Düsseldorf. Seit langem wehren sich Menschen in Angermund gegen den Bahnlärm an der Strecke zwischen Düsseldorf und Duisburg. Nun verhandelt ein Gericht.
Elke Wagner gegen die Bundesrepublik Deutschland. Das klingt nach David gegen Goliath. Und dann noch die These: Eine von rund 500 Zügen am Tag befahrene Hauptstrecke der Bahn ist ein Schwarzbau.
Das klingt nach großem Kino, schafft vehementes Medieninteresse – und einen ersten, knapp einstündigen Prozesstag. Dessen Erkenntnisgewinn minimal ist: Richter Andreas Hake vertagt nach einer Stunde zunächst bis Anfang Oktober. Kann aber auch sein, dass das ganze Verfahren wiederholt werden muss. Denn Klägeranwalts Clemens Antweilers erste Amtshandlung war ein Befangenheitsantrag.
Bahnstrecke von Duisburg nach Düsseldorf illegal gebaut? – Anwohnerin klagt
Worum es geht? Seit 50 Jahren, mindestens, versuchen die Anwohner in Angermund von der Bahn mehr Lärmschutz zu bekommen. Viergleisig rollen auf der viel befahrenen Strecke von Düsseldorf nach Duisburg rund 500 Züge täglich durch den gediegenen Vorort. Seit 1843. Künftig sollen es hier sogar sechs Gleise werden – und noch mehr Züge: der RRX braucht Gleise und Platz.
Er brächte aber auch Lärmschutz, sagt die Bahn: „Unser Ziel ist es, so schnell wie möglich mit dem Infrastrukturausbau zu beginnen, um Lärmschutz für die Anwohnerinnen und Anwohner zu erreichen und mehr Kapazität für die Pendlerinnen und Pendler“, sagt eine Bahnsprecherin. Lärmschutz heißt: Wände, die dafür sorgen, dass die Dezibelwerte für bestehende Strecken eingehalten werden. Die Initiative hat ihre Wunsch auf die Facebook-Seite gemalt: die dann sechs Gleise sollen in einen begrünten Tunnel eingehaust werden. Dafür, so die Bahn, gibt’s weder Geld noch Platz.
Der Sohn muss freihändig Fahrrad fahren, um sich die Ohren zuhalten zu können
Elke Wagner ist Mitglied der Bürgerinitiative Angermund: Als sie vor 15 Jahren aus der Altstadt nach Angermund zog, suchte sie Ruhe. 60 Meter östlich der schon damals stark befahrenen Bahnstrecke. Man versicherte ihr, sagt sie: Bis der Lärmschutz kommt, dauert es nur wenige Jahre. Bis heute ist nichts passiert, klagt sie. „Wenn mein Sohn auf dem Fahrrad zur Schule fährt, muss er sich auf dem Weg entlang immer die Ohren zuhalten, weil die Züge so laut sind. Und schnell genug fahren, damit er freihändig fahren kann“, erklärte sie in der Gerichtsverhandlung. Für die Geschichte aus dem Leben des Neunjährigen gab es Applaus im Gerichtssaal – von zwei der rund 40 Zuhörer im altehrwürdigen Gerichtsgebäude an der Bastionsstraße in Düsseldorf.
Baugenehmigung durch eine königlich preußische Konzession
Wenn man schon gegen die Bundesrepublik Deutschland klagt, dann kann das schon mal sein, dass auch das Vertrauen in die Jurisdiktion wackelt. Argument von Elke Wagner: Binnen weniger Stunden wurde entschieden, dass für das Verfahren ein Einzelrichter reicht: „Für mich ist es ein Ding der Unmöglichkeit, wie die Richter unsere Klageschrift, die einen großen Aktenordner füllt, in dieser Rekordzeit durcharbeiten konnten. Ich befürchte, dass es hier im Schweinsgalopp zu voreiligen und befangenen Entscheidung gekommen ist.“ Zumal, wie später ihr Anwalt Clemens Antweiler nachlegt, das Verfahren (Az:16 K 5474/18) vor der Kammer für Eisenbahnrecht stattfindet und nicht vor jener für Immissionsrecht, zudem eben auch der Lärm gehört.
Richter Andreas Hake nahm es gelassen, belehrte erst einmal den von vielen Medien als Staranwalt bezeichneten Klägervertreter Antweiler, dass ein Befangenheitsantrag das Verfahren nicht stoppt: „Ein Blick in die Zivilprozessordnung erleichtert die Rechtsfindung.“ Kleines Risiko des Richters: Wenn im Nachhinein Befangenheit festgestellt wird, beginnt der Prozess von vorne.
Dabei hat er sich bereits in tief in die Archive gewühlt und wusste zu berichten, dass die Strecke genehmigt worden sei mit einer königlich preußischen Konzession am 18.12.1843. „Friedrich Wilhelm von Gottes Gnaden König von Preußen hat sogar die Grundlagen für die Enteignungen geschaffen.“ Zudem, so der Richter, geht der Gesetzgeber davon aus, dass Strecken, die älter als 100 Jahre sind, eine Genehmigung per se vorliegt.
Dezibelwerte deutlich zu hoch, so der Richter
Aus ist’s mit der schönen Spekulation, dass das Eisenbahnbundesamt tatsächlich alte preußische Pläne aus dem Archiv würde vorlegen müssen, damit morgen nicht der ICE von Düsseldorf nach Berlin wieder nur über Wuppertal fahren kann. Auch wenn Richter Haake einräumte, die Dezibelwerte lägen deutlich über dem, was der Gesetzgeber vorsieht, nur sei es leider so, dass Lärmschutz an Bestandsstrecken immer nur nach Kassenlage gebaut werde.
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Es kommt nicht darauf an, so die Sicht des Gerichts, ob der Ausbau auf vier Gleise in den 20er Jahren rechtens ist. Oder der Wiederaufbau dieser Gleise nach dem Zweiten Weltkrieg oder die Elektrifizierung in den 70ern, bei der sich die Bundesbahndirektion Essen noch darüber wunderte, dass die Kollegen der Direktion Wuppertal den Fahrdraht ohne Verfahren installieren konnten. Alles nicht entscheidend, so Richter Hake, jedenfalls nicht, wenn es um Fragen des Lärmschutzes geht. Dazu gebe es erst seit 1974 gesetzliche Regelungen. Insofern sei lediglich die Frage, ob der Ausbau der Strecke auf Tempo 200 im Juni 1991 nicht eine Planfeststellung erfordert hätte, schwierig. „Die dafür gebaute Linienzugbeeinflussung ist aber eigentlich nur so eine Art halbe Fernsteuerung für die Lok“, sagte Richter Hake.
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Elke Wagner lacht bei dieser Formulierung kurz und bitter auf. Immerhin bekommt ihr Anwalt bis zum 1. Oktober Gelegenheit, zu diesem Punkt einen neuen Schriftsatz vorzubereiten. Dennoch sieht es nicht gut aus für David: Vor fünf Jahren hatte das zweitgrößte deutsche Verwaltungsgericht schon einmal über eine Anwohnerklage in Sachen Lärmschutz entschieden. Damals ging es um die sogenannte Betuwe-Bahnlinie von Oberhausen über Wesel zur Landesgrenze bei Emmerich-Elten. Die Anwohner verloren.