Duisburg-Mündelheim. . Der Duisburger Rainer Bertram war als Bundeswehrsoldat in Sarajevo. 20 Jahre danach erzählt er von seinen Erlebnissen: von Minen und von Musik.
Er wirkt so gar nicht wie ein Bundeswehrsoldat, der im Kriegseinsatz war. Doch das waren die acht Monate in Sarajevo, auch wenn sie eine Friedensmission waren, „militärische Maßnahmen zur Absicherung des Friedensvertrages von Dayton“ heißt der Einsatz offiziell. Hieß er, damals, 1997, als Rainer Bertram im Feldlager Rajlovac Brocken von Serbo-Kroatisch lernte, „Stani ili pucam! – Stop, oder ich schieße“, die Überlebenswichtigen eben. Schwierig, sich vorzustellen, dass diese Worte dem ruhigen Mann mit der leisen Stimme und dem schütteren braunen Haar über die Lippen kamen. Vor 20 Jahren war er als Hauptmann des 2. Kontingents der Bundeswehr im zerfallenen Jugoslawien stationiert. Heute ist Rainer Bertram 55 und in Rente. Ehrenamtlich aber ist er immer noch bei der Bundeswehr, beim Katastrophenschutz in der zivilmilitärischen Zusammenarbeit. Die Bundeswehr, sie lässt Rainer Bertram nicht los. Und er sie nicht.
Ein Fernmelder als Personenschützer: „selbstverständlich“
Reservist ist er heute, einer von zehn Ex-Soldaten „beim KVK“, beim Kreisverbindungskommando Krefeld, „in Duisburg waren alle Stellen besetzt“. Das KVK berät Stadt, Bezirksregierung und Land in Krisenfragen. Einmal im Jahr geht’s für die Reservisten auf Übung: großflächige Stromausfälle, Brände, Hochwasser. Damit sie vorbereitet sind, wenn der Ernstfall da ist. Zu Hause liegt das Notfallhandy der Bundeswehr, jederzeit kann es klingeln. Rainer Bertram wird drangehen, wenn der Ernstfall kommt. Und sagen: „Selbstverständlich.“
So wie in Sarajevo, als er, der eigentlich Fernmelder ist, gefragt wird, ob er mitgeht zur großen Messe – als Personenschützer. Als der Mann also, der bereit ist, seinen eigenen Körper vor einen anderen zu werfen. Zu sterben. Für einen Fremden. In diesem Fall: für den damaligen Kardinal von Mailand. „Selbstverständlich“, sagt Bertram.
Für ihn ist es das im Wortsinne. Am Anfang seiner Laufbahn leistet er den Eid, den jeder Berufssoldat und jeder Soldat auf Zeit ablegt: „Ich schwöre, der Bundesrepublik Deutschland treu zu dienen und das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen, so wahr mir Gott helfe.“ Tapfer verteidigen – das heißt für Bertram, auch das eigene Leben für andere zu riskieren. Gehört halt dazu, wenn man Soldat ist. Bertram, in Sarajevo Hauptmann, heute Oberstleutnant, sagt: „Ich war mit Leib und Seele Soldat.“
„Fast Tag und Nacht“ trägt er 15 Kilo Splitterschutzweste
In Sarajevo ist er derjenige, der die Fernmeldeleitung in die Heimat einrichtet, als die ersten deutschen Bundeswehrsoldaten im Auslandseinsatz sterben. Das ist das, was er gelernt hat: Bricht heute das Internet zusammen, ist Rainer Bertram einer von denen, die trotzdem noch schnell und weltweit kommunizieren können.
Doch Bertram sitzt nicht nur an den Leitungen. In der Messe mit dem Bischof steckt seine Pistole versteckt unter der Jacke im Schulterhalfter. Auf dem Leib trägt er 15 Kilogramm Splitterschutzweste, „fast Tag und Nacht“. Sein Feldlager wird beschossen: „Um an die Lebensmittelvorräte zu kommen.“ Er steht an Orten, wo hunderte Männer und Kinder erschossen wurden, und hört nachts Minen hochgehen. In Mostar sieht er, „wie sich die Bewohner von Wohnzimmer zu Wohnzimmer beschießen“; er bekommt mit, wie Menschen „Minen auf Friedhöfe legten, wenn sie wussten, eine Beerdigung steht an.“ Das alles bedeutet „Absicherung des Friedensvertrags von Dayton“.
Für einen Abend wird die Stadt der Minen zur Stadt der Musik
Sarajevo 1997, das ist die Stadt, das ist die Zeit der Minen und der Heckenschützen. Doch Sarajevo 1997, das ist zumindest einen Abend lang auch die Stadt der Musik und der Hoffnung auf den Frieden. Die Soldaten, darunter Bertram, machen sie dazu: Sie organisieren ein Konzert. Rainer Bertram sieht: Alte, die sich hinten aufstellen, getrennt nach Religion und Ethnie. Und Junge, die vor der Bühne feiern. Gemeinsam.
Wenn Rainer Bertram heute, 20 Jahre danach, zurückdenkt an seine Zeit in Sarajevo, dann tut er das „mit Stolz und mit Schmerz“. Mit Schmerz, weil er gesehen hat, was der Krieg den Menschen angetan hat. Was sie sich selbst angetan haben. Mit Stolz, weil er weiß, dass er, dass die Bundeswehr etwas bewirkt hat. Dass er etwas bewirkt hat.
<<< VOM BERUFSSOLDATEN ZUM RESERVISTEN
Rainer Bertram ging direkt nach dem Abitur für sechs Jahre zur Bundeswehr. Dann lernte er zunächst Versicherungskaufmann und arbeitete einige Jahre in diesem Beruf, bevor er als Berufssoldat zur Bundeswehr zurückkehrte. 1997 endete seine Zeit als Berufssoldat.
Dass er auch heute, als Rentner, der Bundeswehr noch als Reservist dient, erklärt Bertram so: „Das, was ich noch leisten kann, will ich sinnvoll einsetzen.“