Duisburg-Hamborn. Eine geschichtliche Führung durch das einst rote Duisburg-Hamborn macht anschaulich, was bei der Märzrevolution los war. Viele Arbeiter starben.
Hundert Jahre sind seit der Märzrevolution vergangen. Bei einer VHS-Führung zwischen Rathaus und Zechengelände hat jetzt Jörg Weißmann, der Vorsitzende des Hamborner Heimatvereins, über die Tage im Jahr 1920 erzählt, als die Arbeiter und Bergleute im Ruhrgebiet zu den Waffen griffen. Coronabedingt kann er seine Führung zwar erst im September, statt im März anbieten, und er muss allzu belebte Orte, wie den Altmarkt, meiden. Seine Tasche ist aber dafür prall gefüllt mit Anschauungsmaterial aus seiner Privatsammlung historischer Dokumente.
Vieles dieser Revolution lässt sich durch Fotos, Plakate und Zeitzeugenberichte belegen. Etwa Winterdemonstrationen von hungernden Frauen auf dem Altmarkt. Geschütze auf dem Platz, wo heute das Hamborner Amtsgericht steht. Schüsse aus Kellerlöchern auf Stahlhelmträger mit Totenkopfsymbolen und ersten Hakenkreuzen an Fahrzeugen und Ausrüstung. Das Hamborner Rathaus als vorübergehendes Hauptquartier der roten Ruhrarmee.
Widerstand gegen Reaktionäre war groß im „roten“ Hamborn
Hamborn war jedenfalls mittendrin, als zwei Jahre nach dem Ende des Ersten Weltkriegs mit Putsch, Matrosenaufständen, der Aufstellung von Arbeiterkampfverbänden, dem Generalstreik und der Besetzung des Ruhrgebiets durch Freikorps die junge Weimarer Republik in Bedrängnis geriet.
Der Widerstand gegen die reaktionären Kräfte war dabei im „roten“ Hamborn besonders groß. Im Dichterviertel etwa erreichte die 1919 neugegründete kommunistische Partei Deutschlands (KPD) auf Anhieb einen Stimmenanteil von mehr als 60 Prozent. Vor allem junge Männer, die zwei Jahre zuvor noch im Weltkrieg gekämpft hatten, griffen nun zu den Waffen, um das Land nicht in die Hände der Reaktionäre fallen zu lassen.
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„Das muss damals hier furchtbar zugegangen sein“, meldet sich Teilnehmerin Ursula Neppl zu Wort. Sie stammt aus einer Hamborner Architektenfamilie. Ihre längst verstorbene Mutter Wilma Rotermund hat ihr früher oft erzählt, wie das war, als Heckenschützen mit erbeuteten Gewehren in der beschaulichen Bleekstraße aus den Kellerlöchern auf die vorbeiziehenden Reichswehrtrupps feuerten.
„Heute allerdings nennt man die Märzrevolution nicht umsonst die vergessene Revolution“, sagt Jörg Weißmann. Die Nationalsozialisten haben viele Gedenkorte an die Märzgefallenen abgeräumt und sie oft sogar in SS-Aufmarschplätze verwandelt, so auch auf dem Nordfriedhof. Nur auf dem Alt-Walsumer Friedhof steht das Mahnmal noch. Dort organisieren linke Gruppen um den weiteren Veranstaltungsteilnehmer Wolf-Dieter Rochlitz jährlich eine Gedenkfeier.
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Die Wiese vor der Weseler Garnison war mit toten Arbeitern übersät
Wie viele vorwiegend junge Arbeiter und Bergleute aus den Zechenhäusern und den Ledigenwohnheimen bei den Kämpfen ihr Leben verloren, ist nicht genau belegt. Man geht von weit über 1000 toten Arbeitern aus. Schon die Schätzungen über die Stärke der Ruhrarmee schwanken zwischen 50.000 und 100.000 Kämpfern. Viele von ihnen starben jedoch nicht in den Gefechten. Sie wurden verwundet oder gefangen genommen. Dann machten die Freikorps kurzen Prozess mit ihnen und erschossen sie nach Standrecht, obwohl das verboten war.
Weißmann zeigt Fotos von den Wiesen am Lippeschlösschen kurz vor der Weseler Garnison. Am Ende war sie mit toten Arbeitern übersät.
>> KRANKENSCHWESTERN SCHLOSSEN SICH DER ROTEN RUHRARMEE AN
- Die Krankenschwestern, die sich der Roten Ruhrarmee angeschlossen hatten, um als Samariterinnen die Verwundeten zu versorgen, sind auch auf Fotos aus Weißmanns Fundus zu sehen. Ihr Einsatz wurde von rechten Kräften gründlich diffamiert. Sie seien, hieß es damals, allesamt Prostituierte aus einem kurz zuvor geschlossenen Oberhausener Großbordell.
- Und auch antisemitische Stimmen wurden laut. Die jüdischen Kaufleute hätten das Arbeiterheer finanziell unterstützt wurde gemunkelt. Ein willkommener Vorwand, um ihre Geschäfte an der Weseler Straße zu plündern.