Duisburg-Huckingen. . An der Sekundarschule Am Biegerpark ist Schach ein Schulfach wie Deutsch oder Erdkunde. Noten gibt es selbstverständlich auch.

Ein Brett vorm Kopf haben die Schüler nur im übertragenen Sinne. Vorne beugen sich zwei Mädchen konzentriert darüber, hinten fliegt, von Geschrei begleitet, eine Figur durch die Gegend. Normaler Schulunterricht also? Nur fast. Denn das Fach, das in der 7. und 8. Stunde jeden Montag auf dem Stundenplan einiger Sechstklässler in der Sekundarschule Am Biegerpark steht, heißt nicht Deutsch, Religion oder Mathe – sondern Schach.

„Schach“, sagt Gianluca denn auch. „Dein Ernst?“, stöhnt sein Gegner Maurice. Sein König entkommt, das Spiel läuft weiter. Ein paar Züge später könnte Schwarz Matt setzen. Maurice legt grüblerisch die Stirn in Falten, streckt die Hand aus, hadert, greift nach dem richtigen Turm – aber macht den falschen Zug.

Fächer wie Schach sollen Selbstbewusstsein vermitteln

Matt setzen kann das Schulfach Schach keinen der Schüler. Zwar gibt es Noten wie für Deutsch oder Religion auch. Versetzungsrelevant aber sind die Zensuren an der Sekundarschule erst ab dem Übergang von der 9. zur 10. Klasse. Außerdem: Fünf steht hier keiner, bei den meisten Schülern wird hinter dem Profilfach auf dem Zeugnis stehen: gut, sehr gut, befriedigend. Das Schulfach Schach – und auch die übrigen Profilfächer – soll keinen unter Zugzwang setzen. Vielmehr soll es den Jugendlichen aufzeigen, welche Zugmöglichkeiten es gibt. Welche Möglichkeiten sie selbst haben. „Das soll etwas sein, wo die Schüler sagen: Das kann ich“, erklärt Schulleiterin Anne de Roij. Die Schüler sollen nicht nur Schachregeln lernen, sondern auch Selbstbewusstsein. Damit sie später sagen, wie de Roij es formuliert: „Wenn ich das kann, kann ich vielleicht was anderes auch.“

Am Freitag spielen sie bei einem NRW-weiten Turnier

Gianluca traut sich was: Beim NRW-Turnier tritt er am ersten Brett an.
Gianluca traut sich was: Beim NRW-Turnier tritt er am ersten Brett an.

Gianluca hat die Lektion mit dem Selbstbewusstsein gelernt. Am Freitag, wenn einige Schüler der Sekundarschule bei der Schulschachendrunde gegen andere Spieler aus NRW ihr Können auf den 64 Feldern beweisen, wird er am ersten Brett sitzen. Dort, wo er auf die stärksten Gegner der gegnerischen Mannschaften treffen wird. Kein anderer hat sich getraut; Gianluca hat sich freiwillig gemeldet. Er zuckt mit den Schultern. „Ich bin halt gut. Deswegen denke ich, ich könnte was reißen.“

Im Moment reißt er allerdings gerade nichts. Sein weißer König führt einen aussichtslosen Kampf gegen den schwarzen König und die schwarze Dame. Gianluca macht das nichts aus. „Verlieren ist was ganz normales“, findet er.

Lehrer Frank Junicke
Lehrer Frank Junicke

Allerdings will das Gewinnen erstmal gelernt sein: Matt zu setzen, ist gar nicht so einfach. Lehrer Frank Junicke kommt dazu, lässt Maurice und Gianluca zusammen den weißen König weiter spielen; zeigt den beiden Jungs, wie man mit geschickten Schachzügen den Bewegungsspielraum des Königs immer weiter einengt. Dann ist es vorbei, die beiden Kontrahenten geben sich die Hand.

Unterricht auf dem Schachbrett und an der Tafel

Kontrahenten? Das sehen sie anders. „Schach ist ein Teamsport“, findet Gianluca. Auch hier, in der Schule, spielen die Jungs und Mädchen eben nicht nur gegeneinander, sondern auch miteinander. Und überhaupt: Wann darf man im Unterricht schon mal spielen?

Das Spiel ist natürlich nicht alles. Da ist auch der Unterricht. Klassisch, der Lehrer vorne an der Tafel. Und irgendwie doch nicht klassisch. Denn der Stoff ist nicht Kreide-staubtrocken, und auf der Tafel stehen keine Formeln oder Grammatikregeln; stattdessen lehnt daran ein Schachbrett. „Wir machen heute eine kleine Wiederholung zum Thema Doppelangriff“, sagt Lehrer Junicke und pappt mit Magneten verschiedene Szenarien an die Tafel. Wie kann man den König angreifen – und gleichzeitig den Läufer einige Felder weiter?

Der Lehrer ist Vorsitzender eines Schach-Vereins

Zahlreiche Arme schnellen nach oben, Lösungen werden reingerufen, „ich hab’ auch noch eine Idee“, ruft jemand. So viele, die sich melden, würde sich mancher Lehrer in seinem regulären Schulfach wünschen. Schach sei „gut geeignet für die Schule“, findet Junicke, der nebenbei Vorsitzender der Schachfreunde Brett vorm Kopp ist. „Das ist nicht das klassische Vokabelpauken.“ Logisches Denken lernen die Schüler, Probleme lösen. Verlieren. Und: „Einzelne Kinder werden sehr konzentriert.“

Drei Jahre lang haben sie Unterricht im Profilfach, nach der 7. Klasse ist Schluss. Wer danach weitermachen will, kann das in einer AG tun, oder im Verein. Manche hören auf, so wie wohl Justina und Tasja. Schach ist okay, finden sie. Aber nicht mehr.

Gianluca hingegen hat Gefallen am Spiel der Könige gefunden. „Haben Sie einen Schachverein?“, fragt er Junicke. „Kann ich da rein?“

<<< SCHACH IST EINS VON 10 PROFILFÄCHERN

Die Profilfächer gibt es an der Sekundarschule Am Biegerpark seit ihrer Gründung im Jahr 2014. Sie wechseln immer mal wieder.

Zurzeit werden zehn Profilfächer unterrichtet. Neben Schach sind das Basketball, Schwimmen, Theater, Bläser, Fußball für Mädchen, Kunstwerkstatt, Naturwissenschaften, Technik, Theater.