Duisburg. Jascha Reintges war Besucher der Loveparade in Duisburg. Er kann die Erlebnisse auf der Treppe am Karl-Lehr-Tunnel nicht verarbeiten. Über Facebook sucht er die Frau, die er aus dem tödlichen Gedränge herausgezogen hat.

Die Frau, die aus der Menschenmasse gezogen wird, gibt kein Lebenszeichen von sich. Ein Mann zieht sie an dem Fuß aus dem tödlichen Gedränge, dann hebt er den leblosen Körper übers Geländer und trägt ihn die rettende Treppe hoch. Es sind die Bilder, die Jascha Reintges seit zwei Jahren nicht mehr aus dem Kopf gehen.

Er war der Mann, der bei der Loveparade-Katastrophe am 24. Juli 2010 auf der Treppe stand und die Frau heraufzog. „Als ich sie oben abgelegt hatte, sagte man mir, sie sei tot. Ich bin direkt wieder herunter gelaufen, um noch anderen zu helfen“, erzählt Jascha Reintges der NRZ. „Später habe ich aber von vielen gehört, dass sie überlebt hat. Mir würde es sehr helfen, wenn ich wüsste, wie es ihr geht“, sagt der 22-Jährige, der bis heute keinen Weg gefunden hat, die schrecklichen Erlebnisse so zu verarbeiten, dass ihm ein einigermaßen „normales“ Leben möglich wäre.

Das Bild wurde bis Montag knapp 6000 mal weiterverbreitet

Es gibt mehrere Amateuraufnahmen von dieser Szene vor zwei Jahren, wer im Internet nach den Begriffen Loveparade und Treppe googelt, wird schnell fündig. Eines dieser Bilder hat Jascha Reintges am Samstag auf seine Seite bei Facebook gestellt, mit einem Aufruf und der Hoffnung, dass jemand die Frau kennt oder etwas über ihr Schicksal weiß.

In kurzer Zeit haben mehrere tausend Facebook-Nutzer das Bild weiterverbreitet. „Ich habe fast 1500 Nachrichten bekommen“, sagt der 22-Jährige. Zeitweise habe er 50 Chatfenster gleichzeitig auf dem Bildschirm geöffnet gehabt. „Nach einer Stunde habe ich aufgegeben“. Weiterhelfen konnte ihm bisher aber niemand. Zwar glaubt jemand, sie erkannt zu haben, die Nachfragen dauern aber noch an. „Ich brauche Gewissheit“, sagt Jascha Reintges.

Katastrophe von DuisburgMit den Füßen zuerst

Am 24. Juli 2010 war er mit einem Freund bei der Loveparade. Sie fuhren mit der Straßenbahn von Ruhrort zum Hauptbahnhof, dann ging es zu Fuß weiter, am Lehmbruck-Museum vorbei, den Tunneleingang erreichten sie über die Düsseldorfer Straße. „Das Gedränge war dort so groß, dass mir schon schummrig wurde“. Die Beiden gingen schließlich im großen Bogen zur anderen Seite des Tunnels. „Dort war genug Platz, bis wir in der Mitte der Rampe standen“. Als der Erste neben ihnen zu Boden ging, hakten sie sich ein, bildeten ein Kreis. „Ich war fixiert, die Treppe zu erreichen“. Schließlich stand er auf den ersten Stufen. „Dann kam die Frau“. Mit den Füßen zuerst, getragen von der Menge.

Von Retter oder Held will er nichts hören. Zu helfen, das gehöre für ihn einfach zur „Menschlichkeit“. Die Frau zu finden, die er seit zwei Jahren sucht, vielleicht mit ihr zu reden, aber vor allem zu wissen, wie es ihr geht, das sei für ihn sicher nicht der Schlüssel, aber „ein großer Teil“ des Verarbeitens. Er hofft, dass sie vielleicht auch in Duisburg ist, jetzt am zweiten Jahrestag.