Duisburg. Am 8. September ist Weltalphabetisierungstag. 30 000 Duisburger haben Probleme mit Lesen und Schreiben. Die VHS bietet Kurse für Erwachsene an.
Buchstaben können gemein sein. Es gab Zeiten, da tanzten sie vor Kerstins Nase so wild durcheinander, dass sie nicht in der Lage war, sinnvolle Wörter oder Sätze in dem ganzen Durcheinander zu erkennen. Bedienungsanleitungen verstehen oder Formulare fürs Amt ausfüllen? Das war ein Alptraum für die Duisburgerin. „Ich bin Legasthenikerin!“
Selbstbewusst spricht die 54-Jährige diesen Satz aus. Das hat sie gelernt. Man spürt, dass die Mutter zweier erwachsener Kinder mittlerweile zu ihrer Lese- und Rechtschreibschwäche steht. „Ich weiß ja jetzt, dass man dagegen etwas tun kann“, erzählt Kerstin, die ihren Nachnamen nicht so gern in der Zeitung lesen möchte. Aber zum Gespräch über den Weltalphabetisierungstag am 8. September ist sie gern in die VHS gekommen, denn sie möchte anderen Mut machen, das Lesen und Schreiben in speziellen Kursen zu lernen.
Auf eine familiäre Atmosphäre wird Wert gelegt
Die anderen, das sind ganz schön viele. „Stellen Sie sich mal eine ausverkaufte Schauinsland-Reisen-Arena vor“, sagt Eva Wortmann, die den Fachbereich Grundbildung und Alphabetisierung der Duisburger Volkshochschule leitet. 31 500 Zuschauer passen in das Stadion des MSV. Ungefähr so viele Duisburger haben Probleme mit dem Lesen und Schreiben, wenn man eine Studie zur Erfassung der Lese- und Schreibkompetenz der Deutschen auf die Stadt herunterbricht. Dabei gibt es große Unterschiede. Manch einer kann lediglich einzelne Buchstaben erkennen, andere haben nur dann Probleme, wenn es um zusammenhängende Texte geht.
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Die VHS bietet gemischte Kleingruppen an, in denen sich die Dozenten auf das Niveau der Lernenden einstellen und jeden individuell betreuen. In Rheinhausen wird der Kurs seit vielen Jahren an der Arndtstraße von Barbara Freund geleitet. Als sie den Unterricht wegen der Corona-Krise aussetzen musste, hat die Dozentin telefonisch Kontakt zu den Teilnehmern gehalten.
Es gibt keine Klassenarbeiten und Tests wie in der Schule
„Wir legen Wert auf eine familiäre Atmosphäre“, beschreibt Eva Wortmann das Konzept. „Hier gibt es keine Klassenarbeiten oder Tests wie in der Schule. Jeder kann in seinem eigenen Tempo lernen, es gibt keinen Leistungsdruck.“
Um möglichst viele Leute zu erreichen, sind die Kurse über das weitläufige Stadtgebiet verteilt. Nicht nur in Rheinhausen, sondern auch in Hamborn und im Stadtfenster der VHS in der City gibt es aktuell die Möglichkeit, Lesen und Schreiben zu lernen. „Wir haben noch Plätze im Westen und Norden frei und würden bei genügend Interessenten auch noch einen weiteren Kurs hier in Mitte anbieten“, sagt die Fachbereichsleiterin, die oft und laut für die Kurse trommelt, denn die Hemmschwelle ist für viele doch ein großes Hindernis.
Ein kostenloses Lernprogramm für den Computer oder das Smartphone
„Die Standardfrage ist, ob das denn bei uns so wie in der Schule ist“, erzählt Eva Wortmann. Die Sorge, dass sich im Erwachsenenalter eine unangenehme Schulatmosphäre wiederholen könnte, scheint groß zu sein. Diese Befürchtung wischt Kerstin mit energischer Handbewegung aus dem Raum. „Natürlich muss man sich anstrengen, wenn man etwas lernen möchte, aber in den Kursen ist das total nett.“
Gelernt wird nicht nur klassisch mit Buch, Stift und Papier. An modernen Whiteboards (elektronischen Wandtafeln) kommt in den Kursräumen auch das Lernen mit Computerprogrammen zum Einsatz. Und: Gerade in der Corona-Zeit freut sich die VHS jetzt darüber, dass sie mit einem neuen digitalen Lernportal ein krisensicheres zweites Standbein hat. Denn mit dem vom Ministerium für Bildung und Forschung finanzierten Angebot kann jeder das Lesen und Schreiben auch kostenlos zuhause am Computer lernen.
Kerstin hat das Lernportal getestet. „Ich habe das hier als App immer dabei“, sagt sie und schiebt ihr Smartphone über den Tisch. Mittlerweile kommt sie ganz gut mit dem Programm klar, das sie auch schon mal im Zug oder Bus als Zeitvertreib nutzt. Sie empfiehlt aber, das Lernportal ergänzend zu einem richtigen Kurs zu nutzen. „Da lernt man einfach am meisten.“ Auch, weil man es gemeinsam mit anderen tut, die ähnliche Probleme haben.
Heraus aus dem Teufelskreis
Als ihre Kinder klein waren, konnte Kerstin ihnen bei den Hausaufgaben nicht helfen. Viel Kraft hat es gekostet, die Lese- und Schreibschwäche vor anderen zu verbergen. „Ich bin so froh, dass ich aus diesem Teufelskreis herausgefunden habe.“ Jetzt traut sie sich, per Whatsapp kommunizieren, nimmt immer ein Buch mit in den Urlaub und hat sich neulich sogar für einen Italienischkurs angemeldet. „Ich kann nur jedem raten, es einfach zu tun. Wenn man das will, dann schafft man das auch.“
Wer sich über die Kurse informieren möchte, kann das in Rheinhausen in der VHS-Geschäftsstelle am Körnerplatz 1 tun. Telefon: 02065/905-8475.Informationen im Stadtfenster in der Innenstadt gibt es jeden Mittwoch und Donnerstag von 10-12 Uhr. Der Erstkontakt ist immer telefonisch unter 0203/283-6208 oder per Mail an e.wortmann@stadt-duisburg.de. Das digitale Lernportal findet man hier: www.vhs-lernportal.de
>>> FILM UND DISKUSSION AM WELTALPHABETISIERUNGSTAG
Zum Weltalphabetisierungstag am Dienstag, 8. September, zeigt das Filmforum um 18 Uhr den Film „Das Labyrinth der Wörter“. Gérard Depardieu spielt Germain, der kaum lesen kann und auf die schon ältere Literaturliebhaberin Margueritte (Gisèle Casadesus) trifft. Einen „zärtlichen Film“ über die Freundschaft des ungleichen Paares kündigt die VHS an. Das Café Movies serviert Buchstabensuppe, das Alphanetz NRW unterstützt die Aktion. Fachbereichsleiterin Eva Wortmann und Wolfgang Schwarzer von der Deutsch-Französischen Gesellschaft Duisburg stehen nach dem Film für eine Diskussion rund um das Thema Lesen und Schreiben lernen zur Verfügung. Tickets gibt’s im Internet: www.filmforum.de