerung zum Ersatz der Stolpersteine verantwortlich ist.“
Unterm Strich bleibt die positive Nachricht, dass die zehn fehlenden Steine jetzt nach dem erneuten Anstoß aus Rheinhausen endlich bestellt sind und produziert werden. Und: „Es werden sogar noch mehr verlegt als verschwunden sind“, berichtet Kay Eller. Man habe die Gelegenheit genutzt und zu den Steinen, die für ermordete Kinder verlegt wurden, jetzt die noch fehlenden Namen der Eltern recherchiert.
Die Stadt finanziert den Ersatz – jeder Stein kostet 120 Euro, verlegt werden sie durch die Wirtschaftsbetriebe. Eller: „Insgesamt 22 Stolpersteine haben wir für nächstes Jahr auf der Liste.“ Dazu gehören aber auch noch neue Exemplare, die Vorrang haben, weil Familienangehörige aus Israel im April zur Verlegung kommen. Bis die steinernen Mahnmale für Moritz Rothschild und Philipp Wallach wieder da sind, kann es also dauern – aber sie kommen!
>>> MEHR ALS 300 SEITEN STARKE BROSCHÜRE ÜBER DUISBURGS STOLPERSTEINE
Im Jahr 2019 hat Martin Dietzsch, Archivar des Duisburger Instituts für Sprach- und Sozialforschung (DISS), bei der Recherche für die Broschüre „300 Stolpersteine in Duisburg“ entdeckt, dass im gesamten Stadtgebiet insgesamt zehn Stolpersteine verschwunden sind. Passiert ist das vermutlich bei Straßenbauarbeiten.
Die Broschüre ist 338 Seiten dick und bietet erstmals eine vollständige Liste aller Duisburger Steine mit Verlegungsort, Fotos, Datum sowie Kurztexten zu den Biografien. Das Buch kann online gratis angeschaut werden: http://www.diss-duisburg.de/online-bibliothek/bucher-im-volltext/broschuere-ueber-die-duisburger-stolpersteine/