Duisburg-Rheinhausen. Eine Tagung der Young Supporters widmet sich der Zeit nach der Flüchtlingswelle vor vier Jahren. Was ist aus den Neuankömmlingen geworden?

Das Geschwisterpaar aus dem Irak ist ein gutes Beispiel. Nennen wir sie Said und Hatice (Namen geändert). 2015, auf dem Höhepunkt der Flüchtlingswelle, gelangten die beiden schwer traumatisiert nach Rheinhausen. Heute sind sie hier zuhause. Hatice ist 15, geht zur Schule, ihr Bruder, 23, hat eine Ausbildung im IT-Bereich begonnen. Sie haben deutsch gelernt, sind aus der Unterkunft in eine Wohnung gezogen. Unterstützung boten die Young Supporters, die jungen Menschen helfen, mit Traumata umzugehen, die Angst, Gewalt und Verlust verursacht haben. Keine einfache Angelegenheit wie eine Fachtagung des Vereins am 29. August deutlich macht.

Geschwisterpaar soll getrennt werden

Viele der ehemaligen Neuankömmlinge strauchelten immer noch zwischen Bürokratie- und Kultur-Barrieren. „Willkommen in Deutschland und zack! – das negiert die Lebenswirklichkeit“, weiß Mariel Pauls-Reize von den Young Supporters.

Der Fall der Geschwister aus dem Irak hat sich ihr eingeprägt. „Wir haben immer wieder gesagt: Hier seid ihr sicher!“ Ein Trugschluss, wie sich zeigte. Als die Entscheidungen über die Asylanträge endlich fielen, bescherten sie einen neuen Schock. Das Mädchen darf bleiben - ihr Bruder muss zurück in den Irak. Noch werden die Fälle verhandelt.

Geschichten wie diese stehen Pate für die Tagung „Geflohen - wann komme ich endlich an?“ Ein Angebot an Betroffene, ihre Unterstützer und für alle anderen, die Interesse haben. Längst ist die Willkommenskultur der Wirklichkeit gewichen, erlebt Pauls-Reize. Höchste Zeit, darüber zu sprechen, wie es jetzt weitergeht. Ein Drittel der 100 Tagungsplätze sind bereits weg.

Integration funktioniert nur schrittweise

Mariel Pauls-Reize und ihre Kollegin Christiane Honig freut das sehr. Sie als Leitungsteam der Young Supporters kümmern sich seit Jahren um junge Flüchtlinge und haben viele von der Flucht bis zu Bleiberecht oder Ausweisung begleitet. Sie wissen: Integration lohnt sich, aber sie funktioniert schrittweise und ist mit Rückschlägen verbunden. Viele Betroffene fassten ganz allmählich Fuß, um dann brutal vor den Kopf gestoßen zu werden. „Wir versichern ihnen, hier tut euch der Staat nichts. Aber dann erlebt ein Klient, wie jemand aus seiner Unterkunft von der Polizei abgeholt wird. Uns wird dann nicht mehr geglaubt.“

Viele Kriegsflüchtlinge haben psychische Probleme

Pauls-Reize berichtet von psychischen Problemen der Kriegsflüchtlinge, die von der Furcht vor einem Gewitter über Panik bei einem Probealarm bis hin zu Angstattacken bei der Einfahrt in einen Tunnel reichen, weil sich dort immer die Bomben befanden. Und sie erzählt, dass der Iraker, Said, eigentlich studieren wollte. Sie machte ihm Mut – dann scheiterte er an den Voraussetzungen der Hochschule, die ein überdurchschnittliches sprachliches Level fordert. Der junge Mann war frustriert und fiel in ein tiefes Loch. Heute hat er einen Ausbildungsplatz und wieder Oberwasser. Pauls-Reize: „Nur wie es weitergeht, weiß natürlich keiner. Wir Therapeuten machen die Gesetze ja nicht.“

Probleme wie diese verhandelt die Tagung am 29. August. Besonders stolz sind die Young Supporters, dass die Ärztin und Psychoanalytikerin Luise Reddemann als Referentin kommt. „Analytikerin, Buddhistin, Querdenkerin“, beschreibt sie Pauls-Reize. ‚Wir begleiten Menschen, nicht Traumata’, laute das Credo der streitbaren Professorin.

Es geht um Mitgefühl und um Respekt

Ihr Beitrag, ein „Mutmach-Vortrag“, dreht sich um Mitgefühl und Respekt, die oft wichtiger seien als Fachwissen. Ein Angebot für Menschen, die sich für die Arbeit mit Migranten interessieren. Denn auch das ist eine Folge der Normalisierung der sogenannten Flüchtlingskrise vor vier Jahren: Es werden dringend wieder mehr ehrenamtliche Helfer gebraucht. Zweiter Referent ist Helmut Schröder, Vize-Geschäftsführer des Wissenschaftlichen Instituts der AOK. Er trägt die Ergebnisse einer Studie zur physischen und psychischen Gesundheit von Flüchtlingen vor, die laut Pauls-Reize nichts beschönigt und „bisher viel zu wenig Interesse gefunden hat.“

Nachmittags sind die Duisburger an der Reihe. Drei Initiativen laden zu Workshops. Das Institut für soziale Innovation fordert „Ankommen braucht Mut – mutet Euch zu!“ und berichtet von Aktionen. Die Young Supporters stellen das Projekt „ConAmi – Krisen- und Trauerbewältigung in der Schule“. Der dritte Workshop behandelt die „Weltsprache Musik“ und wird von Annegret Keller-Steegmann, Gründerin des Allerwelt-Ensembles, geleitet. In diesem Ensemble musizieren junge Leute aus aller Herren Länder unter dem Motto „Musik ist Heimat und Tor zu neuen Welten.“

Vom Juristen in Syrien zum Koch in Duisburg

Der Pianist Markus Furche spielt in den Pausen. Und für das Mittagessen indes zeichnet der Koch des Restaurants Sham verantwortlich. In Syrien war er Jurist, in Duisburg machte er eine Ausbildung zum Koch. Jetzt serviert er Gerichte aus der alten Heimat. Auch dies ist nur ein Fall, aber einer, der zeigt, dass ein organisiertes Miteinander viel Gutes zustande bringt. „Das Ganze“, sagt Christiane Honig, „ist für Deutschland auch eine Riesenchance.“

FACHTAGUNG IM PFARRZENTRUM CHRISTUS KÖNIG

Die Fachtagung Integration „Geflohen - wann komme ich endlich an?“ ist am Donnerstag, 29. August, 9.30 - 16.30 Uhr, im Pfarrzentrum Christus König, Lange Straße 2, 47228 Duisburg. Anmeldefrist: bis 19. August

Die Kosten für Workshops, Vorträge, Debatten und Rahmenprogramm beträgt inklusive Mittagessen und Getränken 60 Euro. Anmeldung bei den Young Supporters: 02065 90133417, E-Mail: kontakt@young-supporters.com