Duisburg. Philosoph Johannes Heinrichs will die Demokratie revolutionieren. Wie er Politik der Zukunft sieht, und warum er sich zu wenig gewürdigt fühlt.
Johannes Heinrichs denkt viel nach. Über Gesellschaft, über Politik, Kommunikation oder höhere Mächte. Heinrichs’ Wissenschaft, die Philosophie, heißt übersetzt so viel wie „Liebe zur Weisheit“. Nach Weisheit strebt der Duisburger fast sein ganzes Leben. Das hat ihn weit gebracht, aber auch gebremst. Jetzt ist der Professor, Autor und ehemalige Ordensbruder 80 Jahre alt geworden.
Die meiste Zeit verbringt Johannes Heinrichs auch heute noch am Schreibtisch, im Arbeitszimmer eines Reihenhauses in Wehofen. Ab und zu mal ein Spaziergang im Mattlerbusch oder eine Stunde Klavier, den Rest des Tages liest oder schreibt der Denker. Zum Beispiel eine Autobiografie, die in Teilen auch einer Abrechnung gleichkommt. Denn mit seiner wissenschaftlichen Arbeit ist er angeeckt. In der Folge, so sagt er selbst, hätten andere ihm viele Chancen verbaut.
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Philosoph aus Duisburg wandte sich von der Kirche ab
Dabei stand Mitte der 1970er-Jahre der junge Mönch und Doktor der Philosophie kurz vor der Professur an der Jesuitenhochschule St. Georgen in Frankfurt. Der in Rheinhausen aufgewachsene junge Mann hatte zuvor mehrere wissenschaftliche Werke sowie Gedichtbände veröffentlicht.
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Doch was im Umfeld der Kirche gesagt und geschrieben werden darf, hat Grenzen. An diese Grenzen stieß Heinrichs immer öfter. Er stellte die Einzigartigkeit Jesu in Frage und damit eine Grundannahme des Christentums. „Ich vertrete den Standpunkt, dass es viele Meister gibt, die gleichwertig sind“, sagt Heinrichs. Im indischen Raum zum Beispiel habe es einige Menschen gegeben, „die hatten Qualitäten, die Jesus auch hatte“.
Die Sicht, die christliche Gemeinschaft trage die Wahrheit durch die Jahrhunderte, habe er nicht mehr mittragen wollen. Und auch die eigene Bisexualität trug dazu bei, dass sich Heinrichs zunehmend vom Katholizismus entfernte und schließlich Hochschule, Orden und die Kirche selbst verließ. „Das Recht, nicht zu lügen“ habe er sich gewünscht – Jahrzehnte später lautet so der Titel der Autobiografie von Johannes Heinrichs.
Johannes Heinrichs: „Wir haben keine freie Philosophie in Deutschland“
Mit Kritik an den Konkordatsverhältnissen, am Einfluss der katholischen Kirche auf staatliche Universitäten, habe er auch dort viele Menschen gegen sich aufgebracht. „Ich wurde geschnitten“, sagt er.
Von rund 150 Bewerbungen in den folgenden Jahren seien die meisten erfolglos geblieben. „Wir haben keine freie Philosophie in Deutschland“ lautet sein Fazit aus dieser Zeit. In den Folgejahren hatte Heinrichs nur noch vereinzelte Gastprofessuren inne. „Ich musste mich mit kleinen Forschungsaufträgen und mit Ghostwriting durchschlagen.“
Mit dem Schreiben hat er nie aufgehört. Bis heute entstehen Werke wie „Revolution der Demokratie“ (2003), in dem Heinrichs sein eigenes Modell eines politischen Systems definiert. Der Kerngedanke, ganz vereinfacht: „Statt der jetzigen Parteien, die alle Themen gleichzeitig behandeln und eigentlich nur durch einen gemeinsamen Machtwillen verbunden sind, brauchen wir Sachparteien.“
Duisburger macht Philosophie „für die nächsten Generationen“
Diese hochspezialisierten Parteien könnten zwar gemeinsame Bündnisse eingehen, sollten aber in ihrem Wirken nicht die jeweils eigene Kernkompetenz verlassen. „Ich bin davon überzeugt, dass es so kommt. Das ist eine so philosophisch begründete Konzeption, dass man gar nicht daran vorbeikommen kann. Einfach vernunftgemäß.“
Die Demokratie müsse attraktiver werden, findet Heinrichs auch mit Blick auf die seit Jahren sinkende Wahlbeteiligung. „Das schafft man nicht mit Volksabstimmungen.“ Sein Modell erleichtere es Menschen, sich politisch einzubringen: „Jeder hat etwas, das ihn interessiert und bei dem er mitdiskutieren will.“
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Trotzdem habe sich die Theorie noch nicht weit genug herumgesprochen. „Es gibt Zehntausende, die das Konzept kennen und bejahen, aber es ist bislang keine politische Bewegung daraus entstanden. Im Grunde arbeite ich für die nächsten Generationen.“ Dieses Selbstverständnis treibe ihn an.
Und so bleibt zwar das Gefühl, im Leben für die eigene Arbeit nicht angemessen gewürdigt worden zu sein. Doch er sei dankbar, für durchschnittlich 200 Besuche pro Tag auf der eigenen Webseite, für viele Zuschriften von Studierenden und für den anregenden Austausch mit Kollegen. Und irgendwann werde auch seine Arbeit adäquat rezipiert, ist Johannes Heinrichs überzeugt: „In 50 Jahren wird man von Jürgen Habermas weniger sprechen als von den Dingen, die ich ausgekocht habe.“
>>AUTOBIOGRAFIE ERSCHEINT ZUR FRANKFURTER BUCHMESSE
Die Autobiografie von Johannes Heinrichs befindet sich bereits im Lektorat. Er rechnet damit, dass das Werk im kommenden Jahr zur Frankfurter Buchmesse erscheint.
Neben der Wissenschaft spielt der Philosoph Klavier und schreibt Gedichte. Neben all den theoretischen Werken erschien 2013 auch eine Gedichtsammlung mit dem Titel „Sprache spricht mir“.
Weitere Informationen zur Philosophie von Johannes Heinrichs gibt es unter www.johannesheinrichs.de.