Duisburg-Ratingsee. Sie gilt als avantgardistisch und kompromisslos gebaut: Die Siedlung Ratingsee in Duisburg-Meiderich. Und deshalb ist die denkmalgeschützt.
Auf 52 Quadratmetern wohnen die Menschen in der denkmalgeschützten Siedlung Ratingsee in Mittelmeiderich. Es ist kein Scherz, wenn Gebag-Mieter sagen: „Platz haben wir nur im Garten.“ In der Tat: Der ist einen Quadratmeter größer als die gesamte im Haus zur Verfügung stehende Fläche.
Ein Außenlager des KZ Buchenwald
In direkter Nachbarschaft der Siedlung Ratingsee befand sich von 1942 bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs eine Außenstelle des Konzentrationslagers Buchenwald bei Weimar. Eine Stele sowie eine Bodenplatte zwischen den Trainingsplätzen des MSV, der Siedlung und der Kleingartenanlage Ratingsee erinnern daran.
In der Siedlung ist das Lager weithin unbekannt. Darauf angesprochen, zuckten die meisten Menschen mit den Schultern, nur ein paar Ältere konnten dieser Tage Auskunft geben, wo sich das KZ damals befunden hatte.
Rund 400 Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene waren während des Zweiten Weltkriegs dort unter den schlimmsten Bedingungen untergebracht. Sie mussten eingepfercht in Baracken hausen.
Das Denkmal wurde 1984 neben dem MSV-Trainingszentrum errichtet. Die eiserne Bodenplatte trägt den Schriftzug „KZ-Außenlager Ratingsee“.
Trotz der Enge leben die Menschen gerne dort. Die Mieten sind günstig, jeder lebt wie in einem Reiheneigenheim mit eigenem Garten. Man wohnt wie auf einem Dorf, mitten in der Großstadt. Größtenteils abgeschirmt vom Durchgangsverkehr an der Emmericher Straße – und doch nicht allzu weit von Einkaufsmöglichkeiten entfernt. Man kennt die Nachbarn, kann einen Plausch über den Zaun hinweg halten. Das Leben spielt sich hinterm Haus ab, im Grünen. Auf den Straßen ist es still. Da trifft man nur Menschen auf dem Weg zum Einkauf oder auf dem Weg zur Arbeit, beziehungsweise, wenn sie heimkommen.
Ursprünglich gab es einen Teich auf dem Gelände der Familie Rating
Entstanden ist die Siedlung auf einem vollgekippten Teich, dem Ratingsee. Sie ist das Ergebnis größter Not, entstanden in den Jahren 1927/1928. Die Stadt Duisburg hatte nach dem Ersten Weltkrieg vor allem ein Problem: Sie wusste nicht, wie und wo sie die wohnungslosen Menschen unterbringen sollte.
Alle Parteien im Rat der Stadt waren sich laut Denkmalschützern damals einig, dass dringend ein „sozialpolitisches Beispiel“ gesetzt werden müsse. Das war der Bau der Siedlung Ratingsee. Ausschließlich vorbehalten waren die kleinen Reihenhäuser „Minderbemittelten und kinderreichen Familien“.
Im indischen Chandigarh hat sich Le Corbusier ein Denkmal gesetzt
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Der Bau der Siedlung sollte also das drängendste Problem lösen und zudem eine Mustersiedlung werden. Errichtet wurde sie ganz im Geiste des schweizerisch-französischen Stararchitekten Le Corbusier, der sich im nordwestindischen Chandigarh mit der nach seinen Plänen gebauten Stadt ein Denkmal setzen durfte.
An seine Ideen von „Sparsamkeit, sozialem Denken und Ästhetik“ erinnere laut den Duisburger Denkmalschützern die „Typenhaussiedlung“. In ihrer Schlichtheit gelten die Straßenzüge als avantgardistisch.
Alles ist in der Siedlung auf Funktion ausgerichtet
Sie hätten eine gewisse Ästhetik, aber mit den vorhandenen Grünzügen (die gibt es übrigens auch in Chandigarh reichlich) auch „hygienische und soziale Komponenten“.
Das gesamte Karree ist funktionalistisch aufgebaut. Jeder Bewohner erreicht seinen Garten von der Wohnküche aus. Jeder hat die Möglichkeit, den Garten nach eigenem Gutdünken zu nutzen – um Obst und Gemüse anzubauen, oder als Freizeitfläche.
Jeder Mieter ist Herr im eigenen Haus
Jeder ist quasi Herr im eigenen (Miets-)Haus. Ursprünglich konnte auch der tägliche Bedarf in den kleinen Geschäften direkt nebenan gedeckt werden, die Kinder mussten und müssen nicht weit laufen, um auf dem zentral gelegenen Spielplatz herumtollen zu können.
Die Häuser sind in Backstein gebaut, ohne Schnörkel. Die Grundfläche beträgt 4,30 mal 10,20 Meter. Es gibt drei Zimmer und eine Wohnküche. Den Keller nutzen die Bewohner heute als Bad.
Ein hervorragendes Beispiel für das Engagement der Stadt Duisburg
Die Denkmal-Begründung
Die Siedlung Ratingsee gilt laut Behörde als ein Bauwerk „von außerordentlicher städtebaulicher und architektonischer Qualität“. Sie sei als städtebauliche Einheit mit kompromissloser Konsequenz geplant und errichtet worden.
Das Viertel gelte als signifikantes Beispiel für eine funktionalistische Siedlung der 20er Jahre und sei zudem eine avantgardistische Anlage. Sie ist nach dem Vorbild der ein Jahr zuvor gebauten Dickelsbachsiedlung in Wanheimerort errichtet worden.
Architekten waren die Stadtmitarbeiter Karl Pregizer (Beigeordneter) sowie Heinrich Bähr und Hermann Bräuhäuser.
Die Haustüren und Fensterrahm sind dunkelgrün gestrichen – so wie es der Denkmalschutz vorschreibt. Viele Häuser haben zum Garten hin kleine Anbauten und winzige Balkone.
1998 ist die Siedlung unter Denkmalschutz gestellt worden. Sie gilt als ein „hervorragendes Dokument für das kommunalpolitische Engagement der progressiven Duisburger Stadtverwaltung“, heißt es in der Urkunde.