Duisburg-Walsum. 17 Duisburger Schüler trainieren seit Wochen hart, um zu Fuß die Alpen zu überqueren. Doch nun droht die Tour wegen des Coronavirus auszufallen.
Ein Pfiff und der 17-köpfige Schülertrupp setzt sich in Bewegung. Runde um Runde umkurven die Jugendlichen Stangen, treten in Ringe und springen über Bänke. Alles für ein Ziel: Im August wollen die Schüler des Walsumer Kopernikus-Gymnasiums in nur sechs Tagen die Alpen überqueren.
Diese Szene ist erst wenige Tage alt. Monatelang haben die Jugendlichen ihre körperliche Fitness trainiert, damit sie die kräftezehrende Wanderung überstehen. Doch jetzt droht die Tour ins Wasser zu fallen: Wegen des Coronavirus hat das NRW-Schulministerium den Schulen empfohlen, geplante Reisen bis auf Weiteres abzusagen.
„Die Schüler sind natürlich traurig“, sagt Sportlehrerin Silja Bruckwilder, die die Kinder mit ihrem Kollegen Tim Knobloch seit Schuljahresbeginn auf die Wanderung vorbereitet hat. Sie hat noch Hoffnung, dass sich die Lage in Europa bis zum Sommer wieder zum Besseren wendet. „Die Wahrscheinlichkeit für eine Wanderung im August ist jetzt extrem gering, aber sie soll irgendwann auf jeden Fall stattfinden. Eventuell können wir die Tour im September nachholen oder müssen sie auf 2021 verschieben.“
Duisburger wollen in sechs Tagen mehrere tausend Höhenmeter bewältigen
Dass Lehrer und Schüler nicht so schnell aufgeben wollen, hat einen guten Grund. Die Reise würde ihnen ein echtes Abenteuer bescheren. Geplant ist, in sechs Tagen vom bayerischen Oberstdorf nach Meran in Südtirol zu wandern, insgesamt 120 Kilometer weit und über mehrere tausend Höhenmeter. „Wir wollen jeden Tag sieben bis neun Stunden unterwegs sein, inklusive Gepäck“, sagt Bruckwilder.
Übernachten will die Gruppe in Hütten auf mehr als 2000 Metern Höhe. Der Großteil der Route führt sie über den Europäischen Fernwanderweg E5, unter anderem über den Pitztaler Gletscher. Knobloch (32) und Bruckwilder (38) sind die Route bereits im vergangenen Sommer gewandert, um die Strecke zu erkunden und die Kosten zu planen. „Ein paar Schüler kennen die Alpen vom Skifahren, einige andere noch nicht. Wir wollen ihnen den Lebensraum Alpen erfahrbar machen, die Vegetation ist in Süddeutschland ganz anders als in mediterranen Regionen wie Meran. Für viele ist das ein einmaliges Erlebnis – Ruhrpottkinder wie die kommen eher selten in die Berge“, sagt Bruckwilder.
Schüler werden an ihre Grenzen stoßen – körperlich wie emotional
„Das ist schon eine besondere Herausforderung, denn die meiste Zeit gibt es keinen Handyempfang und null Luxus. Es gibt auch keine Sonderwünsche beim Essen“, sagt Knobloch. „Die Tour soll aber auch beweisen, dass nicht alle Jugendlichen so faul und pubertär sind, wie man es ihnen nachsagt. Es ist toll zu sehen, dass Schüler auch mal für etwas Anderes brennen“, ergänzt er. Ein Vorteil sei auch, dass nur Schüler dabei seien, die wirklich interessiert sind. „Das ist auch der Grund, weshalb wir viel von unserer privaten Freizeit in dieses Projekt investieren. Hier können die Schüler mal etwas tun, das ihnen Spaß macht – im Unterricht ist das oft das Gegenteil“, sagt der Pädagoge.
„Die Schüler werden auch an ganz unterschiedliche Grenzen gehen: Für den einen spielt die körperliche Ausdauer eine Rolle, dem anderen setzt die Enge in der Gruppe zu. Die Schüler sollen ja eine Woche zusammen verbringen und auch im selben Raum schlafen. Da muss jeder seinen Platz im Sozialgefüge finden“, sagt Knobloch. „Dazu kommen die Blasen an den Füßen. Und die Witterung. Aber das Gruppen- beziehungsweise Naturerlebnis entschädigt für vieles“, glaubt er. Alle Schüler sind zudem in den Deutschen Alpenverein eingetreten.
Vorbereitung in der Skihalle und beim Waldlauf
Für die Teilnahme mussten sich die Schüler bewerben und unter anderem ein Motivationsschreiben einreichen. „Darin mussten die Schüler schreiben, wo sie ihre Rolle in der Gruppe sehen. Damit ist nicht das Soziale gemeint, sondern was sie zum Gelingen des Projekts beitragen können. Ein Schüler hat beispielsweise angeboten, eine Homepage zu erstellen“, erklärt Bruckwilder. 38 Bewerbungen haben sie und ihr Kollege erhalten, doch nur 17 Plätze waren zu vergeben. „Die Schüler kommen im Sommer in die Oberstufe, wir haben bei der Auswahl also auch drauf geachtet, ob die schulischen Leistungen stimmen“, sagt Bruckwilder.
Nicht nur sportlich haben sich die Schüler zuletzt vorbereitet, auch andere Aspekte flossen in die Planung ein: „Vor Weihnachten haben wir zusammen Fitnessgerichte durchgenommen, wir waren außerdem zusammen in einer Skihalle und haben regelmäßig Waldläufe gemacht“, sagen die beiden Sportlehrer. Für Mai war eine dreitägige Test-Wanderung durch die Eifel geplant. Außerdem erarbeiten sie Projekte, die in Zusammenhang mit der Reise stehen: „Ein Schüler will zum Beispiel Wasserproben aus den Bergseen entnehmen und den Plastikanteil darin mit unserem Wasser vergleichen. Darüber würde er dann im Anschluss seine Facharbeit schreiben“, sagt Bruckwilder.
60 Euro als Spende für jeden Schüler, der die Wanderung schafft
Zur Vorbereitung gehört auch die selbstständige Gewinnung von Sponsoren durch die Schüler, denn die Gesamtkosten belaufen sich auf 650 Euro pro Person. Nur einen geringen dreistelligen Anteil steuern die Eltern bei. „Die Schüler waren in der neunten Klasse alle schon auf Skifreizeit. Und die Alpenquerung gehört nicht zum regulären Fahrtenprogramm, da wollten wir keine soziale Selektion vornehmen. Deswegen müssen die Sponsoren sein“, sagt Bruckwilder.
Eine besondere Offerte macht der Duisburger Rotary-Club: Für jeden Schüler, der in Meran ankommt, zahlt der sozial engagierte Verein 60 Euro für einen guten Zweck, den die Schüler selbst bestimmen können. „Das erhöht den Druck für die Schüler: Sie müssen nun lernen, was es bedeutet, wenn andere etwas von ihnen erwarten“, sagt Bruckwilder.
Jetzt erst Recht: Schüler sind enttäuscht, wollen aber nicht aufgeben
Ob die Gruppe am 10. August tatsächlich in den Zug nach Oberstdorf steigen wird, ist momentan unklar: „Wir haben diese Weisung des Schulministeriums bekommen, daran müssen wir uns halten. Immerhin unterstützt das Land die Schulen bei Stornokosten, das Geld ist also nicht weg“, sagt Bruckwilder, die bereits die Zugtickets zurückgegeben hat. „Da ist die Bahn im Moment zum Glück auch kulant. Sollten Klassenreisen wieder möglich sein, werde ich sofort neue Tickets buchen“, sagt sie.
Auch die Schüler haben die Hoffnung noch nicht aufgegeben: „Wir waren zunächst alle bitter enttäuscht, die Stimmung war mies“, sagt Natascha Badorrek. „Wir wollen jetzt aber noch mehr Kampfgeist zeigen“, ergänzt Mischa Görgen. Am Sonntag haben die beiden 15-jährigen gemeinsam trainiert. Gemeinsam mit den Lehrern wollen die Schüler entscheiden, wie es in den kommenden Wochen weitergehen soll. „Wir würden uns schon gern als Gruppe treffen und weiter trainieren“, sagt Mischa.
Die abseits des körperlichen Trainings laufenden Vorbereitungen sollen ebenfalls weitergehen: „Zum Beispiel wollen wir die Homepage weiter pflegen und Infos dort posten, falls nötig“, meint Natascha. Aufzugeben ist für Mischa keine Option. „Wir wollen die Tour auf jeden Fall machen, ob im September, im Frühjahr oder vielleicht auch erst, wenn wir schon längst aus der Schule raus sind.“