Duisburg. Lehrer der Gesamtschule Süd erheben schwere Vorwürfe gegen ihre Schulleitung. Die reagiert mit einer Drohmail. Was droht den Lehrern wirklich?
Nachdem Mitglieder des Lehrerkollegiums an der Gesamtschule Süd teils brisante Vorwürfe gegenüber ihrer Schulleiterin erhoben haben, sehen sich an der Schule alle Lehrer und Lehrerinnen einer Drohmail ausgesetzt: Darin werde „mit dienstrechtlichen Konsequenzen gedroht, wenn sie sich an die Presse wenden“, schildert ein Mitglied des Kollegiums den Inhalt. Entsprechend groß ist die Sorge um Strafen bis hin zum Entzug des Beamtenstatus.
Aushang an Gesamtschule Süd: Lehrer sollen sich namentlich von Kritik distanzieren
Zumal es noch vor den Herbstferien im Lehrerzimmer einen Aushang des Lehrerrats gegeben habe, in dem dieser sich von den Ergebnissen der Recherche dieser Redaktion distanzierte, die Anonymität der Quellen kritisierte und zur namentlichen Unterschrift aufforderte, so schildert es ein Mitglied des Kollegiums der Gesamtschule Süd. „Wer nicht unterschreibt, steht dann auf der Schwarzen Liste“, befürchtet die Lehrkraft. „Natürlich haben nahezu alle unterschrieben.“ Dabei sei die Darstellung des Artikels „inhaltlich genau richtig“.
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Auslöser der Drohmail seitens der Schulleiterin der Gesamtschule Süd war eine Recherche und darauffolgende Berichterstattung dieser Redaktion zu Vorwürfen aus der Lehrerschaft der Großenbaumer Schule, die sich gegen Sandra Kupfer richten. Mehrere Quellen kritisierten unter anderem den Umgang mit Drogen und Gewalt an der Schule; es gebe zu wenig oder keine Konsequenzen gegenüber Schülern, die mit Drogen dealten oder in einem besonders schweren Fall sogar eine Lehrerin mit dem Tod bedroht hätten. Ein weiteres Symptom dafür, dass es an der Schule rumort: In einer Lehrerkonferenz hatte der Lehrerrat seinen geschlossenen Rücktritt angekündigt.
Lehrer kritisieren Schule in der Presse: Drohen Strafen? Das sagt die Bezirksregierung
Der Berichterstattung folgte die Drohmail von Sandra Kupfer mit dem Ziel, weitere Kritik in Richtung Presse zu unterbinden. Tatsächlich ist es für Lehrer und Lehrerinnen problematisch, sich gegenüber Journalisten zu äußern. „Der Schulleiter oder die Schulleiterin vertritt die Schule in der Öffentlichkeit und erteilt Auskünfte über Angelegenheiten der Schule an die Presse.“ So steht es in der Dienstordnung für Lehrer des Kultusministeriums NRW. Die Bezirksregierung Düsseldorf leitet daraus ab, dass „einzelne Lehrkräfte die Schule nicht nach außen vertreten“, so fasst es Sprecherin Silke Schirmer zusammen. „Ein Verbot ist nicht erforderlich.“
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Außerdem verweist sie auf die sogenannte „Treuepflicht“ und eine „grundsätzliche Pflicht zur Mäßigung“. Schirmer weiter: „Verstöße gegen die beamtenrechtliche Treuepflicht sind im Einzelfall zu prüfen und können gegebenenfalls zu dienstrechtlichen Konsequenzen führen.“
Die sind harsch – theoretisch. Denkbare Strafen reichen vom Verweis über eine Geldbuße oder die Kürzung der Bezüge bis hin zur Zurückstufung und zur Entfernung aus dem Beamtenverhältnis. „Selbstverständlich ist auch der gesamte Maßnahmenkatalog grundsätzlich eröffnet, wenn die Äußerung eines Lehrers disziplinarwürdig ist“, sagt die Sprecherin der Bezirksregierung.
Die Mail von Schulleiterin Sandra Kupfer an ihr komplettes Kollegium droht damit allen Lehrern und Lehrerinnen harsche Konsequenzen an für den Fall, dass sie sich mit Kritik weiterhin an die Presse wenden. Die Bezirksregierung bestätigt, dass ihr eine entsprechende Mail vorliegt.
2022 gab es kein Disziplinarverfahren gegen Lehrer wegen Äußerungen in der Presse
Anscheinend aber ist die Drohkulisse größer als die tatsächlichen Strafen. Zwar rät auch die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft Lehrkörpern zur Vorsicht bei öffentlichen Äußerungen. „Lehrkräfte dürfen mit der Presse reden, aber mit einer gewissen Zurückhaltung, da sie einer sogenannten Wohlverhaltenspflicht unterliegen und Probleme erst in der Dienststellelösen sollen/müssen, bevor sie nach außen gehen“, sagt GEW-Sprecherin Ayla Celik. Dadurch werde ihr Recht, sich gegenüber Journalisten kritisch über ihre Schule zu äußern, „verboten beziehungsweise eingeschränkt“. Sie warnt: „Sollten Lehrkräfte trotz Verbot durch die Schulleitung mit der Presse reden, kann dies als Dienstvergehen gewertet werden.“ Mit entsprechender Strafe.
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Die Sprecherin der Bezirksregierung schränkt allerdings ein: „Da aber auch einem Lehrer das grundgesetzliche Recht auf Meinungsfreiheit nicht verwehrt ist, ist sicher häufig schon fraglich, ob die Aussage überhaupt disziplinarwürdig ist.“
Die Lehrkräfte an der Gesamtschule Süd müssen sich also weniger sorgen, als die Drohmail der Schulleitung es nahelegt. Das unterstreichen Zahlen, die die Bezirksregierung Düsseldorf auf Anfrage nennt: Demnach wurde in ihrem Zuständigkeitsbereich im vergangenen Jahr kein einziges Disziplinarverfahren gegen Lehrer eingeleitet, die sich gegenüber der Presse geäußert haben – und das bei mehr als 5000 Lehrern, die alleine in Duisburg arbeiten.
125 davon unterrichten an der Gesamtschule Süd. „Die Schule ist total gut, die Lehrer sind total gut“, sagt eine der Quellen für die Kritik an der Schulleitung. „Das ist ein tolles Kollegium, das sein Möglichstes tut, auch wenn die Bedingungen schwierig sind.“
>> GESAMTSCHULE SÜD: STELLUNGNAHME ZUR BERICHTERSTATTUNG
- Einen Tag nach unserer Erstberichterstattung hat die Gesamtschule Süd auf ihrer Homepage eine Stellungnahme veröffentlicht, in der sie sich von den dort dargestellten Vorwürfen distanziert. Dort heißt es: „Im Namen der Eltern, Schüler:innen und Lehrkräfte der Gesamtschule Duisburg-Süd möchten wir uns geschlossen von den aufgestellten Behauptungen distanzieren.“
- Weiter steht in der Stellungnahme: „Die anonymen Äußerungen stehen nicht im Einklang mit den tatsächlichen Gegebenheiten an unserer Schule und vertreten eine Einzelmeinung.“ Tatsächlich hat die Redaktion Vorwürfe aus zwei anonymen Schreiben und einem uns namentlich bekannten Mitglied des Kollegiums wiedergegeben.
- Unterzeichnet ist die Stellungnahme der Gesamtschule Süd von der stellvertretenden Schulleiterin, dem Vorsitzenden der Schulpflegschaft, der Gleichstellungsbeauftragten, dem Schülersprecher und der Vorsitzenden des Lehrrates.