Duisburg. 83 Häuser und ein Supermarkt im Grünen: Das sind Duisburgs Pläne fürs Neubaugebiet Rahmerbuschfeld. Die EU will das Naturschutzgebiet schützen.

Wer darf im Grünen leben: Pflanzen, Insekten, Vögel, Säugetiere – oder der Mensch? Mit dieser Frage lässt sich der Konflikt ums Rahmerbuschfeld auf den Punkt bringen. Die Stadt Duisburg will, direkt angrenzend an ein besonders wichtiges Naturschutzgebiet, ein Neubaugebiet für Häuser und einen Supermarkt ausweisen; die EU will Flora und Fauna schützen. Es ist ein Streit, an dem ein EU-Vertragverletzungsverfahren greifbar wird: Die Klage gegen Deutschland hat die EU bereits beschlossen. Darum geht es bei dieser Auseinandersetzung:

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4606 Naturschutzgebiete wie die Überanger Mark gibt es in Deutschland, sogenannte FFH-Gebiete, Flora-Fauna-Habitate. 517 sind es in NRW. Sie müssen in mindestens der ökologischen Qualität erhalten werden, die sie bei ihrer erstmaligen Erfassung hatten, so gibt es das Verschlechterungsverbot der EU vor. Unter anderem gilt ein Mindestabstand, den eine neue Bebauung zu solchen Naturschutzgebieten einhalten muss: Schädliche Einflüsse sollen ferngehalten werden, der Mensch Pflanzen und Tieren nicht noch näher aufs Grün beziehungsweise auf den Pelz rücken.

300 Meter Mindestabstand zwischen Beton und Bäumen, zwischen Neubauten und Naturschutzgebiet: Das ist die Vorgabe. 50 Meter sollen es zwischen dem geplanten neuen Supermarkt am Rahmerbuschfeld und dem FFH-Naturschutzgebiet Überanger Mark tatsächlich sein – nicht einmal 20 Prozent der vorgeschriebenen Distanz. Kein Problem, attestiert das Umweltgutachten der Stadt Duisburg dem Bauvorhaben.

Wie kommt es zu diesen unterschiedlichen Ansichten? Warum interpretieren Deutschland, NRW und Duisburg als unproblematisch, was die EU als Vertragsverletzung betrachtet und be-klagt? Das sind die Argumente:

Häuser auf dem Rahmerbuschfeld verboten? Das sagt die EU

Die EU-Abgeordnete Özlem Demirel (Linke, rechts im Bild) ließ sich den Konflikt ums Rahmerbuschfeld vor Ort erläutern, auch (von links) von Bezirksvertreter Norbert Broda (Linke), Thomas Anthonj von der Bürgerinitiative Rahmerbuschfeld und Ratsherr Mirze Edis (Linke).
Die EU-Abgeordnete Özlem Demirel (Linke, rechts im Bild) ließ sich den Konflikt ums Rahmerbuschfeld vor Ort erläutern, auch (von links) von Bezirksvertreter Norbert Broda (Linke), Thomas Anthonj von der Bürgerinitiative Rahmerbuschfeld und Ratsherr Mirze Edis (Linke). © FUNKE Foto Services | Oliver Müller

Deutschland schützt seine FFH-Gebiete nicht ausreichend – das ist die Kernaussage der EU. Anfang 2021 kündigte sie eine entsprechende Klage gegen Deutschland vor dem Europäischen Gerichtshof an, „weil das Land seine Verpflichtungen zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen nicht eingehalten hat“. Die Kernargumente für die Klage:

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- Deutschland hat die Erhaltungsziele für seine Schutzgebiet „nicht hinreichend quantifiziert“, so dass sie nicht messbar sind.

- Die vorgeschriebenen Erhaltungsziele sind nicht detailliert genug.

Laut EU muss Deutschland detaillierte Erhaltungsziele für jedes FFH-Gebiet erklären und diese mit konkreten Erhaltungsmaßnahmen umsetzen.

Häuser auf dem Rahmerbuschfeld erlaubt? Das sagt Deutschland

Die Bundesrepublik stellt die Grundlage für diese Forderungen in Frage: „Die Anforderungen der Kommission lassen sich in dieser Form nicht aus der FFH-Richtlinie ableiten“, heißt es in einem kürzlich veröffentlichten Bericht des NRW-Ministeriums für Umwelt und Naturschutz. Konkret seien

- für alle FFH-Gebiete Management-Pläne erarbeitet worden, in NRW FFH-Maßnahmenkonzepte

- in diesen Konzepten Ziele und nötige Maßnahmen festgehalten.

Zuständig für das Umsetzen dieser Maßnahmen und das Erreichen der Ziele sind die Städte.

So bewerten Düsseldorf und Kreis Mettmann das Bauvorhaben Rahmerbuschfeld

Zuständig für die Umsetzung der FFH-Management-Pläne sind die Kreise und kreisfreien Städte, für die Überanger Mark sind das Düsseldorf und der Kreis Mettmann. Bei der Stadt Düsseldorf bewertet man das Bauvorhaben als unproblematisch: „Konflikte mit der Umsetzung dieser Maßnahmen (des Management-Plans, Anm. d. Red.) sind aus Sicht des Gartenamts derzeit nicht erkennbar“, teilt ein Stadtsprecher auf Anfrage mit. Den unterschrittenen Mindestabstand habe die vorgeschriebene FFH-Verträglichkeitsprüfung als unbedenklich eingestuft.

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Auch vom Kreis Mettmann kommen keine Bedenken – der Kreis verfüge in der Überanger Mark allerdings auch nur über „einige wenige Prozent FFH-Gebiet“, sagt Sprecherin Daniela Hitzemann.

Überanger Mark: So bewertet NRW das Naturschutzgebiet

83 Häuser und ein Supermarkt plant die Stadt Duisburg auf dem Rahmerbuschfeld direkt neben einem Naturschutzgebiet.
83 Häuser und ein Supermarkt plant die Stadt Duisburg auf dem Rahmerbuschfeld direkt neben einem Naturschutzgebiet. © funkegrafik nrw | Rim Ammar

Über das Gebiet, für das laut Duisburgs Umweltgutachten das Neubaugebiet Rahmerbuschfeld mit seinen 83 Häusern und einem neuen Supermarkt kein Problem wäre, heißt es im NRW-Maßnahmenkonzept: Die Überanger Mark befindet sich „in dem stark durch Siedlung und intensive Landwirtschaft geprägten Raum zwischen Duisburg und Düsseldorf“, hier habe „das Gebiet im Rahmen der landesweiten Biotopvernetzung von naturnahen Waldgebieten eine besonders wichtige Bedeutung. Um einer weiteren Verkleinerung und Verinselung solcher intakten Waldkomplexe in Ballungsräumen entgegenzuwirken, müssen solche Waldökosysteme unbedingt erhalten bleiben.“

In der Bezirksvertretung Süd stand am Donnerstagabend eine Anfrage von Norbert Broda (Linke) auf der Tagesordnung: Demnach liege das Ergebnis der juristischen Prüfung darüber inzwischen vor, ob eine vertiefende FFH-Prüfung in Sachen Neubaugebiet Rahmerbuschfeld notwendig ist, es „wird von der Verwaltung jedoch nicht veröffentlicht“.

>> FFH-GEBIETE IN DEUTSCHLAND

  • Die Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie der EU (kurz FFH-Richtlinie) gilt als wichtigste Vorschrift zum Erhalt der Artenvielfalt in Europa. Inkraft trat sie bereits 1992.
  • Nach Angaben der Naturschutzorganisation WWF haben die rund 5000 FFH-Gebiete in Deutschland zusammen eine Fläche von deutlich mehr als drei Millionen Hektar – umgerechnet fehlt nicht viel zur Fläche der Schweiz.
  • Demnach entspricht der Anteil der FFH-Gebiete an Deutschland gut neun Prozent der Landesfläche.