Duisburg. .
Die Trauer sieht traurig aus am Unglücksort, fast einen Monat nach der Loveparade. Der Regen, der Wind, die vielen Hände haben die Gegenstände der Trauer zerzaust und zerschlissen. Am 4. September sollen in einen Glaskubus geräumt werden.
Die roten Grablichter sind ausgebrannt, manche in der Hitze ihrer Menge zur Unkenntlichkeit; sie geben auch keine Wärme mehr. Es ist kalt geworden im Tunnel an der Karl-Lehr-Straße. Das Wachs hat Muster ins Pflaster gemalt, rosarot ist es bis in den Rinnstein gelaufen. Die Blumen haben alle Farbe verloren. Welk lassen Rosen, Gerbera, Lilien die Köpfe hängen, braun vertrocknen geknickte Sonnenblumen.
Vier Wochen nach der Loveparade mit 21 Toten sieht der Ort der Trauer traurig aus.
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Die Teelichte sind leer, manche in die Gosse gerollt, manche stehen noch in Mustern: Herzen, Kreuze, immer wieder die Zahl 21. In einigen Laternen steht gelb das Regenwasser, die Kränze sind trockene Schatten ihrer selbst. Am Zaun hängen zerrissene Transparente im Wind, eine halb verbrannte australische Fahne, der Rest einer Rettungsfolie. Dahinter liegt noch immer der Abfall vom 24. Juli: Flaschen und Dosen, eine zerbrochene Sonnenbrille. Auf der Straße beschweren Kerzen beschriebene Fetzen grauer Mülltüten: „Hier lag ein verstorbener Mensch.“ Wie dieser Ort seine Wärme, sein Licht und seine Farbe verliert mit der Zeit, das sei auch ein Symbol für das Vergehen, sagt jemand, und sie haben das ja so gewollt: dass sechs Wochen lang niemand rühren möge am Gedenken. Aber genau darüber wird in Duisburg jetzt diskutiert: über Symbole und das Gedenken.
Fest steht: Am 4. September werden die Trauergaben in einen gläsernen Kubus gefüllt, der am Tunneleingang stehen wird auf einer Wiese. Die Bürger sollen, begleitet von einer Trauer-Trommel, die Dinge in Körben sammeln, alles, nur nichts Organisches – von den Kränzen also nur die Schleifen. Die schwarzen Kreuze werden sie herbeitragen, selbstgemalte Bilder voller Herzen. Blank geliebte Kuscheltiere, Bärchen, Schafe und einen hölzernen Hai. All die Beileidsschreiben, aber auch die Dankesbriefe: „Wir danken Gott für unser Überleben.“ – „Ich möchte mich bedanken für Hilfsbereitschaft, den Zusammenhalt und das gegenseitige Stärken.“
Das „Italia“-T-Shirt wird dabei sein, Inges „Märchen von der Traurigkeit“, die Fahnen, Bibeln, Engel und der lila Cowboyhut. Das vergessene Paar Helfer-Handschuhe. Die Schallplatten. Die Discokugel, der zerbrochene Leuchter, die schlaffen Ballons. Aber auch die Postkarten: „I love Duisburg.“ Man werde nichts zensieren, verspricht Kulturdezernent Karl Janssen. Sie werden also auch die „Schande“-Schilder mitnehmen, die Anklagen an die Stadtspitze. Und diesen hilflosen Satz auf Pappe: „Wir wollten nur feiern.“
Was sie nicht mitnehmen können, sind die Kreide-Inschriften in den verwitterten Wänden. Die vom Regen verwaschenen Unterschriften auf dem Trauerplakat, die orange-roten Herzchen im Beton: 20 waren es in einer Reihe, ein 21. wurde später darüber gemalt. Und diesen Wegweiser an der Mauer, versehen mit einem Pfeil ins Dunkle: „Boulevard of broken dreams“, Straße der zerstörten Träume.
„Da wollten die hoch?“
Noch immer gehen viele über diese Straße, jeden Tag, Dutzende sind es auch Donnerstagnachmittag. Die meisten lesen schweigend, eine Familie in Schwarz ist unter ihnen, viele falten die Hände, es ist sehr still. Als irgendwo ein Mann spricht, „schrecklich“, sagt er, hallt seine Stimme schmerzhaft laut durch den Tunnel. Und jeder hört auch die helle Stimme des kleinen Jungen, ganz in der Nähe der Treppe: „Da wollten die alle hoch laufen?“
Weil es diese Menschen gibt, sind da auch ein paar frische Kerzen, einige neue, noch bunte Plakate, gemalt in den letzten Tagen. „Wir vermissen dich.“ Und: „Das schönste Denkmal, das ein Mensch bekommen kann, steht in den Herzen seiner Mitmenschen.“