Der promovierte Chemiker Ulrich Scharfenort (38) ist neuer Vorsitzender. Er folgt auf Norbert Bömer, der das Amt nach rund zehn Jahren abgibt.

Rheinhausen. Das ist seine Zeit, sollte man meinen. Friday for Future hier, grüne Politik dort – die Öko-Welle treibt Umweltschützer wie ihn derzeit ganz nach oben im gesellschaftlichen Ranking. Nur dass Imagefragen einem wie Ulrich Scharfenort vermutlich schnuppe sind. Schon lange ist der 38-Jährige auf der linken Seite der Stadt aktiv und brachte mit seinen spitzzüngigen Anfragen manche Verwaltungskraft ins Schwitzen. Fast zehn Jahre war er in der Piraten-Partei, dann trat er aus, „weil es da vielen nur um Pöstchen ging.“ Heute fühlt sich der promovierte Chemiker im Kreis der Bürgerinitiativen zuhause.

Für das Bündnis „Saubere Luft“ ist der streitbare Mann ein Glücksfall. Nach rund zehn Jahren an vorderster Front löste er Norbert Bömer als Vorsitzenden ab. Im Visier hat er aktuell das alte Kohlekraftwerk der Firma Venator (s. unten). Ein Gespräch über das Klima und die Welt. Wie schaut’s aus, Herr Scharfenort, sind wir alle noch zu retten?

Scharfenort ist mit dem Fahrrad da. Und eine Trinkflasche hat er auch dabei. Plastikmüll kommt ihm nicht in den Rucksack. Doch wer sich mit ihm unterhält, merkt schnell: Das ist kein Öko. Sondern einer, der mit Lust das verbriefte Recht auf bürgerliche Teilhabe und Widerstand pflegt. Ein friedlicher, penetranter Kämpfer. Umwelt- und Arbeitsschutz sind beruflich und privat sein Ding. Soeben hat er wieder eine Einwendung zum Schutz des Hambacher Forstes verfasst.

Er pendelt täglich nach Bonn

Scharfenort ist fit in Verwaltungsangelegenheiten, mag ein Genehmigungsverfahren noch so kleinteilig sein. Er arbeitet für ein Bundesministerium in Bonn, pendelt täglich mit dem Zug. Aber auch in anderer Hinsicht ist er ein Kind seiner Zeit. Daheim im World Wide Web und hyperaktiv in sozialen Netzwerken, kommentiert er auf einem Blog politische Entscheidungen. Derzeit kritisiert er den Flächennutzungsplan des Regionalverband Rhein-Ruhr. Vor allem der „Flächenfraß“ der Wirtschaft ist ihm ein Greul, die zunehmende Versiegelung des Bodens bereitet ihm Sorgen. „Beton“, warnt Scharfenort, „ist ein Klimakiller.“

Was die Welt im Innersten zusammenhält, hat den verheirateten Mann („noch“ keine Kinder) mit Rheinhauser Wohnsitz immer interessiert. Schon als Junge, erzählt er, schaute er Peter Lustig und die Sendung mit der Maus im Fernsehen, „um zu sehen, wie die Dinge funktionieren. Die haben perfekt den Treibhauseffekt erklärt.“

Das Interesse für den Klimaschutz blieb und wuchs. Später promovierte Scharfenort zum Thema Ozonloch („über Stratosphärenwolken“), seit 2011 ist er im Bündnis Saubere Luft aktiv. Aber es gibt noch einen anderen Scharfenort. Einen künstlerisch-kreativen, der Bücher schreibt. Etwa 20 hat er im Eigenverlag verfasst, Sachbücher und Science-Fiction-Thriller, etwa über Duisburg nach dem Supergau. Für den 38-Jährigen kein Widerspruch: „Ich mag Sprache. Und ich mag Verwaltung.“

Ziel ist es, die Jüngeren mit ins Boot zu holen

Scharfenort ist gut informiert. Kürzlich hat er die Versammlung der RWE-Aktionäre besucht - neben Zeitungen und Blogs liest er Amtsblätter und sogar Börsenlisten, „um zu wissen: wer mit wem“. Dabei hat er längst erkannt, dass es sehr wohl etwas nutzt, sich einzumischen. „Sich nur ärgern bringt nichts“, weiß der 38-Jährige. „Man muss das in Handlungen ummünzen.“ Sogar die EU müsse sich mit Bürger-Petitionen auseinandersetzen.

Sieht aus, als sollte man mit dem Bündnis Saubere Luft auch künftig rechnen. Man habe einen Generationswechsel eingeleitet, sagt Norbert Bömer. Ziel sei es, auch die Jüngeren ins Boot zu holen. „Unsere Mission ist noch lange nicht erfüllt.“

Und? Ist das Klima noch zu retten? „Schwierig, aber nicht unmöglich“, sagt Scharfenort. Er hat Photovoltaik auf dem Dach, nutzt Bus, Bahn und Rad, vermeidet Papierausdrucke. Und rät: Leitungswasser trinken, lokal einkaufen, nichts im Internet bestellen, durch Datenschutz Postwurf(-müll) vermeiden. Stofftüten nehmen. Und Politik und Wirtschaft motivieren, „so zu handeln, dass Umweltkosten eingespart werden.“ „Man muss in Zeiträumen von 100 Jahren denken und mutige Entscheidungen fällen“, fordert er. Heißt, symbolisch: „Förster müssen Bäume pflanzen, von denen sie selbst nichts mehr haben.“

>>>>> Der Kampf gegen die Kohlekraftwerke <<<<<

Es begann 2007 mit dem Protest gegen den Bau eines Kohlekraftwerks in Krefeld-Uerdingen. Damals erreichte die Bürgerinitiative „Saubere Luft“ mit den anderen Protestlern, dass die Anlage auf dem Currenta-Gelände nicht gebaut wird. 23.000 Einwendungen kamen zusammen. Das war 2011. Heute liegt die offizielle Marschroute vor. Bis 2038 will Deutschland weg von der Kohle. Anlass für Norbert Bömer und Ulrich Scharfenort darauf hinzuweisen, dass es auch in Duisburg noch Kohlekraftwerke gibt. Neben einem Steinkohlekraftwerk in Walsum existiert ein Braunkohlekraftwerk auf dem Venator-Gelände in Homberg (Baujahr 1971/1989). Quelle ist eine Kraftwerksübersicht des Umweltbundesamtes.

„Wann“, fragen die Umweltschützer, „will Venator das Kraftwerk durch ein modernes Gas-Blockheizkraftwerk ersetzen?“ So etwas benötige einen langen Vorlauf. Laut ihren Quellen emittiert das alte Werk fast eine viertel Million Tonnen CO2 jährlich, dazu Rußpartikel, Feinstaub und „bei dem alten technischen Standard auch Schwermetalle.“ Bömer: „Unser Ziel ist ein Dialog mit Venator.“