Duisburg-Beeckerwerth. Wie die Kindheit in den 50er Jahren in Duisburg-Bruckhausen war, beschreibt Helmut Neuwinger in seinem Buch. Er erinnert sich an Bergmannsidylle.

An den Ort seiner Kindheit in den 50er Jahren zieht es die Gedanken des pensionierten Lehrers Helmut Neuwinger immer wieder. „In der Rückschau war es eine wunderbare Zeit an einem besonderen Ort. Jetzt ist es nur noch Vergangenheit, aber ich wollte anderen Menschen, die vielleicht ähnliche Erinnerungen haben, davon erzählen“, erklärt Neuwinger, der in Beeckerwerth aufwuchs, lange an einer Hamborner Realschule unterrichtete und in Moers wohnt. Er entschloss sich also ein Büchlein zu schreiben.

„Die kleine Siedlung“ verrät allerdings an keiner Stelle ihren Namen, sie bleibt im Ungefähren. Sie liegt in einer Schleife des großen, ebenfalls ungenannten Stroms und an ihrem Horizont ragt die Industriekulisse einer typischen Stahlstadt auf. Im Ruhrgebiet gibt es viele dieser Siedlungen, in jeder davon könnte sich eine Bergmannsidylle in die Erinnerung mischen.

Dass die Erinnerungen an die Kindheit in Duisburg-Beeckerwerth spielen, lässt Autor Helmut Neuwinger in seinem neuen Buch unerwähnt.
Dass die Erinnerungen an die Kindheit in Duisburg-Beeckerwerth spielen, lässt Autor Helmut Neuwinger in seinem neuen Buch unerwähnt. © Tanja Pickartz

Neuwingers Kindheit spielte sich konkret zwischen den Backsteinhäusern, den Gärten, der Zeche, der Schlackenhalde, dem Baggerloch und dem Rheinufer von Beeckerwerth ab. Er erinnert den ostpreußischen, schlesischen und polnischen Zungenschlag vieler Bergmänner, die von den großen Gütern im Osten zur Arbeit ins Ruhrgebiet gekommen waren.

Viele Erinnerungen an Beeckerwerth sind in kleinen Kunstwerken festgehalten

Ihm fallen die Einkochtage wieder ein, wo gedöppte Erbsen und entsteinte Kirschen sich auf den langen Weg vom Garten in den Vorratskeller machten. Er denkt an das Rosettenfenster der längst geschlossenen kleinen Kirche zur Marktseite. Darin klemmen heute immer Bälle zwischen den Fensterstreben. „Wäre uns früher nie eingefallen, ein Ball zum Fußballspielen war ein kostbarer Besitz, den hätten wir nicht riskiert“, sagt Neuwinger. Was nicht heißt, dass den Kindern der 50er Jahre weniger Unsinn eingefallen wäre: an den Tauen der Lastkähne hangeln, die am Rheinufer lagen. Oder vor dem Schutzmann provozierend ins kühle Baggerloch springen, obwohl das Schwimmen dort aus gutem Grund verboten war und noch immer ist.

Viele Erinnerungen hat Neuwinger in Zeichnungen, Aquarellen und Linoleumschnitten festgehalten. Neben das alte Fördergerüst der längst geschlossenen Zeche hat er eine altmodische Straßenlaterne mit dem Glaseinsatz unter der eisernen Mütze gezeichnet, wie sie früher die Straßen in gelbliches Licht tauchten. „Die konnte man ausmachen, indem man kräftig gegen den Laternenpfahl getreten hat“, gibt der ehemalige Vertrauenslehrer schmunzelnd echtes Lausbubenwissen preis. Aber er erzählt auch von der großen Geborgenheit, wenn die Kinder in ihren Betten noch lange die vertrauten Stimmen der Erwachsenen im Garten hören konnten.

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Ein unaufgelöster Widerspruch: Bergmannssiedlung und Idylle

Er hat die Stil-Form der Idylle bewusst gewählt, weil er sich damit bescheiden wollte, die Jahreszeiten, Sinneseindrücke und Anekdoten seiner Kindheit so zu schildern, dass sie beim Leser Erinnerungen anregen und zum Vorschein bringen könnten. Aber er weiß auch, dass Bergbausiedlungen und Idylle aus anderen Perspektiven betrachtet, genauso gut auch Gegensätze sein könnten. Diese Spannung löst er nicht auf, sondern er benutzt sie.

Besonders schön zur Geltung kommt das in den Maschinendetails im Buch, die er im ehemaligen Hüttenwerk des Landschaftsparks zeichnete und sie dann mit zarten Aquarellfarben ausführte, wie man sie sonst eher für Narzissen- und Ritterspornbilder verwendet sieht. Seine Schilderungen sind vor einem schwarzen Hintergrund zu betrachten, vielleicht leuchten in seiner Erinnerung die Farben deshalb besonders schön.

Geschichten „für die Tränendrüse“ gehören nicht in das neue Buch

Im Gespräch erzählt Neuwinger, dass er als Vierjähriger von einem verrosteten aber trotzdem scharfen Bombenzünder schwer an der Hand verletzt wurde. „Das gehört aber nicht mit in mein Buch“, sagt er energisch, „das ist doch nur was für die Tränendrüse.“ Mit der wollte er sich nicht aufhalten.

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>> DAS BUCH IST AB SOFORT IM HANDEL ERHÄLTLICH

  • Helmut Neuwinger hat die Siedlung seiner Kindheit verlassen. Er machte eine Ausbildung zum Schaufenstergestalter und arbeitete fortan im weißen Kittel, was seinem Großvater, dem Bergmann und seinem Vater, dem Stahlarbeiter, schon sehr imponierte.
  • Später holte er auf der Abendschule sein Abitur nach, „in der Ära Willy Brandt gab es sogar Werbung für den zweiten Bildungsweg im Fernsehen“. Er studierte Germanistik und Kunst und wurde ein Lehrer, der Kinder aus anderen Zuwandererfamilien ermutigte, ihre Bildungschancen zu nutzen.
  • Das Buch von Helmut Neuwinger „Die kleine Siedlung - eine Bergmanns-Idylle“ ist ab sofort im Fachhandel und im Internet erhältlich.
  • Das bei Osiris Druck erschiene und broschierte Buch hat 100 Seiten und 36 Kunstwerke des Autors. Es kostet 12,80 Euro; ISBN: 978-3941394896.